Israelische NOK-Präsidentin Yael Arad: "Einladung zur eigenen Beerdigung"
Yael Arad berichtet, wie ihre Delegation mit den belastenden politischen Umständen umgeht und dabei die Konzentration auf den Sport behält.
Sportschau: Sie sind die Präsidentin des Israelischen Olympischen Komitees. Wenn man bedenkt, was in der Welt gerade vor sich geht, war die Vorbereitung ihrer Delegation auf diese Olympischen Spiele anders als sonst?
Yael Arad: Ja. Seit dem Terroranschlag durch die Hamas am 7. Oktober und der brutalen Geiselnahme von 240 Menschen trauert unser Land. Es ist gerade schwierig, in Israel zu sein, mit dem Krieg im Süden und den Problemen im Norden (Kämpfe mit den Hisbollah, red). Es gibt niemanden, der nicht Verwandte oder Freunde verloren hat. Darüber kommt man nicht einfach so hinweg.
Die Vorbereitung war sehr schwierig, weil wir anfangs nicht aus Israel heraus konnten, wir haben dann alle Athletinnen und Athleten zu unserem nationalen Trainingszentrum gebracht. Erst nach ein paar Wochen konnten wir wieder an Wettkämpfen teilnehmen. Wir haben aber seitdem viel Unterstützung vom IOC bekommen und auch von den internationalen Sportverbänden.
Sportschau: Wie ist es jetzt, in Paris zu sein? Hier gab es noch bis vor kurzem große Demonstrationen, auf der einen Seite palästinensische Gruppen und auf der anderen israelische. Wenn man durch die Stadt läuft, sieht man überall Graffiti mit politischen Botschaften. Hat Sie das in Ihren Vorbereitungen beeinflusst?
Arad: Wir wussten, dass es Demonstrationen geben würde, dass man versuchen würde, uns zu provozieren. Wir haben unsere Athleten und Trainer ganz gezielt bei Schulungen darauf vorbereitet. Die Olympischen Spiele sind dafür da, Brücken zu bauen zwischen Menschen verschiedener Religionen und Herkünfte, aber wir konzentrieren uns auf den Sport. Wir wollen den olympischen Geist nach Paris tragen und müssen uns gleichzeitig auch mit den vielen Drohungen auseinandersetzen, die es gegen uns gibt.
Unsere Athleten sind starke junge Leute, aber es macht etwas mit einem, wenn man Hassnachrichten oder Einladungen zu seiner eigenen Beerdigung bekommt. Das Beste, was sie tun können, ist, unser Land würdevoll zu vertreten. Wenn sie dabei auch noch gewinnen, ist das Bonus.
Sportschau: Kurz vor der Eröffnungsfeier reichte das palästinensische NOK ein Gesuch beim IOC ein, das den Ausschluss Israels von den Olympischen Spielen forderte. Thomas Bach, der IOC-Präsident, hat das in der Pressekonferenz deutlich zurückgewiesen. Was halten Sie von diesen Forderungen?
Arad: Es ist gut für uns, hier als eine von 206 Nationen vertreten zu sein. Wir sind hier für den Sport, also lasst uns über Sport sprechen. Ich setze mich sehr für die israelischen Geiseln ein, aber ich bringe meine politischen Botschaften nicht hierher. Wir haben viele Gespräche mit dem IOC und wir respektieren die Regel 50 (Verbot politischer Botschaften bei den Olympischen Spielen, red) der IOC Charta.
Ich bin nicht überrascht, dass der Präsident des palästinensischen NOKs sich so äußert. Er ist ein verurteilter Terrorist. Man sieht auch, dass ihre Delegation nicht für den Sport hier ist. An der Art, wie manche ihrer Athleten reden, wie sie sich geben, kann man das sehen. Ich finde, wenn man politische Botschaften senden will, sollte man das woanders tun.
Sportschau: Ihre Athletinnen und Athleten müssen oft feindselige Stimmung aushalten. Ihnen wird der Handschlag nach dem Wettkampf verweigert, in einem Fall trat der Gegner gar nicht an. Wie gehen Sie damit um?
Arad: Wir werden unseren Gegnern immer die Hand reichen und gegen jeden Gegner antreten. Wenn jemand nicht gegen uns antreten will, ist das seine Entscheidung. Es ist feige, es ist nicht im Sinne des Sports und es respektiert nicht die IOC-Charta. Wir laden jeden dazu ein, sich mit unserer Geschichte auseinanderzusetzen, nicht nur der des Zweiten Weltkriegs, sondern auch der unserer Region und des 7. Oktobers.
Man sollte sich nicht ablenken lassen von den populistischen Dingen, die in den Sozialen Medien so verbreitet werden. Wenn man sich nur fünf Minuten Zeit nimmt, wird man verstehen, wer die Opfer im Mittleren Osten sind. Und wenn man uns kennenlernt und sich mit uns auseinandersetzt, wird man gute, freundliche, liebevolle Menschen vorfinden. Dazu lade ich jeden ein.
Sportschau: Sind die diesjährigen Spiele für Sie und Ihre Delegation das schwierigste sportliche Großereignis der vergangenen Jahre?
Arad: Es gibt nichts Vergleichbares zu den Olympischen Spielen auf der Welt. Sie sind der Gipfel aller Träume. Wenn man den Krieg, den 7. Oktober und alle anderen Probleme ignoriert, ist es einfach nur ein gelebter Traum, hier zu sein. Wir haben einen schweren Rucksack zu tragen, aber wir geben unser Bestes.
Das Interview führte Robert Kempe.