Primoz Roglic
Tourreporter

Slowene stürzt schwer Primoz Roglic - fataler Schlag für den Traum vom Toursieg

Stand: 11.07.2024 21:42 Uhr

Primoz Roglic wird auf der 12. Etappe der Tour de France in einen schweren Sturz verwickelt. Der Slowene verliert dadurch Zeit auf das Gelbe Trikot. Doch das ist zunächst seine kleinste Sorge. Noch ist unklar, ob er überhaupt weiterfahren wird.

Von Michael Ostermann, Villeneuve-sur-Lot

Die Tour de France bietet an manchen Tagen einen skurrilen Sinn für Humor: Am Donnerstagmorgen (11.07.2024) hatte das Team Red Bull-Bora-hansgrohe in einem schmucklosen Hotel am Stadtrand von Aurillac die Sachen gepackt - in der Erwartung einer Überführungsetappe, die ohne weitere Folgen bleiben werde für den weiteren Verlauf der Rundfahrt.

Krisenstimmung im pastellfarbenen Schlösschen

Am Abend dann, nach einem für die deutsche World-Tour-Mannschaft fatalen Nachmittag, hatte die Tourorgansiation dem Team ein pastellfarbenes Chateau mit rosa Türmchen umgeben von einem weitläufigen Park zugewiesen. Der Ort passte nicht recht zu der düsteren Stimmung. In der Lobby des Schlösschens hielt die Sportliche Leitung der Mannschaft eine Art Krisensitzung ab, obwohl auch zwei Stunden nach dem Ende der 12. Etappe in Villeneuve-sur-Lot noch nicht klar war, wie und ob es denn weitergehen wird für Primoz Roglic bei dieser Tour.

Der Slowene war zu diesem Zeitpunkt noch in medizinischer Behandlung. Über die Art seiner Verletzungen gab es keine weiteren Auskünfte. Knochenbrüche aber scheint er nicht davongetragen zu haben. Denn eine halbe Stunde später schlenderte Roglic nachdenklich, mit Bandagen am linken Unterschenkel und am linken Knöchel sowie am rechten Knie über den Hotelparkplatz zum Küchen-LKW des Teams.

Heftiger Aufschlag auf dem Asphalt

Sprechen wollte er nicht und auch sonst niemand aus dem Team mehr. Zu tief saß der Frust über diesen Sturz auf der 12. Etappe, der Roglics Tourträume zumindest einen empfindlichen Dämpfer verpasst, wenn nicht gar beendet haben dürfte. Etwa zwölf Kilometer vor dem Ziel war Roglic heftig auf dem Asphalt aufgeschlagen, als das Fahrerfeld sich gerade in rasender Geschwindigkeit auf das Sprintfinale vorbereitete.

Umringt von seinen Teamkollegen war Roglic danach hinter dem davonziehenden Feld hergefahren. Im Ziel waren die sieben Radprofis dann mit 2:27 Minuten Verspätung eingetroffen. In der Gesamtwertung rutschte Roglic auf Rang sechs ab. Sein Rückstand auf Tadej Pogacar, den Träger des Gelben Trikots, beträgt nun bereits fast fünf Minuten. Auf Platz drei - und damit das Podium - fehlen mehr als drei Minuten.

Doch damit wollten sie sich bei Red Bull-Bora-hansgrohe zu diesem Zeitpunkt gar nicht beschäftigen. "Wir haben jetzt erstmal andere Sorgen. Jetzt geht es erstmal um Primoz als Menschen", hatte Sportdirektor Rolf Aldag noch am Mannschaftsbus erklärt, in den die Fahrer nach der Etappe wortlos verschwunden waren. Auch nach weiteren Analysen des Sturzgeschehens stand Aldag nicht recht der Sinn.

Aldag über Roglic - "Seine Gesundheit hat Priorität"

Sportschau, 11.07.2024 21:08 Uhr

Fahrbahnteiler löst Sturz aus

Roglic war, anders als am Vortag, wo er ebenfalls kurz vor dem Ziel gestürzt war, diesmal ohne eigenes Verschulden zu Boden gegangen. Auf einer Straße, auf der im Abstand von einigen Metern mehrere Fahrbahnteiler aneinandergereiht waren, hatte Alexey Lutsenko aus der Astana-Mannschaft auf der linken Straßenseite eine dieser Inseln touchiert und war darüber hinweg auf die rechte Seite in den dort fahrenden Teil des Feldes geflogen.

Roglic konnte dem dort gelandeten Kollegen nicht mehr ausweichen und stürzte über dessen Rad. Der Aufprall war heftig. In Mitleidenschaft gezogen war auch die rechte Schulter, die sich Roglic ausgekugelt hatte bei dem fatalen Sturz im Baskenland Anfang April, in den auch Jonas Vingegaard verwickelt gewesen war. Auch Roglics Tourvorbereitung war dadurch erheblich gestört worden.

Aldag: "Man kann niemanden beschuldigen"

Ob seine Mannschaft zum Zeitpunkt des fatalen Sturzes weiter vorne hätte positioniert sein sollen, dort wo auch die anderen Favoriten sich aufhielten - auch diese Frage stand zunächst unbeantwortet im Raum. Aldag wollte zudem das Problem der aneinandergereihten Fahrbahnteiler nicht groß debattieren. Für den Straßenradsport sind die Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung schon seit langem ein Problem, weil sie die Streckenauswahl erschweren und die Sicherheit der Radprofis gefährden können.

"An 364 Tagen sind diese Sachen gut, die Menschen im normalen Verkehr zu schützen, aber sie schützen sicher nicht die Fahrer in einem Finale", sagte Aldag. "Aber man kann niemanden beschuldigen. Wir wussten, dass sie dort sind, und ich weiß nicht, ob es eine Alternative zu dieser Straße gab, um ins Stadtzentrum zu kommen."

Wenn es weitergeht, nur unter Schmerzen

Sollte Roglic nach diesem Tag weitermachen können bei der Tour de France, wird er das nur unter Schmerzen tun können. Nach einer weiteren Überführungsetappe am Freitag geht es am Wochenende in die Pyrenäen. Dort nicht im Vollbesitz seiner Kräfte zu sein, dürfte den Slowenen weitere Zeit kosten.

Roglic dürfte bei seinem nachdenklichen Spaziergang am pastellfarbenen Schlösschen an diesem Abend auch daran gedacht haben. Und an seine unglückliche Beziehung zur Tour de France, die ihn nach seiner dramatischen Niederlage im Zeitfahren auf der vorletzten Etappe 2020 gegen Tadej Pogacar den Toursieg kostete - und die in den beiden darauffolgenden Jahren jeweils mit einem Sturz vorzeitig endete.

Soweit war es zumindest am Donnerstagabend noch nicht. Die Entscheidung, ob Roglic weiterfährt oder nicht, soll am Morgen vor der 13. Etappe fallen.