Witold Banka, Olivier Niggli und Darren Mullaly (v.l.)

Kritik an Anti-Doping-Kämpfern Vor Olympia in Paris: WADA wegen Fall China in Bedrängnis

Stand: 25.07.2024 13:53 Uhr

Eine routinemäßige Pressekonferenz der Welt-Anti-Doping-Agentur in Paris entwickelt sich zu einer Rechtfertigungsarie wegen des Umgangs mit 23 positiv getesteten chinesischen Schwimmern.

Von Hajo Seppelt, Peter Wozny, Sebastian Krause, Jörg Winterfeldt

Einen Tag vor der Eröffnung der Olympischen Spiele in Paris hat sich die Führung der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) in Paris erneut für ihren Umgang mit 23 positiven Dopingproben chinesischer Schwimmer gerechtfertigt. "Es gab keine weiteren Elemente, die auf ein anderes Szenario als Kontamination hinweisen", sagte Generaldirektor Olivier Niggli während einer internationalen Pressekonferenz in Paris, auf der die WADA-Spitze mitunter sehr kritisch angegangen wurde.

Die chinesischen Athleten waren Anfang 2021 positiv auf das verbotene Herzmittel Trimetazidin getestet worden, aber von der nationalen Anti-Doping-Agentur (CHINADA) wegen angeblicher Massen-Kontamination nicht gesperrt worden. Die ARD-Dopingredaktion hatte den Vorgang im April enthüllt und mit den Recherchen rund um die "Akte China" für Aufsehen gesorgt.

Vor Kurzem hatte sie zudem weitere potenzielle Beweise - Social Media Posts und Chats aus China - vorgelegt, die die Entlastungstheorie der CHINADA erheblich erschüttern. Diese hatte die WADA 2021 sehr eilig bestätigt, als sie vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS Widerspruch hätte einlegen können - es aber nicht tat. Wie stark der Vertrauensverlust in die WADA ist, die weltweit die Einhaltung des Anti-Doping-Regelwerk gewährleisten soll, zeigte sich in Paris in den beinahe durchgängig kritischen Fragen der Journalisten aus aller Welt.

Warum es so leicht sei, Sperren zu umgehen, warum nicht weiter im Fall China ermittelt würde oder warum die elf in Paris startenden der 23 betroffenen chinesischen Schwimmer nicht vor Ort befragt würden. "Offensichtlich gibt es Kritik", sagte Niggli, "aber wir haben unsere Hausaufgaben gemacht und handeln in gutem Glauben."

"Diffamierende Kommentare, Anschuldigungen"

Weder Niggli noch WADA-Präsident Witold Banka konnten verkünden, dass das eigene Ermittlerteam die bisher ausgebliebenen Befragungen betroffener chinesischer Schwimmer in Paris nachholen werde. "Unsere Ermittlungseinheit arbeitet völlig unabhängig", sagte Banka.

Vor allem die amerikanische Anti-Doping-Agentur USADA hatte das umstrittene Vorgehen der WADA im China-Fall stark kritisiert. In Paris beklagte sich Banka über "diffamierende Kommentare, Anschuldigungen" und räumte ein, "die Situation ist sehr schwierig, die Beziehungen sind sehr schwierig." Er kritisiert: "Die USADA will sich über den Rest der Welt erheben, vielleicht sogar die WADA als globale Regulierungsbehörde für die Dopingbekämpfung ersetzen."

Konflikt spitzt sich zu

Die Lage hatte sich in Paris noch einmal zugespitzt, weil sich das Internationale Olympische Komitee (IOC) eingemischt und Druck auf die im China-Fall besonders kritischen Amerikaner ausgeübt hatte. In den USA gilt seit zwei Jahren ein Gesetz, das es amerikanischen Strafverfolgern erlaubt, weltweit gegen das Umfeld von Dopern vorzugehen, wenn durch das Doping Amerikaner benachteiligt werden. Das Gesetz ("Rodchenkov Act") ist nach dem russischen Whistleblower Grigori Rodtschenkow benannt.

Im Zuge der Vergabe der Olympischen Winterspiele 2034 an Salt Lake City am Mittwoch hatte das IOC eine neue Klausel in den Ausrichtervertrag aufgenommen. Die Änderung ermöglicht es dem IOC, den Vertrag zu kündigen, sollte "die oberste Autorität der Welt-Anti-Doping-Agentur im Kampf gegen Doping nicht vollständig respektiert werden oder die Anwendung des Welt-Anti-Doping-Codes behindert oder untergraben werden", sagte IOC-Vizepräsident John Coates.

Banka klagt über US-Gesetz

Das Vorgehen wird gewertet als Versuch, sich einerseits die laute amerikanische Kritik an der WADA vom Hals zu schaffen und sich andererseits direkt in die amerikanische Gesetzgebung einzumischen. Offenbar geht es darum, zumindest die im Gesetz geregelte weltweite Zuständigkeit amerikanischer Ermittler aus dem Gesetz entfernen zu lassen, wenn nicht gar das Gesetz in Gänze. Es heißt, das FBI habe Ermittlungen im Fall der chinesischen Schwimmer aufgenommen und Zeugen vorgeladen.

Es gehe dem IOC nicht darum, die Kritik aus Amerika zu unterbinden, sagte WADA-Chef Banka, "sondern die Harmonisierung des Anti-Doping-Systems zu gewährleisten." Das Gesetz aber werde "gegen die WADA eingesetzt", um die Einheitlichkeit des Welt-Anti-Doping-Codes zu unterminieren.

Witold Banka, Olivier Niggli und Darren Mullaly (v.l.)

Witold Banka, Olivier Niggli und Darren Mullaly (v.l.).

Am Tag zuvor hatte er vor dem IOC schon geklagt: "Das Rodtschenkow-Gesetz wurde eingeführt, weil man der WADA nicht zutraute, eine starke globale Aufsichtsbehörde zu sein."

In Paris ist die WADA nicht selbst für die Dopingkontrollen verantwortlich. Im Vorlauf zu und bei Olympischen Spielen selbst übernimmt dies die Internationale Test-Agentur (ITA). Der WADA bleibt nur, die Anti-Doping-Bemühungen mit einem unabhängigen Beobachterteam, bestehend aus sechs Mitarbeitern, zu überwachen.

Kontroll-Lücken in Paris

Zuletzt allerdings wirkten deren Abschlussberichte eher zahm und unkritisch. "Die letzten verfügbaren Zahlen zeigen, dass 87.000 Proben zwischen Anfang März und Ende Juni 2024 von 191 Anti-Doping-Organisationen in den olympischen Sommersportarten genommen wurden", sagte Banka.

Allerdings musste die Internationale Test-Agentur Lücken in der Probennahme selbst in besonders dopinganfälligen Disziplinen einräumen. So sind fünf Prozent der Sportler aus Hochrisiko-Disziplinen vor ihrem Start in Paris nicht ein einziges Mal in diesem Jahr getestet worden. Insgesamt haben gar zwölf Prozent der in Paris antretenden Sportler in diesem Jahr noch keine Dopingkontrolle absolviert.

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau Olympia 2024 | 26.07.2024 | 18:00 Uhr