Kein Ergebnis am Landgericht Dortmund Rechtsstreit zwischen DHB und Ex-Trainer Fuhr geht weiter
Im Juli musste die Aufarbeitungskommission des Deutschen Handballbundes ihre Arbeit wegen einer einstweiligen Verfügung des beschuldigten Trainers André Fuhr einstellen. Vor Gericht konnten sich beide Parteien nun nicht einigen – es droht eine Hängepartie.
Wie weit darf ein Sportverband bei der externen Aufarbeitung von Gewaltvorwürfen gegen einen Trainer gehen? Das war die große Frage an diesem Freitagvormittag (27.9.2024) am Landgericht Dortmund - und sie blieb zunächst unbeantwortet.
In Dortmund saßen sich der Deutsche Handballbund (DHB) und der frühere Trainer André Fuhr gegenüber, vertreten durch seinen Anwalt Markus Buchberger. Fuhr hatte im Juli durch eine einstweilige Verfügung die Arbeit der Aufarbeitungskommission gestoppt, die Vorwürfe mehrerer Spielerinnen gegen ihn überprüfte. Der Einspruch des DHB gegen diese Verfügung wurde am Freitag verhandelt - nun wird der Fall womöglich zur Hängepartie.
Die Vorsitzende der Zivilkammer, Richterin Dagmar Wohlthat, bezeichnete den Sachverhalt als "Neuland", der DHB und Fuhr befänden sich in einer "verzwickten Lage". Wohlthat tendiert aber offenbar in Richtung Fuhrs Seite. Es sei nicht satzungskonform, aus einem Verband die "Tat- und Schuldfeststellung auszulagern". Die einstweilige Verfügung des Oberlandesgerichts Hamm hätte sie deswegen wohl bestätigt. Doch das Problem wäre damit womöglich nicht gelöst, weil die Streitigkeiten im Rahmen eines verbandsinternen Verfahrens neu aufflammen könnten. Daher schlug die Kammer vor, im Sinne der Rechtssicherheit eine gemeinsame Lösung zu finden.
Urteil womöglich erst im November
Beide Parteien lehnen jedoch eine Mediation ab, sodass die Kammer in der kommenden Woche einen Vergleichsvorschlag an beide Parteien richten will. Sowohl DHB als auch Fuhr bekämen dann drei Wochen Zeit zur Stellungnahme. Wenn keine Einigung erzielt wird, verkündet die Kammer Mitte November ein Urteil. Ob die Aufarbeitungskommission dann ihre Tätigkeit fortsetzen kann, ist fraglich. Durchaus möglich, dass stattdessen ein verbandsinternes Verfahren gegen Fuhr geführt wird. Grundlage hierfür ist die Trainerordnung des DHB.
Der DHB, der in Dortmund seinen Sitz hat, wurde vor dem Landgericht durch Rainer Cherkeh vertreten. "Die Bremse zu ziehen und die Tätigkeit der Aufarbeitungskommission zu beenden, das ist viel zu früh. Auch in Aufarbeitungsprozessen in der Kirche wurde direkt damit begonnen", argumentierte Cherkeh. Ziel der Kommission sei es gewesen, Sachverhalte aufzuarbeiten und daraus für die Zukunft Rückschlüsse zu ziehen sowie Empfehlungen auszusprechen.
"Berufsverbot“ für Fuhr
Auf der Gegenseite argumentierte Fuhrs Anwalt Buchberger, dass sein Mandant aufgrund einer mangelnden Beleglage bereits als "Tatperson" bezeichnet worden sei und damit als "schuldig" gelte. Dies sei einem "Berufsverbot" für Fuhr gleichgekommen, weil er seitdem nicht mehr im Profibereich gearbeitet hat. Ob Fuhr als Trainer im deutschen Handball je wieder Fuß fassen kann, erscheint fraglich. Grund dafür sind die Entwicklungen im Herbst 2022.
Damals hatten die Nationalspielerinnen Mia Zschocke und Amelie Berger bei Borussia Dortmund wegen ihres Trainers Fuhr ihre Kündigung eingereicht. Wegen Fuhrs Verhaltensweisen hatten sich beide zuvor an die "Anlaufstelle gegen Gewalt" der Interessensvertretung Athleten Deutschland gewandt. Wenig später löste der BVB dann auch den Vertrag mit dem Trainer auf.
Dem "Spiegel" berichteten dann weitere Spielerinnen von ihren negativen Erfahrungen mit Fuhr, der den Aussagen zufolge in vielen Bereichen Grenzen überschritten haben soll. In der Folge hatte der DHB eine Expertenkommission einberufen, die sich allerdings schon vor Weihnachten aufgrund "unüberbrückbarer persönlicher Differenzen" wieder aufgelöst hatte.
Auch Aufarbeitung im Schwimmsport stockt
In neuer Zusammensetzung nahm die Aufarbeitungskommission dann Ende März 2023 ihre Arbeit auf. Das Ergebnis hätte ursprünglich Ende 2024 präsentiert werden sollen. Indirekt wirkt sich dieser Fall auch auf eine weitere Aufarbeitungskommission im deutschen Sport aus - die des Deutschen Schwimmverbandes (DSV). Nach der Veröffentlichung der ARD-Dokumentation "Missbraucht: Sexualisierte Gewalt im deutschen Schwimmsport" im August 2022 hatte der DSV ebenfalls eine solche externe Aufarbeitungskommission ins Leben gerufen, die auch im März 2023 ihre Arbeit aufgenommen hatte.
Anlass waren Fälle wie der des ehemaligen Weltklasse-Wasserspringers Jan Hempel, der hochrangigen DSV-Funktionären vorgeworfen hatte, dass diese von jahrelanger, an ihm ausgeübter sexualisierte Gewalt durch seinen Trainer gewusst hätten, ohne entschieden dagegen vorgegangen zu sein. In der Doku sprachen auch weitere Betroffene erstmals öffentlich über den erlittenen Missbrauch. Nach der Veröffentlichung hätten sich laut DSV weitere Betroffene gemeldet. Die Kommission sollte allerdings vorrangig die in dem Film thematisierten Fälle aufarbeiten.
DSV will Bericht ab Mitte Oktober prüfen
Der DSV hatte 100.000 Euro für die Kommission bereitgestellt. Ursprünglich war das Projekt für ein Jahr angelegt, der Abschlussbericht sollte im Frühjahr 2024 erscheinen. Im April wies der DSV dann seine Mitglieder darauf hin, dass die geplante Arbeit ausgedehnt werden müsse, die Vorstellung der Ergebnisse sollte daher im September 2024 erfolgen. Der DSV ließ auf ARD-Anfrage mitteilen, dass die Kommission nun plane, "den vollständigen Bericht bis voraussichtlich Mitte Oktober vorzulegen". Der DSV werde diesen "prüfen, verbandsintern beraten und anschließend öffentlich Stellung dazu beziehen". Die Verzögerung stehe nicht im Zusammenhang mit dem ungelösten Rechtsstreit zwischen André Fuhr und dem DHB, antwortete der DSV.
Aus Sicht der Betroffenen gibt es allerdings eine entscheidende Parallele: So sehr sich Sportverbände im Handball und Schwimmen anstrengen, eine Aufarbeitungskommission ins Leben zu rufen - danach passiert erstmal lange Zeit nichts. Zwei Jahre nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Fuhr und die Missbrauchskomplexe aus der ARD-Doku gibt es vorerst keine Ergebnisse, keine Empfehlungen und keine Strukturveränderungen - trotz zum Teil erschütternder Äußerungen der Betroffenen über Grenzüberschreitungen, physische und sexualisierte Gewalt.