Rekordspieler im Interview Sascha Mockenhaupt über den Abstieg des SV Wehen Wiesbaden: "Wir wollten zu viel"
Aufstiege, Abstiege, Umbrüche: Sascha Mockenhaupt hat in seiner Zeit beim SV Wehen Wiesbaden schon viel erlebt. Inzwischen ist er der offizielle Rekordspieler des Vereins - und denkt noch lange nicht ans Aufhören.
Sascha Mockenhaupt ist seit Januar 2017 beim SV Wehen Wiesbaden. Seit dieser Saison ist der Vizekapitän offiziell Rekordspieler des Vereins im Profifußball. Im Interview mit dem hr-sport blickt er auf das sportlich schwierige SVWW-Jahr inklusive Zweitliga-Abstieg und seine persönlichen Momente zurück.
hessenschau.de: Herr Mockenhaupt, wie würden Sie das vergangene SVWW-Jahr in drei Worten beschreiben?
Sascha Mockenhaupt: (überlegt) Auf jeden Fall "wellenartig". Also das Wort beschreibt eigentlich echt alles.
hessenschau.de: Dann blicken wir nun etwas ausführlicher zurück: Sie haben schon einige Jahre beim SVWW erlebt. Wie ordnen Sie die vergangenen zwölf Monate ein?
Mockenhaupt: Grundlegend erst mal positiv. Das hört sich zwar komisch an, weil wir natürlich abgestiegen sind. Aber ich persönlich habe vieles erlebt, worauf ich in den Jahren davor hingearbeitet habe. Das Thema Rekordspieler zum Beispiel. Und ich kann immer mehr Einfluss darauf nehmen, wie der Verein sich entwickelt. Auch die Wahrnehmung in der Umgebung wird positiver.
hessenschau.de: Den Blick auf die Zweitliga-Rückrunde kann ich Ihnen aber natürlich nicht ersparen. Der SV Wehen Wiesbaden stand vor einem Jahr gut da, ist dann aber doch noch durchgereicht worden und abgestiegen. Was ist passiert?
Mockenhaupt: Wenn ich die Antwort hätte, hätte ich es wahrscheinlich verhindert. Wir haben eine super Hinrunde gespielt und uns dann vom Kopf her auch schon mit anderen Dingen beschäftigt und über andere Themen gesprochen als nur in der Liga zu bleiben. Wir haben versucht, Sachen noch besser zu machen und noch ein bisschen mehr rauszukitzeln. Wir hätten uns mehr darauf fokussieren sollen, einfach so weiterzumachen. Da wollten wir, Trainer und Spieler, zu viel. Und als wir versucht haben, es wieder zu korrigieren, sind wir komplett ins Straucheln gekommen. Dann haben auch Sachen nicht funktioniert, die am Anfang funktioniert haben.
hessenschau.de: Wie fühlt sich so eine Negativspirale denn für einen Spieler an?
Mockenhaupt: Es kam immer mehr Frust auf. Wenn dann noch Sachen nicht funktionieren, die vorher funktioniert haben, kommt man in so ein Gefühl rein: Egal was wir machen, es funktioniert nichts mehr. Dann versucht man, an allen Ecken Gründe dafür zu finden und guckt als Spieler auch ein bisschen links und rechts, was vielleicht der Nebenmann falsch macht oder ob der Trainer vielleicht schuld ist. Ich habe viel mit den Leuten gesprochen. Aber verhindern kann man es eigentlich nur, wenn man als Team gefestigt ist und das waren wir auch nicht mit vielen Neuzugängen.
hessenschau.de: Wenige Wochen vor Saisonende hat Nils Döring das Amt des Cheftrainers von Markus Kauczinski übernommen. Was ist er für ein Typ?
Mockenhaupt: Er ist natürlich näher an den Leuten dran und näher an dem Fußball dran, der jetzt gespielt wird, weil er ja selbst noch aktiv war. Er kommuniziert viel und versucht auch, viele Sachen positiv zu analysieren, auch wenn Fehler passieren. Es ist kein Draufhauen, sondern konstruktiv. Er ist auf jeden Fall einer der Trainer, den ich in meinem persönlichen Ranking weiter oben platzieren würde.
hessenschau.de: Nach zwei gewonnenen Relegationen mit dem SVWW ging es dieses Mal nach den Entscheidungsspielen gegen Regensburg wieder runter in die 3. Liga. Was halten Sie grundsätzlich von der Relegation – als Spieler, aber auch als Fußballfan?
Mockenhaupt: Als Fußballer würde ich sagen, dass es katastrophal ist. Ich habe natürlich auch schon zwei Mal davon profitiert. Aber dass eine Mannschaft, die die ganze Saison einen guten Job macht, sich noch mal beweisen muss, und eine Mannschaft, die die ganze Saison schlecht war, noch mal die Chance hat, das alles wett zu machen, hat für mich mit Fairness nichts zu tun. Als Fan sind es natürlich spannende Spiele und die Emotionen sind natürlich geil. Aber ich bin eher ein Freund davon, dass die Vereine das kriegen, was ihnen zusteht. Und wenn es der Aufstieg oder der Abstieg ist, dann soll es halt so sein.
hessenschau.de: Sie haben direkt nach dem Abstieg bei uns Journalistinnen und Journalisten in der Mixed Zone gesagt, dass Sie auf jeden Fall dem Verein treu bleiben werden. Um Sie herum gab es dann aber wieder einen großen Umbruch.
Mockenhaupt: Ein Stück weit ist das im Fußball natürlich normal, wenn sich die Ligazugehörigkeit ändert. Dann gibt es natürlich Spieler, die andere Interessen haben, den Verein, der vielleicht eine andere Ausrichtung hat und einen Trainer, der anderes Spielermaterial braucht. Für mich ist es immer spannend. Da ich jetzt schon so lange dabei bin, habe ich immer eine Führungsrolle und mir macht es auch Spaß, die neuen Spieler zu integrieren. Dieses Jahr war es deutlich einfacher, weil viele hungrige Spieler dabei waren. Und viele aus dem Inland, das war letztes Jahr auch anders. Seit Tag eins hat man das Gefühl, dass viele Gas geben und sich in der Liga beweisen wollen. Deswegen war auch unser Saisonstart gut.
hessenschau.de: Sie persönlich haben allerdings das Amt des Kapitäns an Florian Stritzel verloren. Hat Sie das gewurmt?
Mockenhaupt: Ich müsste lügen, wenn es ich sagen würde, dass es mich nicht berührt hat. Ich hätte es gerne weitergemacht. Aber an der Rolle an sich ändert sich für mich nichts. Neben dem Platz kommen viele Jungs zu mir und auf dem Platz versuche ich, mit Leistung vorwegzugehen. Meine Stimme hat Gehör. Mir hat jetzt niemand den Boden unter den Füßen weggezogen. Es war eine Entscheidung des Trainers, die ich anders getroffen hätte. Nachdem er sich auf einen Kapitän festgelegt hat, haben wir gewählt und da war ich mit großem Abstand Erster. Das Team will mich also in einer Führungsposition. Aber ich kann mich nicht wochenlang drüber ausheulen.
hessenschau.de: Wie zufrieden sind Sie als Team mit der Drittliga-Hinrunde?
Mockenhaupt: Hätten wir gegen Ingolstadt gewonnen, hätte ich wahrscheinlich gesagt, dass ich zufrieden bin. Das ist natürlich auch noch relativ nah, auch durch die Höhe. Wenn wir das Spiel gewonnen hätten, wären wir komplett da, wo wir sein wollten – in Schlagdistanz zu den oberen Plätzen. Das haben wir von Anfang an kommuniziert, dass wir das wollen. Dass wir im Laufe der Rückrunde noch in der Position sind, dass wir was reißen können. Beide Aufstiege, die ich hier erlebt habe, waren genau so. Es sind immer Spiele dabei, die man vielleicht gewinnen kann, der Last-Minute-Ausgleich in Mannheim oder in Dortmund. Wenn man die Punkte draufrechnet, sieht es auch wieder ganz anders aus. Das ist aber auch einfach die 3. Liga, da ist alles relativ eng. Aber wir haben uns mit Ball extrem weiterentwickelt, wir müssen einfach den Fokus darauf legen, weniger Gegentore zu kriegen.
hessenschau.de: Gab es für Sie ein sportliches Highlight in dieser Hinrunde?
Mockenhaupt: Spontan fällt mir der Heimsieg gegen Rostock ein. Der hat sich gut angefühlt, weil wir da echt gut gespielt haben und der Gegner zu diesem Zeitpunkt noch echt gut eingestuft war. Das Dortmund-Spiel hat sich auch geil angefühlt, wenn man das Last-Minute-Gegentor ausklammert. Denn sowas schaffst du nur mit einer extrem guten Mannschaftsleistung, mit einem Mann weniger über so einen langen Zeitraum.
hessenschau.de: Und dann war da natürlich noch ein persönliches Highlight: Sie sind seit einigen Wochen offiziell der Rekordspieler des SV Wehen Wiesbaden im Profifußball. Was bedeutet Ihnen das?
Mockenhaupt: Im Prinzip war es immer das, was ich wollte von meiner Karriere: Bei einem Verein etwas Besonderes leisten, statt immer dahin zu wechseln, wo es vielleicht sportlich besser läuft oder finanziell besser aussieht. Die Optionen habe ich immer ausgeschlagen, weil mir immer wichtig war, danach draufgucken und sagen zu können: Auf die Leistung bin ich stolz. Das kann man natürlich an der Zahl festmachen, aber wenn noch jemand anderes hundert Spiele mehr hätte, wäre es für mich trotzdem dasselbe Gefühl. Ich bin ja auch immer noch Fußballfan und die Identifikation mit einem Spieler ist immer was Besonderes. Und das gibt es hier mit mir.
hessenschau.de: Den Titel des Rekordspielers haben Sie von Alf Mintzel übernommen, der ja auch noch im Verein tätig ist. Wie wurde darüber intern gesprochen?
Mockenhaupt: Ich habe mich mit ihm schon super verstanden, während wir noch zusammengespielt haben. Wir haben irgendwann darüber Witze gemacht, weil wir auch ein sehr witzereiches Verhältnis haben. Wir nehmen uns da gegenseitig gerne mal aufs Korn. Alf hat ja auch gesagt: "Rekordspieler ist das eine, Legende ist was anderes". Wir haben irgendwann gesagt, dass es für uns okay ist, wenn beide Trikots hier im VIP-Raum über der Bar hängen. Da können wir uns beide mit identifizieren. Ich glaube, dass Vereine solche Spieler einfach brauchen. Mir wäre es lieber, wenn es davon mehr geben würde.
hessenschau.de: Sie stehen aktuell kurz vor der 300-Spiele-Marke für die Wiesbadener. Wie viele Spiele sollen noch dazukommen?
Mockenhaupt: Um meinen guten Freund Alf Mintzel zu zitieren: "Spiel, solange du kannst!" Das würde ich auch beherzigen. Ich habe noch kein Gefühl, dass mein Körper resigniert. Meine athletischen Daten sagen, dass ich besser bin als vor fünf Jahren. Ich habe viel dazugelernt und mir viel angeeignet, was weiterhilft, weshalb ich fast nie verletzt war. Dementsprechend fühle ich mich noch extrem fit. Solange ich einen Mehrwert für den Verein bringe, will ich auf dem Feld stehen. Sollte es irgendwann nur noch Teilzeit oder nur noch in der Kabine sein, dann werde ich mich auch mit so einer Rolle identifizieren können. Ich glaube nicht, dass irgendwann eine Zeit kommt, in der ich gar nichts mehr geben kann.
hessenschau.de: Wie hat sich Ihrer Meinung nach die Außenwirkung des Vereins während Ihrer Zeit beim SVWW verändert?
Mockenhaupt: Es wird inzwischen viel mehr gelebt, dass es hier einen Fußballverein gibt. Als ich hergekommen bin, habe ich relativ schnell mitbekommen, dass es eine Diskrepanz von Wehen und Wiesbaden gibt und nicht allzu viele Leute, die begeistert im Stadion singen. Der Zuschauerschnitt war extrem schwankend. Jetzt ist es stabiler, es gibt einen Kern, der einfach gerne hierher kommt. Man sieht viel mehr Kinder. Und das braucht es einfach, weil die vielleicht irgendwann selbst Kinder haben, die dann damit aufwachsen. Nur so entsteht Tradition. Und den Anstoß haben wir glaube ich gegeben. Natürlich mit beiden Aufstiegen, mit extrem guten Pokalperformances, auf die das ganze Land geschaut hat wie gegen Leipzig. Man nimmt uns einfach wahr.
Das Interview führte Sonja Riegel.