Tadej Pogacar während der 14. Etappe der Tour de France
Tourreporter

Pogacar baut Führung aus Improvisation mit brillantem Solisten

Stand: 13.07.2024 23:09 Uhr

Tadej Pogacar gewinnt die 14. Etappe und baut seinen Vorsprung in der Gesamtwertung aus. Das Momentum ist nun auf Seiten des Slowenen. Jonas Vingegaard muss sich dringend eine Strategie überlegen.

Von Michael Ostermann, Saint-Lary-Soulan Pla d'Adet

Der Krach, das Tosen der schreienden Menschen am Straßenrand. Adam Yates war nicht sicher, ob er das richtig verstanden hatte in all dem Lärm. Sollte er jetzt wirklich attackieren? Besser noch mal nachfragen. Aber ja, Tadej Pogacar hatte ihn zum Angriff aufgefordert fünf Kilometer vor dem Ziel der 14. Etappe der Tour de France auf dem Pla d’Adet oberhalb von Saint-Lary-Soulan.

Ein ausgeklügelter Plan? Von wegen

Also tat Yates, was sein Kapitän verlangte, ging aus dem Sattel und fuhr aus der klein gewordenen Gruppe um Pogacar und seinen Herausforderer heraus. Einen Kilometer später setzte der Mann im Gelben Trikot nach und fuhr zu seinem Teamkollegen auf, um von diesem noch ein bisschen Unterstützung zu erhalten, bevor er als Solist dem Etappensieg entgegenfuhr.

Was für eine taktische Meisterleistung, ein ausgeklügelter Plan und das perfekte Ende der Mannschaftsleistung des UAE-Teams an diesem Tag in den Pyrenäen? Von wegen. "Mit Tadej weiß man nie, was der Plan ist", sagte Yates. Improvisation ist gefragt. Ein Radsport-Team als Jazz-Ensemble, angeführt von einem brillanten Solisten. "Ja vielleicht ist es ein wenig Improvisation", sagte Pogacar nach seinem Triumph, "es ist schwer zu beschreiben, wie man zu so einer Entscheidung kommt."

Vingegaard ist glücklich und traurig

Wie auch immer - seinen ärgsten Rivalen, den Dänen Jonas Vingegaard, erwischte diese taktische Variante auf dem falschen Fuß. "Wir haben das nicht antizipiert und hatten auch keine Möglichkeit, zu reagieren", musste dessen Sportlicher Leiter beim Team Visma-Lease-A-Bike, Grischa Niermann, zugeben: "Aber ich glaube nicht, dass das Pogacar die halbe Minute eingebracht hat. Das war eher seine eigene Attacke - und der konnte Jonas nicht folgen."

39 Sekunden nach Pogacar war Vingegaard ins Ziel auf 1.669 Metern Höhe gerollt. In der Gesamtwertung hat er damit nun 1'57 Minuten Rückstand auf das Gelbe Trikot, rückte allerdings auf Rang zwei des Klassements vor, weil der Belgier Remco Evenepoel noch einmal eine halbe Minute später ankam.

Vingegaard wusste dann auch nicht recht, wie er diesen Tag für sich einordnen sollte. "Glücklich und traurig zugleich" sei er, erklärte der Däne: "Ich habe eine gute Leistung gezeigt, darüber kann ich nicht enttäuscht sein, aber natürlich ist es enttäuschend 40 Sekunden zu verlieren."

Radsport ist nur ein Spiel

Nachdem Vingegaard auf der 11. Etappe im Sprint gegen Pogacar den Tagessieg errungen hatte, ist nach dem ersten Tag des schweren Pyrenäenwochenendes das Momentum nun wieder auf Seiten Pogacars. Als Revanche wollte der Slowene das allerdings nicht verstanden wissen. "Es ist ja kein Krieg oder so was", sagte Pogacar: "Es ist nur Radsport, ein Spiel, das wir spielen."

Ein Mannschaftssport vor allem. Und auch deswegen hat Pogacar nun das Momentum auf seiner Seite. Sein Team präsentierte sich an diesem Tag als deutlich stärker als Vingegaards Mannschaft. Pogacar hatte seine Teamkollegen von Beginn an das Rennen bestimmen lassen. Vor allem Nils Politt beeindruckte in den ersten beiden Rennstunden, als er das Feld fast im Alleingang über den Tourmalet geführt hatte.

"Nils war unglaublich", lobte Pogacar später seinen deutschen Teamkollegen, der schon auf den flacheren Etappen gemeinsam mit dem Belgier Tim Wellens seine Dienste im Wind geleistet hatte: "Sie haben schon so hart gearbeitet in diesen zwei Wochen. Und heute haben sie die Ausreißer in Schach gehalten. Wirklich, wirklich beeindruckend. Alle haben einen perfekten Job gemacht."

Vingegaard hofft auf zweiten Pyrenäentag

Bei Visma-Lease A Bike, der Mannschaft, die anders als Pogacars Team nicht so gerne improvisiert, müssen sie sich nun überlegen, wie sie den derzeitigen Machtverhältnissen auf der Straße begegnen wollen. Sie selbst können das Rennen derzeit offenbar nicht bestimmen, weshalb es nun vor allem auf Vingegaard selbst ankommen wird. "Natürlich hoffen wir trotzdem, dass noch Etappen kommen, wo wir Zeit zurückgewinnen können", sagte der Sportliche Leiter Grischa Niermann: "Aber im Moment müssen wir ganz klar sagen, sieht es nicht danach aus."

Vingegaard selbst klang auf dem Pla d’Adet nicht ganz so fatalistisch. Der Schlussanstieg dort lag Pogacar deutlich besser als ihm. "Auf den steilen Stücken habe ich Zeit gut gemacht", sagte der Däne. Doch die flacheren Passagen, die Rhythmuswechsel waren zu Pogacars Vorteil. Schon die zweite Pyrenäenetappe am Sonntag, die auf dem Plateau de Beille erneut mit einer Bergankunft endet, kann das Pendel wieder in die andere Richtung schwingen lassen. Es werde heißer und die Etappe sei deutlich länger, sagte Vingegaard. "Je länger, desto härter, desto besser."

Er muss nun allerdings attackieren, während Pogacar mit fast zwei Minuten Vorsprung im Klassement erst einmal nur reagieren kann. Aber natürlich will der Slowene sich darauf nicht beschränken. "Wir wollen das Momentum, die Energie im Team, die guten Beine behalten", sagte er grinsend. Der Rest ist dann Improvisation.