
MT Melsungen beim Final-4-Pokal Aus der Geschichte lernen - und Geschichte schreiben
Die MT Melsungen kann am Wochenende den ersten Titel ihrer Geschichte feiern. Doch zuvor wartet ein Kräftemessen mit einem Underdog. Das weckt tränenreiche Erinnerungen.
Diese Szene hat sich tief ins Pokal-Gedächtnis eingegraben: Timo Kastening sitzt vollkommen übermannt von seinen Emotionen und Tränen an der Werbebande und muss von seinem Kumpel Silvio Heinevetter und dann vom gegnerischen Trainer Florian Kehrmann getröstet werden. Gerade hatten die Melsunger im Juni 2021 das Pokalfinale gegen den TBV Lemgo verloren, obwohl sie als klarer Favorit in das Endspiel gegangen waren.
"Mir kommen selten beim Sport die Tränen", erinnert sich Kastening im Gespräch mit dem hr-sport an das damalige Drama. "Die Mannschaft ist in diesem Spiel in ihre Einzelteile zerfallen, wir haben es kläglich an die Wand gefahren." Vielleicht, so sagen nicht wenige in Melsungen, sei das Finale seinerzeit zu früh gekommen für die MT. Das hat sich nun geändert: Am kommenden Wochenende hat das gefestigte Team wieder die Chance, den ersten Titel der Vereinsgeschichte zu gewinnen.
Beim FinalFour um den DHB-Pokal trifft sie im Halbfinale auf den Zweitligisten Balingen-Weilstetten (Samstag, 19 Uhr) und ist klarer Favorit. Das Endspiel würde dann am Sonntag (15.35 Uhr) anstehen.
Torwart Simic warnt vor Zweitligisten
Aus der Pleite gegen Lemgo 2021 sollte Melsungen aber auch Rückschlüsse auf die heutige Zeit ziehen: In der K.o.-Runde kann sich eben auch der Underdog durchsetzen. So war es damals mit den in der Tabelle weit tiefer positionierten und vom Verletzungspech gebeutelten Lemgoern. "Ein Pokalsieg wäre eine große Geschichte für den Klub und die Region, doch wir schauen erst einmal nur aufs Halbfinale", sagt Kastening daher. Balingen kommt zwar aus der zweiten Liga, spielt dort aber um den Aufstieg mit und wird von den Melsungern als "gefühlter Erstligist" wahrgenommen.
Torwart Nebosja Simic warnt zudem aus Erfahrung: "Auf dem Weg zum Finale im vergangenen Jahr haben wir beim Zweitligisten Dessau zwischendurch mit minus sechs hintengelegen. Auch gegen Lübbecke haben wir uns schwergetan." Im April 2024 hatten die Melsunger im Halbfinale Flensburg ausgeschaltet, doch im Endspiel blieb dann der SC Magdeburg eine Nummer zu groß.
Über einen möglichen Finalgegner in diesem Jahr - im anderen Halbfinale spielen die Rhein-Neckar Löwen gegen Kiel - will Torwart Simic dann auch gar nicht viel sagen. Nur einen Spruch von seiner Mutter zitiert er: "Du weißt nie, was im Leben kommt und wofür es dann gut ist."
Märchen-Geschichte soll sich wiederholen
In der Rückschau auf die Finalniederlage von 2021 hat aber noch eine andere Geschichte aktuelle Bedeutung. Damals wechselte Christoph Theuerkauf bei Lemgo quasi aus der Rente von der Geschäftsstelle auf die Platte und krönte sein Comeback mit dem Triumph. "An Theuers' Geschichte habe ich auch sofort gedacht", bemerkte Felix Danner unlängst im hr-sport-Interview. Er wurde nun von der MT reaktiviert und spielt gleich im Pokalhalbfinale gegen seinen vorherigen Klub. Er sagt: "Meine Familie und ich hatten sowieso gleich Karten für den MT-Block geholt."
Dieser war mit 1.170 Karten direkt ausgebucht, es könnten sich noch weitere Fans auf die umliegenden Blöcke verteilen. Trotzdem wird Melsungen zumindest am Samstag stimmungstechnisch in der Unterzahl sein, weil die Halle in Köln prinzipiell eher den Außenseiter anfeuert. Doch es deutet viel darauf hin, dass die MT dieser Situation gerecht werden kann und auch die Balinger mitnichten unterschätzt. Bester Beweis: In der Liga strauchelte die MT nur zwei Mal bei den vermeintlichen Leichtgewichten (Eisenach und Hamburg), erledigte sonst ihre formellen Pflichtaufgaben besser als die Konkurrenz.
Die MT wirkt noch gereifter als bei der Finalniederlage vor einem Jahr und geschlossener als vor vier Jahren. Trainer Roberto Garcia Parrondo bringt die Mentalität trotz all der Verletzungssorgen auf den Punkt: "Die Spieler haben begriffen, dass die Mannschaft das wichtigste ist. Und dass wir in jedem Spiel hart kämpfen müssen." Das wiederum wäre oder ist ein gravierender Unterschied zu 2021.