Mit 17 Jahren Verspätung Jan Ullrich gesteht Doping - auch bei seinem Tour-Triumph 1997
Der gefallene Radstar Jan Ullrich hat erstmals den Satz gesagt: "Ja, ich habe gedopt." Was jetzt mit seinem Tour-Titel 1997 passieren könnte, zeigen andere Beispiele.
17 Jahre nach seiner Suspendierung von der Tour de France spricht Jan Ullrich erstmals den entscheidenden Satz aus. "Ja, ich habe gedopt", sagt der gefallene deutsche Radstar - und gesteht damit Betrug.
Mit diesen vier Worten räumte der 49-Jährige endgültig mit seiner Lebenslüge auf und bekennt sich erstmals auch wortwörtlich zu seiner Dopingvergangenheit. "Wenn ich meine Geschichte erzählt hätte, hätte ich viele schöne Jahre gewinnen können. Ich hatte die Eier nicht. Es tut total gut, es auszusprechen", führte Ullrich bei der Podiumsdiskussion am Rande der Vorstellung der Dokumentarserie "Jan Ullrich - Der Gejagte" (ab 28. November/Prime Video) aus.
Erstes "Geständnis" schon 2013
Dass Ullrich jetzt erstmals Doping gesteht, kann man allerdings nicht behaupten. Das hat er bereits vor zehn Jahren getan, allerdings verklausuliert und immer wieder mit Rechtfertigungen versehen. Im Juni 2013 gab Ullrich erstmals Blutdoping bei dem spanischen Arzt Eufemiano Fuentes zu: "Ja, ich habe Fuentes-Behandlungen in Anspruch genommen", sagte er in einem Interview mit dem "Focus".
Als wäre es eine Rechtfertigung, ordnete der vielleicht talentierteste deutsche Radfahrer der Geschichte seine Handlungen aber so ein: Er habe keine anderen Dopingmittel verwendet als sein eigenes Blut. Und: "Fast jeder hat damals leistungssteigernde Substanzen genommen. Ich habe nichts genommen, was die anderen nicht auch genommen haben. Betrug fängt für mich dann an, wenn ich mir einen Vorteil verschaffe. Dem war nicht so. Ich wollte für Chancengleichheit sorgen." Dennoch nannte er sich in dem Gespräch "schuldig".
Dass er sich "schuldig gemacht" hat, wiederholt Jan Ullrich nun auch am Mittwochabend. Systematischer Betrug im Team Telekom, Eigenblutmanipulation ab 2003 - Jan Ullrich will nicht mehr schweigen. "Bei mir ging es 1996 los", hatte der einzige deutsche Tour-Champion zuvor dem Sportinformationsdienst gesagt.
Ullrich darf Tour-Titel 1997 wohl behalten
Damit räumte Ullrich auch deutlich ein, bei seinem Tour-Triumph 1997 gedopt zu haben. Um seinen Titel muss er trotzdem nicht fürchten, denn das Vergehen ist verjährt. Im Kodex der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA ist eine Verjährungsfrist von zehn Jahren verankert. Deshalb durften auch die überführten Dopingsünder Bjarne Riis (1996) und Marco Pantani (1998) ihre Titel behalten.
Lediglich Lance Armstrong verlor alle seine sieben Titel von 1999 bis 2005. Die US-Dopingagentur USADA überging angesichts des enormen Ausmaßes von Armstrongs Dopingsystem die Verjährungsfrist, der Radsport-Weltverband UCI folgte der Entscheidung.
Flächendeckendes Doping im Peloton
In den 1990er Jahren wurde Doping im Peloton flächendeckend betrieben. Epo war das im Radsport bevorzugte Mittel der Wahl, eine direkte Nachweismethode gab es noch nicht. Ullrich wird 1995 zum Profi, und er merkt schnell, dass Talent allein nicht reicht. Im Magenta-Trikot der Telekom-Mannschaft biegt Ullrich auf einen gefährlichen Weg ab.
"Zu wissen, dass man sonst von vornherein keine Chance hat, das war das Schwerste", sagte Ullrich: "Weil ich ein fairer Mensch bin, ging es mir nie darum, jemanden zu betrügen oder sich einen Vorteil zu verschaffen."
Immer wieder: "Chancengleichheit"
Ullrich spricht mehrfach von "Chancengleichheit". Das System funktioniert. 1996 wird Ullrich als Edelhelfer des dänischen Gesamtsiegers Riis Tour-Zweiter, ein Jahr später ist der gebürtige Rostocker ganz oben angekommen. Als erster Deutscher gewinnt er die Frankreich-Rundfahrt. Es bleibt sein einziger Triumph in Gelb. Noch vier Mal wird er Zweiter, 2003 hat er seinen Dauerrivalen Armstrong fast besiegt.
Wie Armstrong hat Ullrich sein Doping-Repertoire da schon erweitert. Der neuste Trend? Eigenblutdoping. Im Sommer jenen Jahres überschreitet er erstmals die nächste Grenze. "Ich wollte gerne gewinnen und an meine Erfolge anschließen. Ich hatte damals ein neues Team und da wurde mir dann Dr. Fuentes empfohlen - so bin ich da gelandet", sagte Ullrich.
"Alles medizinisch kontrolliert"
Gesundheitliche Bedenken hat er nicht, "weil alles medizinisch kontrolliert war. Letzendlich war es mein eigenes Blut, was ich mir abnehmen lasse - etwas Natürliches. Unter medizinischer Aufsicht hatte ich keine Angst." 2006 platzt die Doping-Blase. Wegen Verbindungen zum spanischen Dopingarzt Eufemiano Fuentes wird Ullrich von der Tour de France ausgeschlossen. Das Team T-Mobile suspendiert ihn.
"Der Radsport war praktisch alles für mich. Und dann wurde über Nacht der Boden weggerissen", sagte Ullrich. Der krachende Absturz hinterlässt tiefe seelische Wunden. Dass er sich über Jahre entscheidet, nicht offen über seine Vergehen zu sprechen, vergrößert sein mentales Leid. Ullrich trinkt, nimmt Drogen, verliert den Halt.
"Stehe wieder mit beiden Beinen im Leben"
Die Lebenskrise bringt ihn fast um. Den Tiefpunkt hat er hinter sich gelassen. "Ich bin gesund, stehe wieder mit beiden Beinen im Leben und habe meine Mitte gefunden", sagte Ullrich. Das klare Aufräumen mit der Vergangenheit erweist sich als wohltuende Therapie. "Es ist leichter geworden", sagte Ullrich, der in der vierteiligen Dokumentarserie tiefe Einblicke gewährt.
In Zukunft kann sich Ullrich auch eine aktive Rolle im Profi-Radsport vorstellen. "Wenn ich die Möglichkeit hätte, würde ich die Chance wahrnehmen, weil auf diesem Gebiet bin ich irgendwo auch Meister und fühle mich nach wie vor wohl", sagte Ullrich: "Ich liebe diesen Sport einfach, und er wird mich mein ganzes Leben lang prägen."