Eintracht-Kapitänin Tanja Pawollek im Interview Eintracht-Kapitänin Tanja Pawollek im Interview: "Es war Horror"
Tanja Pawollek ist ein echtes Urgestein der Fußballerinnen von Eintracht Frankfurt. Ihr Jahr 2024 war jedoch überschattet vom zweiten Kreuzbandriss ihrer Karriere. Im Interview spricht sie über die schwere Zeit - und warum sie sich jetzt stärker fühlt.
Tanja Pawollek ist ein echtes Frankfurter Urgestein. Schon in der Jugend kickte die heutige polnische Nationalspielerin für den 1. FFC Frankfurt, seit der Fusion ist sie nun Kapitänin von Eintracht Frankfurt. Doch es ging nicht immer nur bergauf, Pawollek hatte im Alter von erst 25 Jahren schon zwei Kreuzbandrisse zu überstehen.
hessenschau.de: Tanja Pawollek, Sie haben in den letzten vier Jahren zwei Kreuzbandrisse auskuriert. Zuletzt spielten Sie wieder regelmäßig. Wie geht es Ihnen aktuell?
Tanja Pawollek: Mir geht es gut. Ich bin froh, dass ich wieder auf meinem Niveau bin und ganze Spiele spielen kann. Bis jetzt ist zum Glück alles im Lot und meine Knie funktionieren ganz gut. Ich bin einfach froh, meinem Alltag wieder nachgehen und Fußball spielen zu können. Wenn man so eine Verletzung hat, ändert sich das Leben natürlich von heute auf morgen.
hessenschau.de: Lassen Sie uns einmal über den Moment sprechen, in dem Sie sich Ihr Kreuzband zum zweiten Mal gerissen haben. Im Champions-League-Spiel gegen Barcelona, Anfang des Jahres. Was ging Ihnen in diesem Moment durch den Kopf?
Tanja Pawollek: Es war Horror. Ich wusste direkt, dass es etwas Schlimmes ist. Es hat sich genauso angefühlt wie beim ersten Mal, deswegen war ich sehr emotional und musste erst einmal beruhigt werden. Ich weiß noch, wie ich vom Platz gegangen bin und dachte: "Scheiße, jetzt kommen wieder ganz viele Reha-Tage auf mich zu." Ich bin dann in die Kabine und musste mich erstmal sammeln und meine Familie anrufen. Wenn ich daran denke, bekomme ich immer noch negative Gänsehaut. Ich hatte nicht gedacht, dass mir das noch einmal passieren würde. Deswegen hat mir das den Boden unter den Füßen weggezogen. Viele haben mich gefragt, ob es etwas Gutes war, dass ich die Verletzung schon kannte. Aber für mich war es eher etwas Schlechtes. Ich kannte jeden Schritt, der auf mich zukam, und wusste, wie lange sich das in meinem Kopf auch ziehen kann.
hessenschau.de: Sie sagten, Sie mussten beruhigt werden. Wer hat das in den ersten Stunden gemacht?
Tanja Pawollek: Cara Bösl, damals noch eine unserer Torhüterinnen, die gegen Barcelona gespielt hat. Sie ist eine meiner besten Freundinnen und hatte schon meinen ersten Kreuzbandriss mit mir durchlebt. Nach dem Spiel ist sie mit mir direkt ins Krankenhaus gefahren, nach dem MRT lagen wir uns erst einmal weinend in den Armen. Auch Barbara Dunst, die nun leider selbst einen Kreuzbandriss erlitten hat, war immer für mich da. Im ersten Moment ist es einfach wichtig, Leute um dich herum zu haben, die dir Halt geben. Und die wissen, wie man dich aufmuntern muss. Es bringt nichts, die ganze Zeit über die Verletzung zu reden. Ablenkung ist in den ersten Momenten sehr wichtig.
hessenschau.de: Kann man sich überhaupt richtig ablenken nach so einer Diagnose?
Tanja Pawollek: Allein die Leute um sich herum zu haben und zu sehen, wie es auch die emotional mitnimmt, gibt einem Kraft. Aber Ablenkung ist natürlich schwierig, ich habe in der ersten Nacht kein Auge zugedrückt, weil man sich viele Gedanken macht: Wie die OP wird, wie viele Schmerzen man haben wird …
hessenschau.de: Wer oder was hat Ihnen noch in diesen schweren Momenten Hoffnung gegeben?
Tanja Pawollek: Meine Familie. Man ist ja erst einmal wenig mobil, deswegen habe ich am Anfang bei meinen Eltern gewohnt. Die haben mich jeden Tag zur Reha oder zu Freunden gefahren, mir Frühstück gemacht oder mit mir gespielt, um mich abzulenken. Es hat mir unheimlich viel Kraft gegeben, die Familie hinter mir zu haben. Ich wüsste nicht, wie ich es ohne sie geschafft hätte.
hessenschau.de: Haben Sie nie daran gezweifelt, wieder auf den Platz zurückzukehren?
Tanja Pawollek: Auf keinen Fall. Ich hatte es ja schon einmal geschafft. Als die ersten Wochen dann vorbei waren und ich ein bisschen mobiler wurde und die Schmerzen auch zurückgingen, habe ich mich wieder aufrappeln können. Dann konnte ich positiver an die Sache rangehen. Das ist auch im Rehaprozess ganz wichtig, um den Heilungsverlauf schnell verbessern zu können.
hessenschau.de: War diese Reha anders als die vorherige?
Tanja Pawollek: Ich habe die ersten fünf Monate der Reha bei uns im Verein gemacht. Das war natürlich cool, weil ich die Mädels so jeden Tag gesehen habe. Ich war bei ihnen in der Kabine oder wir haben zusammen gegessen, das hat mir unheimlich viel Kraft gegeben. Ich bin ja auch Kapitänin und bin schon so lange bei diesem Verein – da ist es für mich natürlich wichtig, bei den Mädels zu sein. Ich glaube, dass es auch für die Mannschaft gut war, zu sehen, dass ich sie nie vergesse und sie immer unterstütze. Die vergangenen Monate habe ich dann in einer Reha außerhalb verbracht, wo ich mich noch mal komplett auf mich selbst fokussieren konnte.
hessenschau.de: Nun haben Sie im September Ihr Comeback in der 2. Bundesliga gegeben. Wie war dieser Moment?
Tanja Pawollek: Auch wieder sehr emotional. Ich weiß noch, wie aufgeregt ich an diesem Tag war. Ich wusste, dass ich nur 15 Minuten spielen würde, aber trotzdem konnte ich in der Nacht zuvor kaum schlafen. Man hat so viele Einheiten hinter sich und hat so viel getan, um wieder auf dem Platz zu stehen. Deshalb war es in dem Moment richtig, richtig schön. Es war ein Heimspiel, meine ganze Familie war da und auch ein paar Freunde. Deshalb war das für mich ein sehr emotionaler Moment, den ich nie mehr vergessen werde. Nach so einer langen Zeit macht einen das stolz.
hessenschau.de: Würden Sie sagen, dass Sie mittlerweile wieder bei 100 Prozent sind?
Tanja Pawollek: Das würde ich schon sagen. Natürlich habe ich jetzt noch nicht so viele Spiele gemacht, aber ich bin körperlich in einer sehr guten Verfassung. Vielleicht sogar noch besser als vor der Verletzung. Man kommt eigentlich immer stärker aus der Reha zurück, als man vorher war. Und natürlich habe ich am Anfang ein bisschen gebraucht, um wieder Vertrauen ins Knie zu bekommen. Mittlerweile denke ich da aber gar nicht mehr dran und kann sagen, dass ich auch vom Kopf her bei 100 Prozent bin.
hessenschau.de: Jetzt haben wir viel über die Verletzung geredet, aber in diesem Jahr ist ja auch auf dem Platz einiges passiert. Bei der Eintracht läuft es in dieser Saison richtig gut, Sie sind Herbstmeister geworden. Wo soll die Reise in dieser Saison noch hingehen?
Tanja Pawollek: Ich glaube auch, dass es sehr gut läuft. Nicht jeder hat erwartet, dass wir dort stehen. Wir haben einen Flow, es läuft. Und mal schauen, wo die Reise noch hingeht. Aber wenn man schon da oben steht, dann möchte man dort auch ganz gerneg bleiben.
hessenschau.de: Auch mit der Nationalmannschaft läuft es für Sie. Mit Polen haben Sie sich für die Europameisterschaft qualifiziert, zum ersten Mal in der Geschichte des Landes geht es zu einem großen Turnier. Was bedeutet Ihnen das?
Tanja Pawollek: Mega viel. Ich habe immer noch nicht ganz realisiert, dass wir das gepackt haben. Wenige haben an uns geglaubt, vor allem nach der Nations League, die wir mit null Punkten beendet haben. Aber man hat im Vorfeld gemerkt, wie sehr wir das auch wollten. Es ist einfach toll, zu wissen, dass wir jetzt zum ersten großen Turnier in der Geschichte Polens fahren. Man merkt, dass sich im Land etwas beim Frauenfußball getan hat, und dass das auch etwas für den Fußball in Polen bedeutet. Und dann diese Emotionen nach dem Spiel… Ich erinnere mich noch an die Bilder, wie zum Beispiel Eva Pajor mit Tränen dastand und es gar nicht fassen konnte. Es war für jeden von uns eine Herzensangelegenheit.
hessenschau.de: 2024 haben Sie wirklich alles erlebt. Wie würden Sie das Jahr abschließend beschreiben?
Tanja Pawollek: Voll mit Höhen und Tiefen. Es hat ziemlich bescheiden angefangen: Die Reha, dann erst Ende des Jahres richtig zurück bei der ersten Mannschaft zu sein. Es war eine schwierige Zeit, aber dass das jetzt so gekrönt wurde, hätte ich mir nicht träumen lassen. Ich habe es noch nie erlebt, dass ein Jahr mit so einer Enttäuschung startet und ich dann am Ende des Jahres noch so etwas Schönes erleben durfte. Ich bin mega dankbar dafür und bin auch extrem stolz auf mich, weil ich diesen Weg gegangen bin und nie aufgegeben habe.
Das Gespräch führte Henning Middeldorf