WM in Japan Die Gründe für den Erfolg der deutschen Freiwasser-Schwimmer
Auch ohne fünftes WM-Gold im fünften Wettbewerb hat Deutschlands Freiwasser-Team bei der WM in Japan dominiert und einen historischen Triumph gefeiert.
"Läuft!". Mit diesem einen Wort und einem dicken Grinsen kommentierte Florian Wellbrock seinen zweiten WM-Triumph am Momochi Beach Park von Fukuoka. Wie zuvor schon über die einzig olympische 10-km-Distanz hatte der neue Doppel-Weltmeister im Freiwasser die Konkurrenz auch im 5-km-Wettbewerb komplett beherrscht. Brutales Tempo von Beginn an, das Feld zerlegt, nur die beiden Italiener konnten leidlich mithalten, hatten aber gegen den überragenden Olympiasieger aus Magdeburg auch nicht den Hauch einer Chance. "Läuft", für Wellbrock und das DSV-Team. Zwei Stunden zuvor hatte auch Leonie Beck ihren zweiten souveränen Sieg gefeiert.
Vier Einzel-Wettbewerbe, viermal Gold für Deutschland, das ist ein historischer, bislang einmaliger Triumph. "Die Überlegenheit ist schon frappierend", stellt auch Bernd Berkhahn, Wellbrocks Heim- und gleichzeitig Langstrecken-Bundestrainer, verblüfft fest: "Hätte ich auch nicht gedacht, dass es jetzt noch möglich ist, überhaupt vierfach Gold zu holen. Bei der Leistungsdichte, die es international gibt, bei der Wissenschaft und allem, was wir verwenden, dass wir in der Lage sind, so überlegen zu sein." Es ist aber so.
Deutschlands Freiwasserteam dominiert diese WM in Japan in atemberaubender, nie dagewesener Deutlichkeit. "Das zeigt schon, dass wir vieles richtig gemacht haben", sagt Berkhahn, "fantastisch, ich bin begeistert." Aber was sind die Gründe für diese Überlegenheit?
Florian Wellbrock - der beste Freiwasser-Schwimmer der Gegenwart
Das liegt vor allem am Ausnahme-Athleten Florian Wellbrock. Der 25-jährige Magdeburger, in Elmshorn geboren, ist der beste Freiwasser-Schwimmer seiner Generation. Seit 2019 hat Wellbrock - neben einem WM-Titel im Becken - fünf WM-Goldmedaillen im Freiwasser geholt - und 2021 auch bei den Olympischen Spielen in Tokyo triumphiert.
"Es ist die Effizienz", nennt Heimtrainer Berkhahn eines von Wellbrocks Erfolgsgeheimnissen. "Er verbraucht halt deutlich weniger Energie bei der Geschwindigkeit, die er schwimmt. Und das ist der große Vorteil." Und dieser Vorteil macht sich besonders bei den Bedingungen in Fukuoka mit sengender Sonne und extrem hohen Temperaturen in Wasser und Luft bemerkbar.
"Wenn die Hitze da ist, verbrauchst du eben unheimlich viel Energie, je nachdem wie viel Aufwand du betreibst. Er kann mit wenig Aufwand eine hohe Geschwindigkeit schwimmen. Das ist schon krass. Und er hat offensichtlich auch weniger Probleme mit Hitze als die Anderen. Das hat er ja in Tokyo schon gezeigt."
Da hatte Wellbrock mit einem fulminanten Solo-Ritt einen spektakulären Start-Ziel-Sieg gefeiert. Und diese Strategie ging jetzt auch in Fukuoka über 5 km wieder auf: "Ich wollte das Rennen wirklich hart machen für alle anderen, das macht dann Spaß, vorne das Tempo zu bestimmen, die Richtung zu bestimmen und diese Dominanz für die anderen auszustrahlen. Und das hat man dann auch gemerkt, dass die anderen Jungs da ganz schön zu kämpfen hatten. Das puscht einen dann natürlich nach vorne."
Wellbrocks außergewöhnliche Fähigkeiten gießt Trainer Berkhahn in einen bemerkenswerten Satz: "Flo hat von Anfang an das Tempo hochgenommen, das war auch ein bisschen gemein. Es ist nicht wirklich ein Rennen entstanden."
Talent und jahrelange harte, akribische Arbeit
Talent alleine reicht im Leistungssport nicht aus, zumal im Freiwasserschwimmen mit seinen teilweise harten körperlichen Auseinandersetzungen und Positionskämpfen. Widerstands- und Durchsetzungsfähigkeit, Erfahrung, Strategie, Taktik - das alles setzt jahrelange harte und akribische Arbeit voraus.
Speziell die Triumphe in Tokyo und Fukuoka haben Wellbrock und Trainer Berkhahn - nicht nur im Wasser - intensiv vorbereitet: "Gerade im letzten Trainingslager haben wir wieder viel Zeit im Wärmebecken, viel Zeit in der Sauna verbracht", sagt Wellbrock, "einfach, um das Schwitzen zu trainieren, sodass der Körper auf die extreme Hitze vorbereitet wird."
Bernd Berkhahn ist dafür bekannt, dass er nichts dem Zufall überlässt, auf neueste wissenschaftliche Methoden der Trainingslehre zurückgreift, unter anderem in Sachen Diagnostik mit der Uni Magdeburg zusammenarbeitet und den intensiven Austausch mit internationalen Trainerkollegen und - kolleginnen pflegt. Aktuell steht die Ernährung im Fokus, im Höhentrainingslager in der Sierra Nevada gehörte zum Betreuerteam auch ein eigener Koch.
Starke Trainingsgruppen mit hoher Intensität auf hohem Niveau steigern Leistung
In Magdeburg hat Berkhahn eine hochkarätige internationale Trainings-Gruppe beisammen, die sich in jeder einzelnen intensiven Einheit auf hohem Niveau puscht und an die Grenzen treibt. Wellbrock misst sich täglich mit Vize-Weltmeister Lukas Märtens, dem Ukrainer Michailo Romantschuk und anderen Top-Schwimmern.
Oliver Klemet hat schon in seinem letzten Schuljahr regelmäßig eine Woche im Monat in Magdeburg verbracht, nach dem Abitur ist er ganz nach Sachsen-Anhalt umgezogen. Die Fortschritte sind offensichtlich, in Fukuoka hat der 21 Jährige WM-Bronze über 10 km geholt, verbunden mit dem Olympiaticket für Paris 2024.
Leonie Beck trainiert in Italien mit Gruppe um Wellbrock-Konkurrent Gregorio Paltrinieri
Auch Leonie Beck hat sich eine starke, fordernde Trainings-Gruppe gesucht. In Italien, genauer in Ostia bei Rom. Es ist die Gruppe um Gregorio Paltrinieri, dem Dauerrivalen und Freund von Florian Wellbrock. Ein Großteil des italienischen Nationalteams trainiert dort, jede Woche werden mehrere Einheiten im Mittelmeer absolviert. Nach ihrem Studienabschluss und den Sommerspielen in Tokio 2021 wollte Beck eigentlich nur ein Auslandsjahr einschieben, aber ihre Entwicklung und die Erfolge waren so verblüffend - WM-Zweite und Europameisterin 2022 jeweils über 10 km - dass sie ihren Aufenthalt in Italien verlängert hat.
"Ein anderes Land, eine andere Sprache, weg von daheim, weg vom gewohnten Umfeld, das ist schon was Neues, da entwickelt man sich schon auch ein bisschen weiter. Und ich habe 'ne supercoole Trainingsgruppe, das ist auch wie meine zweite Familie. Und deswegen: Alles top!", schwärmt Beck vom Leben und den neuen Trainingsreizen in Italien. Becks Erfolge in Fukuoka hatten sich im vergangenen Jahr bereits abgezeichnet. Das Abenteuer Italien geht weiter - mindestens bis Paris 2024.
Außergewöhnlicher Teamspirit im Freiwasser
Die in diesem Ausmaß so unerwartete Goldserie hat "Leonie auch ein bisschen für uns ins Rollen gebracht", findet Florian Wellbrock: "Wenn der WM-Auftakt schon mit einer Goldmedaille losgeht und im zweiten Rennen dann auch direkt mit Gold hinterhergeschoben wird, das bringt richtig Feuer in so ein Team und das macht dann richtig Spaß."
Überhaupt der Teamspirit: Für Wellbrock ist die auch von außen sicht- und spürbar außergewöhnliche Atmosphäre in der Mannschaft ein wesentlicher Schlüssel für den sportlichen Erfolg: "Wir machen einen enorm guten Job. Die Stimmung im Team ist wahnsinnig, wir haben richtig Bock auf das Event hier und das, was noch kommt. Und das merkt man einfach. Die Athleten, die supporten sich untereinander, der Staff ist immer da und bereit und gibt Feuer."
Paris 2024 - Geht die Erfolgsgeschichte weiter?
Mit Oliver Klemet hat bereits die nächste Generation im Freiwasser an die Weltspitze angedockt. Allerdings musste Klemet anschließend auch zweimal Lehrgeld bezahlen. Im 5-km-Rennen verlor er das Führungstrio und damit eine weitere Einzelmedaille aus den Augen. Und in der abschließenden Teamstaffel - ohne Wellbrock, der wegen der anstehenden Wettbewerbe auf einen Start verzichtet hatte, kostete der missglückte Anschlag des Schlussschwimmers das deutsche Quartett Bronze.
Klemet, da ist sich Bundestrainer Bernd Berkhahn sicher, wird an dieser Situation wachsen: "Solche Fehler muss man ihm auch zugestehen. Die 5 km waren schon suboptimal, jetzt bei der Staffel den Anschlag nicht gut getroffen. Das sind Fehler, die sollten nicht sein, aber die passieren nun mal im Sport. Und er wird ganz sicher daraus lernen. Und er wird auch seinen Weg nehmen."
Talente, starke Trainingsgruppen und ein herausragender Teamspirit: Deutschlands Freiwasserschwimmer sind aktuell das Maß der Dinge. Fortsetzung in Paris sehr gut möglich.