Der Fan-Marsch der deutschen Fans

Fußball EM 2024 Deutschland zwischen Nationalismus, Patriotismus und Party

Stand: 05.07.2024 16:38 Uhr

Die deutschen Straßen erstrahlen bunt. Fanmärsche der Albaner, Schotten, Niederländer oder Kroaten bringen Farbe in die Innenstädte. Doch es schwingt auch nationalistische Symbolik über dem Turnier. Wie sieht es diesbezüglich mit der DFB-Elf und ihren Fans aus?

Von Jonas Arand

Große Fußballturniere, wie die Europameisterschaft in Deutschland, befeuern Emotionen. Das haben die diversen Fanmärsche in Leipzig eindrucksvoll gezeigt. Neben hüpfenden Niederländern, die die Messestadt in ein oranges Meer tauchten, stand in den vergangenen Wochen aber auch Nationalismus im Fokus. Fahnen Großalbaniens wurden gezeigt, österreichische Fans präsentierten beim Spiel gegen Polen ein "Defend Europe"-Banner, eine Parole der rechtsextremen Identitären. Auch bei der Partie zwischen der Türkei und Österreich kam es zum Eklat, diesmal hervorgerufen durch den türkischen Doppeltorschützen Merih Demiral, der nach seinem zweiten Treffer den Gruß der faschistischen "Grauen Wölfe" beim Jubel zeigte. Der Innenverteidiger sagte zwar nach dem Einzug ins Viertelfinale, es stecke keine andere Botschaft als sein Stolz auf die eigene Nation hinter der Geste, dennoch sorgt der Nationalismus einiger Länder rund um die Stadien der Bundesrepublik für Gesprächsstoff. Doch wie sieht es mit dem deutschen Nationalismus und Patriotismus aus?

Merih Demiral

Der faschistische Gruß des türkischen Spielers Demiral hat für Aufsehen gesorgt.

Fanforscher Lange: Einzelfälle versus Feierstimmung

Den Nationalismus bei der Euro 2024 findet Harald Lange wenig überraschend. Der Fanforscher der Universität Würzburg sieht einige Arbeit auf die Fußballgremien und die Wissenschaft zukommen. Aber bisher seien diese Vorkommnisse Einzelfälle. "Diese Fälle gehen unter im Meer der Partyfans, zwischen den originellen Choreografien, auf die jede Fanlandschaft eines jeden Landes extrem stolz ist: Feiernd, fröhlich, einfallsreich." Das Bild des Turniers sei mehrheitlich positiv, auch wenn nationalistische Symbolik nicht ausbleibe.

Fanforscher Harald Lange: "Die Rechte findet keinen Einfluss"

"Wir können damit entspannt umgehen, zumal auch diese Einzelfälle sofort dokumentiert werden, sowohl von der UEFA als auch von den Strafrechtsbehörden." Das Turnier, die Fans bringen ein anderes Bild an den Tag als diese Ereignisse. "Ich erkenne da noch keinen rote Faden, keine rote Linie", meint Lange. Letztendlich sei das Gegenteil eines Erstarkens nationalistischer Tendenzen der Fall: Die rechtspopulistische AfD habe auf ihrem Parteitag in Essen verlautbart, dass sie mit der Nationalmannschaft nichts mehr zu tun haben wolle. Lange dazu: "Das ist wahrscheinlich ein Versuch, auf die multikulturellen Hintergründe der deutschen Mannschaft anzuspielen. Das ist weltfremd, wenn man sich bei Fans umhört. Denen ist es herzlich egal, woher die Eltern, Großeltern und Urgroßeltern unserer Spieler herkommen."

Fußball als Ort für Emotionen aller Art

Auch die Psychologin Fiona Kalkstein vom Else-Frenkel-Brunswick-Institut der Universität Leipzig sieht positives Potential im Fußball. "Man muss sagen, der Fußball ist natürlich nicht nur ein Ort des Nationalismus, er ist auch ein Ort, der es einem ermöglicht, Gefühle auszuleben. Er ist auch ein Ort der Begegnung. Also dort treffen sich Leute, die sich vielleicht in der Gesellschaft nicht über den Weg laufen würden."

Obacht scheint geboten

Dennoch, betont Fiona Kalkstein, sei das Thema Nationalismus und deutsche Nationalmannschaft mit der neuen Leichtigkeit nicht abgeschlossen: "Es ist schon wichtig, die Gefahr nicht zu vergessen, nicht außer Acht zu lassen. Gibt es einen toleranten Nationalismus? Das ist eine Debatte, die nicht geführt wird. Die wurde übrigens 2006 durchaus geführt und ich sehe das eher mit Bedenken, dass die gar nicht mehr stattfindet."

Letztendlich manifestiere sich durch den Sport eine Abwertung anderer Nationen. Es finde eine Verkürzung statt, die sich oberflächlich darstelle, daher auch kaum bedenklich sei, meint Harald Lange. "Das Ganze wird garniert, beziehungsweise entfaltet sich über das Partyvolk, was jetzt auf den Fanmeilen unterwegs ist. Das unterscheide ich aber deutlich von denen, die den Wolfsgruß zeigen."

Neue deutsche Leichtigkeit seit 2006

Lange kontrastiert die EM 2024 mit der Weltmeisterschaft 2006, die Schwarz-Rot-Gold auf die Straße brachte, wobei vermeintlich ein neues deutsches Stolzgefühl hervorging. "Da ist heute kein überzogener Nationalstolz, kein Nationalismus mit dabei. Ich denke, es ist noch nicht mal Patriotismus."

Fanforscher Harald Lange: "Die Erfolge von Turnieren sind ernüchternd"

Solange der DFB Erfolge feiere, seien die Unterstützer bei "Der Mannschaft" dabei. Doch dies könnte schnell vorbei sein, so der Fanforscher. Die DFB-Elf als Seismografen für die deutsche Gesellschaft mag er jedoch nicht heranziehen. "Dass der Nationalmannschaftsfußball ein Spiegel ist für wirtschaftlichen Aufschwung oder für die Stimmung im Land – nach allem was ich gelesen habe nach 2006, sind doch die Ergebnisse eher ernüchternd."

Die Macht der Kurve

Fiona Kalkstein sieht eine Abnahme des deutschen Fahnenmeers, beobachtet aber auch eine Normalisierung der Symbolik. Gänzlich sorgenfrei schaut sie nicht auf die Nationalmannschaft und die Deutschen. "Ich würde sagen, man muss es schon in seiner Ambivalenz betrachten und es geht schon immer auch eine gewisse Gefahr davon aus. Und ich glaube, es ist auch wichtig, sich das (die Unterstützung der Nationalmannschaft, Anm. d. Red.) anzuschauen und da ein Auge drauf zu behalten."

Die politische Bewegung in den Kurven Deutschlands, die sich mehrheitlich gegen Nationalismus stellt, wirke auch in die DFB-Elf, sagte Lange. Auch wenn er die Arbeit des Verbands kritisch sieht. Der DFB habe sich mit seiner vermeintlichen Entpolitisierung selbst entlarvt. Die Stimmung auf den deutschen Fanmeilen dagegen sei politisch, wenn auch weniger nationalistisch als befürchtet. So der erste, aktuelle Eindruck, den es weiter zu beobachten gilt.