Tour de France Femmes 185 Kilometer: Braucht der Frauenradsport längere Etappen?
Einige Fahrerinnen freuten sich auf die vierte Etappe der Tour de France Femmes, andere hatten so etwas wie Angst. Das lag an der ungewöhnlichen Länge der Strecke, für welche die Tour-Organisatoren eine Sondergenehmigung benötigten.
Als sie vor dem Start gefragt wurde, wie es ihr gehe, wirkte Clara Koppenburg leicht eingeschüchtert. Eigentlich ginge es ihr ganz gut, aber es sei schon verdammt anstrengend. Die Rennen hart, die Tage lang, Zeit für Erholung? Nicht wirklich. Und dann stand der Tour-Debütantin und den anderen auch noch die bisher größte Strapaze der Tour de France Femmes bevor, nämlich die mit 185 Kilometern längste der acht Etappen.
UCI-Regel: Nicht mehr als 160 Kilometer
"So eine lange Strecke bin ich vorher noch nie gefahren. Die letzten beiden Etappen waren schon meine längsten und jetzt sind es einfach noch einmal 30 Kilometer mehr. Das ist schon brutal lang", erzählte die Fahrerin vom Team Cofidis vor dem Rennen. Dass Koppenburg bislang kürzer unterwegs war, liegt aber nicht an ihrem Leistungsvermögen, immerhin gehört die 27-Jährige zu den besten Fahrerinnen des Landes. Aber laut Regelwerk des Weltradsportverbands UCI dürfen die Strecken der Frauen, egal ob Eintagesrennen oder eine Etappe bei einer Rundfahrt, die 160 Kilometer nicht überschreiten. Im Vergleich: Bei den Männern sind es 280 Kilometer. Die Organisatoren der Tour de France Femmes mussten sodann eine Sondergenehmigung für die heutige Etappe einholen.
Erst 2017 erhöhte die UCI die Maximallänge von 140 auf 160 Kilometer, bei Etappenrennen darf aber weiterhin nicht mehr als 140 Kilometer im Durchschnitt gefahren werden. Das erste Mal, dass das Peloton mehr als die vorgeschriebene Länge in Angriff nehmen durfte, war beim Giro D’Italia Donne 2020. Dies sei längst überfällig gewesen, meinte damals Cecilie Uttrup Ludwig. "Endlich werden wir ernst genommen. Und sie glauben auch nicht mehr, dass unsere Gebärmutter herausfällt, wenn wir lange Etappen fahren", so die Dänin, die im vergangenen Jahr über einen Etappensieg bei der Tour de France Femmes jubeln durfte.
Zum Schutz der Fahrerinnen
Tatsächlich hielt sich der Irrglaube, Radfahren könnte den weiblichen Fortpflanzungsorgane Schaden zufügen, bis weit ins 20. Jahrhundert. Dass die Frauen - normalerweise - nun aber nicht mehr als 160 Kilometer fahren dürfen, liegt aber nicht daran. Vielmehr ist das Leistungsniveau innerhalb des Pelotons noch zu unterschiedlich, die Entwicklung des Frauenradsports hat erst in den vergangenen Jahren an Fahrt aufgenommen. "Solche Etappen sind vor allem für ganz junge Fahrerinnen sehr lang. Manche von ihnen sind noch nicht einmal im Training so viel gefahren", gibt Dirk Baldinger, Sportdirektor beim deutschen Continental Team Ceratizit-WNT Pro Cycling, gegenüber der Sportschau zu Bedenken.
Eine höhere Anzahl von langen Etappen können aber auch nicht alle Teams leisten. Bereits jetzt sind diese am Anschlag, weil die UCI jedes Jahr mehr Rennen ins Programm nimmt - waren es 2020 noch 18, sind es in dieser Saison schon 27. Nur bleiben die Teams im Vergleich zu den Männern immer noch verhältnismäßig klein. So fahren für das beste Team der Women's World Tour, SD Worx, 16 Fahrerinnen über die Saison hinweg gesehen, beim Team des Tour de France-Siegers Jonas Vingegaard, Jumbo Visma, sind es 29. Hannah Ludwig ist überzeugt, dass man den Frauenradsport langsam aufbauen muss. Das gelte sowohl für die Anzahl der Wettkämpfe als auch die Länge der Strecke. "Die Rennen sind im Laufe der Jahre schon viel länger geworden, aber das Leistungsniveau ist noch so unterschiedlich, dass die Abstände nach so einer Etappe zu groß wären", so die Fahrerin vom Uno-X Pro Cycling Team.
Lange Etappen sind nicht überall beliebt
Ludwig würde sich aber trotzdem auf solch eine lange Etappe freuen, denn die Männer würden das ja auch können. Das sieht aber nicht jede Fahrerin so. Zum Beispiel Clara Koppenburg. "Wir sind immer noch Frauen. Wir sagen zwar immer, dass wir wie die Männer sein wollen, aber wir haben einen anderen Körperbau und Stoffwechsel, deshalb können wir nicht so lange fahren wie die Männer", so Koppenburg. Auch Liane Lippert, nach der heutigen Etappe auf Platz acht der Gesamtwertung, braucht keine längeren Rennen: "Die werden dadurch ja nicht spannender. Die Distanz bis zu 140 Kilometer ist schon gut so."
Der Mix mache es, findet dagegen Kathrin Hammes. "Lange Etappen haben aber auch ihren Charme. Eine kurze Etappe kann zwar aggressiver angegangen werden, lange Etappen könnten aber eher eine Chance für Ausreißer sein", sagte die 34-Jährige vor dem Start. Und so kam es dann auch: Ausreißerin Yara Kastelijn holte sich überraschend den Sieg, Hammes kam als beste Deutsche auf Platz neun, nachdem auch sie das ganze Rennen in der Fluchtgruppe verbrachte.
Am Ende ist man eh fertig
Für die Kölnerin, die wie alle anderen deutschen Fahrerinnen als wichtigste Vorbereitung das Essen erwähnte, steht ohnehin fest: "Am Ende des Rennens ist man immer fertig, egal wie lang es war." Am Abend war dann erst einmal Erholung im Teamhotel angesagt, zu dem es zur Erleichterung aller im Auto ging. Für alle? Nicht ganz, denn ausgerechnet der Teambus von Cofidis hatte auf der Strecke eine Panne, so dass Clara Koppenburg, die es auf dieser langen Etappe in die Top 50 geschafft hat, nach den 185 Kilometern auch noch mit dem Fahrrad ins Teamhotel radeln durfte.