MDRfragt Jeder Zweite ist von Sommermärchen-Debatte genervt
Ist auch diese EM ein Sommermärchen – so wie die WM 2006 in Deutschland? In der MDRfragt-Gemeinschaft zeigt sich hierzu ein geteiltes Stimmungsbild. Die Mehrheit der Befragten ist von der Debatte darüber einfach nur genervt. Deutlich positiver fällt das Zeugnis für den EM-Gastgeber aus. Einige sehen jedoch in manchen Bereichen noch Verbesserungsbedarf.
- Über den Einfluss der EM auf die Stimmungslage in Deutschland herrscht Uneinigkeit.
- Drei Viertel werten Deutschland als guten EM-Gastgeber.
- Bei den öffentlichen Verkehrsmitteln und Toiletten müsste aus Sicht vieler nachgebessert werden.
Bereits im Vorfeld der EM wurde immer wieder darüber diskutiert, ob wir auch in diesem Jahr ein "Sommermärchen" erleben – so wie bei der WM 2006 in Deutschland. Im Vordergrund der Debatte stand die Hoffnung, dass in Deutschland erneut eine euphorische Stimmung aufkommen könnte, die einige Sorgen während der EM vergessen lässt.
Und? Ist es wirklich so gekommen? In der MDRfragt-Gemeinschaft fällt das Zwischenfazit hierzu geteilt aus. Während die eine Hälfte der Befragten tatsächlich den Eindruck hat, dass die EM die allgemeine Stimmungslage in Deutschland spürbar verbessert, nimmt die andere Hälfte keinen großen Stimmungsumschwung wahr.
Die EM verbessert die Stimmungslage in Deutschland spürbar
Bei unserer letzten Fußball-Befragung im März fiel die Einschätzung hierzu noch deutlich anders aus. Damals rechneten 70 Prozent der Befragten nicht damit, dass die EM die Stimmungslage im Land deutlich verbessern könnte.
Ein Blick in die Kommentare der MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer verrät, warum manche einen Stimmungsumschwung bereits wahrnehmen, während andere diesen grundsätzlich nicht für möglich halten.
Stärkt die EM das Zusammengehörigkeitsgefühl?
So schreibt Rico (36) aus Dresden zum Beispiel: "Die Spaltung der Gesellschaft ist einfach zu groß, als dass Fußball das wieder ändern könnte." Und auch Andreas (60) aus dem Landkreis Sächsische-Schweiz-Osterzgebirge kommentiert: "Klar wäre es schön, wenn das politisch gespaltene Land sich einigen würde, aber eine EM kann so etwas nicht wirklich bewirken."
Analog dazu hat Tim (38) aus dem Burgenlandkreis den Eindruck, dass die Probleme in Deutschland zu präsent sind, "als dass sie durch die EM überstrahlt werden könnten". MDRfragt-Mitglied Enrico (51) aus dem Landkreis Bautzen sieht das ähnlich und zieht einen direkten Vergleich zur WM 2006 in Deutschland. Er kommentiert: "Im Gegensatz zu 2006 und 2014 sind die Probleme der Menschen heute derart präsent und wirken sich direkt negativ auf das Leben aus, dass auch eine EM die Stimmung nicht großflächig besser machen kann."
Bei allen gegenwärtigen Krisen Euphorie aufkommen zu lassen, ist gar nicht so einfach. Ursula (74) aus Mittelsachsen |
Auch Ursula (74) aus Mittelsachsen ist es nicht leicht gefallen, in "EM-Stimmung" zu kommen. Sie bemerkt: "Bei allen gegenwärtigen Krisen Euphorie aufkommen zu lassen, ist gar nicht so einfach", dennoch fand man aus ihrer Sicht "eine gute Balance".
Eva-Barbara (74) aus Magdeburg hat den Eindruck, "die EM lässt uns für ein paar Wochen die riesige Menge an Problemen an zweiter Stelle betrachten" und freut sich darüber, dass "Deutschland sich wieder in großer Mehrheit an einem positiven Ereignis begeistert". Dem schließt sich auch Susanne (36) aus dem Landkreis Wittenberg an. Sie schreibt: "Nach vielen Krisen können die Menschen wieder Euphorie und Gemeinschaft erleben" und hofft, dass die Stimmung erhalten bleibt.
"Gemeinschaft erleben": Genau das hat vielen MDRfragt-Mitgliedern in letzter Zeit gefehlt. Elke (68) aus der Börde hat dadurch den Eindruck: "Deutschland ist wieder etwas zusammengerückt". Wie das in der Praxis aussieht, beschreibt Jan (45). Der Dresdner kommentiert: "Man kommt mal auf andere Gedanken, trifft sich mit Nachbarn und Freunden, schaut Fußball. Das ist doch toll."
Deutschland ist wieder etwas zusammengerückt. Elke (68) aus der Börde |
Auch Hans-Jürgen (70) aus Jena hat den Eindruck, dass die Menschen durch ein gelebtes Gemeinschaftsgefühl wieder etwas näher zusammengerückt sind und "damit auch für wenige Wochen die Sorgen des Alltags vergessen". Darüber hinaus schreibt er: "Egal aus welcher Nation, egal welche Hautfarbe: Es wird zusammen gefeiert und das auch gerne mit Sprachbarrieren. Das Zusammengehörigkeitsgefühl sollte in der Form auch außerhalb des Groß-Events erhalten bleiben; es wäre der größte Erfolg für uns Europäer. Auch ganz ohne Pokal."
Jeder Zweite ist von "Sommermärchendebatte" genervt
Ganz gleich, ob wir ein zweites Sommermärchen erleben oder nicht: Die Mehrheit der Befragten ist von der Debatte darüber schlichtweg genervt. Bei etwa einem Drittel der mehr als 22.000 Befragten ist das hingegen nicht der Fall.
Die Sommermärchen-Debatte nervt
In den Kommentaren werden unterschiedliche Gründe genannt, aus denen zahlreiche MDRfragt-Mitglieder diese Debatte für wenig sinnvoll halten und davon letztendlich genervt sind.
Für Viele hat die Debatte eher negative Folgen
Wie auch Angelika (65) haben einige kein Verständnis für den Vergleich an sich. Die Leipzigerin kommentiert: "Die WM 2006 und die EM 2024 sind zwei unterschiedliche Höhepunkte. Ich denke, die EM sollte die Chance haben, als eine eigene Sache betrachtet und nicht immer verglichen zu werden." Auch Martin (40) aus Mittelsachsen findet es "schade, dass immer alles vergleichen wird" und die EM dadurch "nicht als etwas Besonderes und Eigenständiges wahrgenommen wird."
Zudem meint Günther (65) aus Halle (Saale): "Man muss nicht immer in der Vergangenheit suchen und vergleichen, wir leben im Hier und Jetzt." Passend dazu schreibt Hilmar (79) aus dem Landkreis Wittenberg: "Es gibt keine Wiederholung vergangener Ereignisse. 2006 ist Geschichte. 2024 hat eine eigene Dynamik und wir schaffen das Neue!"
Warum führen wir diese Meta-Debatte und mit welchem Ziel? Johannes (69) aus Jena |
Außerdem kritisieren einige MDRfragt-Mitglieder den Einfluss der Sommermärchendebatte auf die deutsche Nationalmannschaft. So hat Birgit (81) den Eindruck, dass "die Spieler mit dieser Debatte unnötig unter Druck gesetzt werden". Christine (73) schließt sich dem an und fordert, "lasst doch die Sportler um den Sieg kämpfen, ohne Vergleiche zu ziehen oder ewige Vorhersagen zu treffen".
Während sich Johannes (69) aus Jena zudem fragt: "Warum führen wir diese Meta-Debatte und mit welchem Ziel?", denken andere, dass diese grundsätzlich zu viel Raum einnimmt. Passend dazu kommentiert Enrico (47) aus Leipzig: "Das nervt einfach, es geht nur um Fußball, als gäbe es nichts Wichtigeres."
Andreas (60) aus dem Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, der bereits eingangs kommentiert hat, sieht das ähnlich. Seiner Ansicht nach wird versucht, "mittels der derzeitigen Euphorie-Welle von den eigentlichen Problemen abzulenken". Er schreibt weiter: "Für mich wäre ein Sommermärchen, wenn in meinem Garten Pflanzen nicht durch die Hitze verdorren oder wie dieses Jahr durch späten Frost die ganze Obst- und Beerenblüte erfriert, weil das Wetter immer extremer wird."
Mehrheit verfolgt "Heim-EM" mit Freude
Spätestens bei den Spielen der DFB-Elf sind die Biergärten und Fan-Zonen mit Fußballfans gefüllt. Auch die Fan-Meile in Leipzig war zum Einzug der DFB-Elf ins Viertelfinale gut besucht.
Gemeinsam wird mitgefiebert, -gefeiert oder auch -geweint, nicht selten auch mit gegnerischen Fans. Auch in der MDRfragt-Gemeinschaft hat die Euphorie Einzug erhalten. So gab jede und jeder zweite Befragte an, die EM mit Freude zu verfolgen. Demgegenüber steht ein knappes Drittel der "Heim-EM" eher gleichgültig gegenüber und nur 5 Prozent äußern ihre Abneigung.
Gefühl zur „Heim-EM“
Drei Viertel sehen Deutschland als guten EM-Gastgeber
2006 war das Motto „Die Welt zu Gast bei Freunden“ und Deutschland bekam viel Lob für die Ausrichtung der WM. Etwa drei Viertel der MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer sind der Meinung, dass sich daran nicht viel geändert hat und werten Deutschland auch heute als guten EM-Gastgeber. 10 Prozent sehen das jedoch anders.
Deutschland ist ein guter EM-Gastgeber
Im Vergleich zum März fällt das Ergebnis noch etwas besser für den EM-Gastgeber aus. Damals gingen mit 65 Prozent der Befragten etwas noch weniger davon aus, dass Deutschland einen guten Job als Gastgeber machen wird.
Öffentliche Verkehrsmittel und Toiletten stehen in der Kritik
Doch Luft nach oben ist bekanntlich immer und auch die MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer sind der Meinung, dass Deutschland als EM-Gastgeber noch in einigen Bereichen nachbessern müsste: vor allem beim öffentlichen Nah- und Fernverkehr sowie den öffentlichen Toiletten. Zudem halten jeweils rund ein Drittel der Befragten das Erscheinungsbild der Städte und Gemeinden sowie die Verfügbarkeit eines schnellen Handynetzes für verbesserungswürdig.
Verbesserungsbedarf für EM-Gastgeber
Für 9 von 10 hat EM keinen Einfluss auf Sicherheitsgefühl
Und wie steht es um das persönliche Sicherheitsgefühl? Mit temporären Grenzkontrollen, einer erhöhten Polizeipräsenz und zahlreichen Sicherheitskontrollen werden derzeit viele Vorkehrungen getroffen, um die Europameisterschaft gegen eine Vielzahl möglicher Bedrohungen abzusichern. Dennoch ist und bleibt die Sicherheit bei der EM immer wieder Thema.
In der MDRfragt-Gemeinschaft hat die EM das Sicherheitsgefühl kaum beeinträchtigt. Das haben 9 von 10 Befragten angegeben. Lediglich 10 Prozent gaben an, dass dies für sie persönlich der Fall ist.
Die EM beeinträchtigt das persönliche Sicherheitsgefühl
Wie es auf der Fan-Meile und im Stadion war...
Einige MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer haben die Spiele auch auf einer Fan-Meile oder sogar vor Ort im Stadion verfolgt. Ob das Thema Sicherheit hierbei überhaupt eine Rolle gespielt hat, erzählen sie in den Kommentaren:
Heike (60) aus dem Landkreis Anhalt-Bitterfeld berichtet zum Beispiel, dass die von ihr besuchte Fan-Meile durch Kräfte der Polizei gesichert wurde und schreibt: "Trotzdem muss ich zugeben, dass ich über Sicherheit nachgedacht habe."
Andreas (45) aus Magdeburg wiederum sagt, dass ihm die Polizei-Präsenz Sicherheit gegeben hat und auch Jens (57) aus der Börde "hatte das Gefühl echt sicher zu sein, dank der ganzen Einsatzkräfte vor Ort."
Es war ein sehr friedliches Miteinander voller Euphorie und Freude. Beatrice (56) aus Leipzig |
Für MDRfragt-Mitglied Niklas (22) aus dem Landkreis Meißen haben "gute Kontrollen am Eingang für ein sicheres Gefühl gesorgt". Aus seiner Sicht kann man sich in Deutschland aber auch unabhängig von der EM sicher fühlen.
Grundsätzlich berichten zahlreiche MDRfragt-Mitglieder von vielen positiven Erlebnissen auf der Fan-Meile oder direkt im Stadion. Jacqueline (46) aus dem Landkreis Zwickau konnte eines der Spiele live im Stadion miterleben und schreibt darüber: "Es war ein sehr friedliches Miteinander voller Euphorie und Freude." Auch Susanne (63) saß mit im Stadion und hat dabei "gar nicht an eine mögliche Bedrohung gedacht."
Die Befragung vom 28. Juni bis 1. Juli 2024 stand unter der Überschrift: "Halbzeitbilanz: Die EM im eigenen Land – mehr als nur ein Spiel?". Bei MDRfragt können sich alle anmelden und beteiligen, die mindestens 16 Jahre alt sind und in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen wohnen, denn: Wir wollen die Vielfalt der Argumente kennenlernen und abbilden. Die Kommentare der Befragten erlauben, die Gründe für die jeweiligen Positionen und das Meinungsspektrum sichtbar zu machen. Da sich jede und jeder beteiligen kann, der möchte, sind die Ergebnisse von MDRfragt nicht repräsentativ. Bei dieser Befragung haben sich 22.545 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen online mit ihrer Meinung eingebracht. Die Ergebnisse von MDRfragt werden nach wissenschaftlichen Kriterien anhand verschiedener soziodemografischer Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad gewichtet, um sie an die tatsächliche Verteilung in der mitteldeutschen Bevölkerung anzupassen. Damit wird die Aussagekraft der Ergebnisse erhöht und es ergibt sich ein valides und einordnendes Stimmungsbild aus Mitteldeutschland. MDRfragt wird zudem wissenschaftlich beraten und begleitet, beispielsweise durch regelmäßige Validitätstests. Mehr zur Methodik von MDRfragt finden Sie am Ende des Artikels.