Franzose in Gelb Romain Bardets Coup d'Italia
Romain Bardet erobert auf der 1. Etappe der Tour de France dank der Hilfe seines Teamkollegen Frank van den Broek das Gelbe Trikot. Es ist ein Coup, der lange geplant und gut umgesetzt ist. Für Bardet rundet der Triumph die Karriere ab.
Es war die pure Fassungslosigkeit, mit der sich Romain Bardet und sein Teamkollege Frank van den Broek im Ziel in Rimini gegenüberstanden. Immer wieder schüttelten beide den Kopf, lachten, umarmten sich. Ganz unfassbar schien ihnen dieser Coup, der ihnen da gerade auf der 1. Etappe der Tour de France gelungen war.
Bardet "wie in der Waschmaschine"
Noch eine gute Stunde später, als Romain Bardet in Gelb gekleidet viele Fragen beantworten musste, kam er aus dem Gefühlswirrwarr nicht heraus. "Ich fühle mich wie in einer Waschmaschine", beschrieb Bardet sein Innenleben, nachdem sich der Traum vom Gelben Trikot erfüllt hatte. Der Traum eines jeden Radprofis, erst recht, wenn er aus Frankreich kommt.
"Das war natürlich ein Ziel, das ich mir gesetzt hatte", sagte Bardet. "Ich war schon kurz davor, es war zum Greifen nah, aber es hat nie geklappt." Bis zu diesem Tag, an dem die Tour de France zum ersten Mal in ihrer 121-jährigen Geschichte in Italien gestartet war. Einem Tag, an dem alle mit einem ersten Schlagabtausch der Favoriten auf den Gesamtsieg gerechnet hatten, weil unterwegs mehr als 3.600 Höhenmeter zu bewältigen waren auf dem Weg von Florenz durch den Apennin an die italienische Adriaküste.
Klassiker aus dem Taktiklehrbuch
Es kam anders, weil das Team dsm-firmenich PostNL einen Klassiker aus dem Taktiklehrbuch des Radsports zum Besten gab. Bardets Teamkollege van den Broek war an seinem ersten Tag bei seiner ersten Tour gleich in der Ausreißergruppe gelandet. Bardet löste sich später, am drittletzten Anstieg 50 Kilometer vor dem Ziel, aus der Spitzengruppe, schloss auf und fuhr dann gemeinsam mit dem Niederländer ins Ziel.
Fünf Sekunden retteten die beiden im Gegenwind vor der hinterherjagenden Gruppe um die Favoriten. "Am Ende war es pures Radrennen. Ohne Frank hätte ich es nicht geschafft", sagte Bardet völlig zu Recht, nachdem er schon kurz vor dem Ziel auf den jungen Kollegen gezeigt hatte. "Das halbe Trikot gebührt ihm."
Van den Broek hätte ja selbst das ganze Maillot Jaune erobern können an seinem allerersten Tag beim wichtigsten Radrennen der Welt. Aber er hielt sich brav an die Anweisungen des Teams und überließ dem älteren Kapitän den Erfolg und Gelb.
Die Last der Erwartungen abgelegt
Der 33 Jahre alte Bardet stammt aus Brioude in der Auvergne und bestreitet in diesem Jahr seine letzte Tour de France. Es ist seine elfte Teilnahme. Er feierte in Rimini bereits seinen vierten Tour-Etappensieg. Zwei Mal beendete er die Rundfahrt sogar auf dem Podium - 2016 als Zweiter und im Jahr darauf als Dritter.
Bardet weiß also, welche Last ein guter französischer Rundfahrspezialist zu schultern hat. Schließlich sehnt sich Frankreich seit mittlerweile 39 Jahren nach einem Toursieger aus dem eigenen Land. Bernard Hinault war 1985 der bislang letzte Franzose, dem das gelang. "Der nächste französische Toursieger sollte noch auf den Champs-Élysées seine Karriere beenden. Es wäre schwer, mit der ganzen Aufmerksamkeit und dem Druck zu leben", hat Bardet einmal gesagt.
Dem Trott entflohen
Er selbst hat irgendwann nicht mehr versucht, dem Toursieg nachzujagen. Zwar wechselte er zur Saison 2021 zum Team DSM, das damals noch unter deutscher Lizenz fuhr, weil er dem Trott in seiner französischen Equipe entfliehen und sich als Athlet weiterentwickeln wollte. Aber das hieß auch, nicht mehr alles nur auf die Tour auszurichten. Es kamen ja auch andere Hoffnungsträger nach wie Thibaut Pinot oder Julian Alaphilippe, der die Franzosen 2019 träumen ließ, als er sich bis zur 19. Etappe an das Gelbe Trikot klammerte.
Bardet dagegen verzichtete 2022 sogar ganz auf eine Teilnahme an der Tour de France, fuhr stattdessen den Giro d'Italia und die Vuelta a Espana. Auch in diesem Jahr hat er schon den Giro bestritten und ihn auf Platz neun beendet. Und noch in der Nacht nach der letzten Etappe in Rom war der Plan für die Tour entstanden.
"Romain und ich haben bis 1 Uhr morgens zusammengesessen und darüber gesprochen, wie wir in die Tour reingehen wollen", erzählte der sportliche Leiter des Teams dsm-firmenich Post NL, Matt Winston, in Rimini. "Und wir haben gesagt, wir wollen mit voller Kraft durchstarten. Romain hat sich speziell auf dieses erste Wochenende vorbereitet."
In Gelb nach Frankreich?
Dieser Plan ist nun aufgegangen und Romain Bardet bekommt seinen Moment in Gelb, auch wenn er das Trikot sicher nicht bis nach Nizza bringen wird, wo die Tour in drei Wochen endet. Mit ein bisschen Glück kann er es am Sonntag und am Montag verteidigen. Dann trüge Bardet das Maillot Jaune auf seinen Schultern nach Frankreich zurück - der Jubel seiner Landsleute wäre ihm gewiss.
Doch selbst wenn nicht, erlebte der Franzose in Rimini wohl "den größten Tag seiner Karriere", wie sein Teamkollege John Degenkolb zu Recht vermutete. Bardet selbst wird selbst allerdings noch ein bisschen brauchen. "Wenn ich eines Tages diesen Sieg reflektieren kann, werde ich zurückblicken und erkennen, wie besonders das war", sagte er. Aber zuerst muss die Waschmaschine stoppen.