Mediziner Eufemiano Fuentes vor einem Gerichtsprozess

Schatten über Olympia 1992 Fuentes beschreibt spanisches Doping-System

Stand: 18.07.2024 11:07 Uhr

Der berüchtigte Mediziner Eufemiano Fuentes berichtet vor versteckter Kamera, wie er vor den Olympischen Spielen in Barcelona 1992 Athleten des Gastgebers systematisch dopte. Wegen einer besonders brisanten Personalie ist auch Spaniens Olympia-Team in Paris betroffen.

Von Hajo Seppelt, Edmund Willison, Nick Butler, Jörg Winterfeldt, Josef Opfermann und Jörg Mebus

Eine magische Eröffnungsfeier mit dem Song von Freddy Mercury und Opern-Diva Montserrat Caballé, der Siegeszug der frisch wiedervereinigten deutschen Mannschaft, die Mega-Show des US-Dream-Teams, ein unvergleichliches katalanisches Flair: Fans geraten beim Blick zurück auf die Spiele 1992 in Barcelona noch immer ins Schwärmen. IOC-Präsident Thomas Bach etwa spricht von "Momenten, die mir bis heute Gänsehaut bereiten".

Doch die funkelnden Spiele von Barcelona erhalten nun eine bislang unbekannte, düstere Seite. Eufemiano Fuentes behauptet, er habe junge spanische Sportler gezielt und gesteuert auch mit Doping allein auf ein Ziel vorbereitet hat - die Olympischen Spiele. Die Aussagen des berüchtigten spanischen Arztes, der einst auch Jan Ullrich dopte, erschüttern die olympische Bewegung kurz vor den Sommerspielen in Paris.

"Tu, was immer du tun musst, aber wir wollen Medaillen"

Ein internationales Team investigativer Journalisten hatte Fuentes 2021 vor versteckten Kameras erstaunliche Behauptungen entlockt. Dieses brisante Material ist der ARD-Dopingredaktion vor wenigen Monaten zugespielt worden und nun zum ersten Mal zu sehen. Die Legende der Journalisten bei der Kontaktaufnahme mit Fuentes: Ein Verleger wolle ein Buch über die Erfolge des spanischen Sports der letzten Jahrzehnte herausgeben. Die Gespräche, die sich in einem Hotel in Madrid über mehrere Tage erstreckten, zeichnete das Team mit versteckten Kameras auf.

Fuentes bestätigte, dass der grundsätzliche Auftrag an ihn schon Jahre vor 1992 von der spanischen Regierung gekommen sei, er habe gelautet: "Tu, was immer du tun musst, aber wir wollen Medaillen." Die einzigen Einschränkungen seien gewesen: "Keine positiven Tests" und "keine gesundheitlichen Probleme, die den Positiven schaden könnten".

Er habe "vier Jahre lang im Schatten gearbeitet", sagte der heute 69 Jahre alte Fuentes: "Das war eine Strategie, damit ich frei arbeiten kann, ohne Druck, ohne Presse, mit niemandem", damit man ihn nicht "mit den Erfolgen von 1992 in Verbindung bringen" könne.

Er sei der verantwortliche Mediziner in der sogenannten "Residencia Blume" gewesen, dem nationalen Trainingszentrum in Madrid, in dem die besten spanischen Athleten aus vielen olympischen Sportarten ein und aus gingen.

DDR als Vorbild

Schon nach den Spielen 1984 in Los Angeles und der Vergabe an Barcelona im Jahr 1986 sei es laut Fuentes spanische "Methode" gewesen, noch minderjährige Talente zu sichten und auf die Spiele 1992 vorzubereiten. "Wir holten sie, bereiteten sie technisch vor, trainierten sie körperlich und halfen ihnen medizinisch, damit sie ihr Bestes geben konnten, sagte Fuentes.

Laut des Arztes setzten die Spanier auf Methoden und Personal, die Ländern wie der DDR zu einer wahrhaften Medaillenflut verholfen hatten: "Wir kopierten das System aus den Ländern des Ostblocks. Wir hatten Geld, um Informationen mit ostdeutschen, polnischen, russischen, tschechischen Ärzten, aus allen östlichen Ländern, auszutauschen. Und wir kauften die Informationen mit Dollar." In der DDR und der UdSSR wurde Staatsdoping betrieben. Welche konkreten Informationen er aus dem Ostblock erhielt, sagte er nicht.

Blutdoping als Mittel der Wahl

Fuentes betonte, dass die - schon damals verbotene - Methode der Wahl Blutdoping gewesen sei. Es sei "sicherer, sauberer und einfacher" gewesen, "Blut zu kontrollieren", erklärte Fuentes: "Das eigene, lange vorher abgenommene Blut wird kurz vor dem Wettkampf wieder infundiert", sagte Fuentes, "sonst könnte man keine so guten Leistungen erzielen." Das Blutdoping-Mittel Erythropoietin (EPO) sei "nicht so notwendig" gewesen, sagte Fuentes, "aber es war da".

Doch Fuentes setzte, so sagt er, auch andere Doping-Klassiker ein. Konkreter wird er in Bezug auf Behandlungen, die er, wie er behauptet, an einem ehemaligen 400-Meter-Läufer, dem langjährigen spanischen Rekordhalter Cayetano Cornet, angewandt habe. Auf die Frage, was bei Cornet notwendig gewesen sei und welche Mittel er bekommen habe, nannte Fuentes "Hormone, Wachstumshormon, Testosteron, Anabolika".

"Chef de Mission" Cornet unter Dopingverdacht

Fuentes‘ Aussagen bezüglich seiner angeblichen Dopingbehandlung bei Cornet haben aber unter einem anderen Aspekt eine enorme Brisanz: Cayetano Cornet hat nach dem Ende seiner aktiven Zeit als Sprinter sportpolitische Karriere gemacht und gehört zu den führenden Köpfen des Spanischen Olympischen Komitees.

Doch noch gravierender ist: Cornet führt die spanischen Olympiamannschaften seit Turin 2006 als sogenannter Chef de Mission an. Als solcher ist er Ansprechpartner für Athleten, Trainer und weitere spanische Teammitglieder, aber auch für das Organisationskomitee der Ausrichterstadt und den Eigentümer der Spiele, das Internationale Olympische Komitee.

Als Chef de Mission ist Cornet auch bei den Olympischen Spielen in Paris (26. Juli bis 11. August) vorgesehen. Steht also Fuentes' Behauptungen folgend seit fast zwei Jahrzehnten ein Doper an der Spitze der spanischen Olympiamannschaft?

Die ARD-Dopingredaktion hat Fuentes und den spanischen Leichtathletik-Verband jetzt um Stellungnahme zu den Aussagen gebeten. Es kam keine Antwort. Auf unsere Anfrage zum Dopingverdacht gegen den Olympia-Teamchef in Paris haben weder das Spanische Olympische Komitee noch Cayetano Cornet selbst reagiert.

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Olympia 2024 - die Hintergründe, 19.07.2024 15:28 Uhr

Gastgeber Spanien räumte 1992 ab

Fakt ist, dass Barcelona 1992 für Spanien zum überwältigenden Triumph wurde. Der Gastgeber holte 13-mal Gold, siebenmal Silber und zweimal Bronze, dazu viele weitere Finalteilnahmen und vordere Platzierungen – es war die mit Abstand beste spanische Ausbeute in der olympischen Geschichte. Zum Vergleich: Bei den Spielen davor in Seoul 1988 lautete die Bilanz einmal Gold, einmal Silber und zweimal Bronze.

Fuentes wird damit immer mehr zur traumatischen Figur für den Sport, nicht nur für den spanischen. Die Tour de France brachte er im Jahr 2006 an den Rand des Zusammenbruchs, nachdem er als Blutdoping-Arzt für Superstars der Radsport-Szene im Zuge der "Operacion Puerto" aufgeflogen war. Sein prominentester, öffentlich bekannter Kunde: Jan Ullrich. Fuentes selbst sagte vor Gericht aus, er habe nicht nur Radprofis versorgt, sondern auch Fußballer, Leichtathleten, Boxer und Tennisspieler.

Doping gerichtlich belegt

Die spanischen Behörden kennen die Namen der Fuentes-Kunden - einige sind auch der Welt-Anti-Doping-Agentur bekannt. Doch stets hieß es: Rechtlich habe man keine Handhabe mehr, gegen die Sportler vorzugehen. Dieser Argumentation folgend, kamen viele Namen aus Fuentes' Kundenkreis nie ans Tageslicht. Strafrechtlich konnte der gelernte Gynäkologe aufgrund der damaligen Gesetzeslage in Spanien nicht belangt werden, aber die Gerichtsdokumente belegen eindeutig seine Doping-Aktivitäten.

Nun wird durch Fuentes' Aussagen immerhin klar, dass seine Aktivitäten viel deutlicher als bisher bekannt auch Olympische Spiele beeinflusst haben könnten. Wohl schon lange vor der "Operacion Puerto" war er wesentlich intensiver als angenommen an Manipulationen im Hochleistungssport beteiligt.

Fuentes: Blutdoping weiter Mittel der Wahl

Er selbst, so sagte Fuentes vor versteckten Kameras, sei heute nicht mehr in Sachen Blutdoping aktiv. "Aber ich weiß, dass es andere machen", behauptete er. Zuvor abgenommenes Blut würde heutzutage wesentlich vorsichtiger und über mehrere Zeiträume verteilt wieder in die Körper von Athletinnen und Athleten zurückgeführt. So würden die Manipulationen auch im Blutpass-Profil, das seit etwa 15 Jahren zum Anti-Doping-Standardprogramm gehört, nicht auffallen.

Zweifel, dass es noch heute so läuft, lässt der Guru des Blutdopings auch auf Nachfrage nicht zu: "Es ist so. Okay?"

Ab 19.07. in der ARD Mediathek

Die Dokumentation "Geheimsache Doping: Schmutzige Spiele" ist Teil des ARD-Dreiteilers Olympia 2024 - Die Hintergründe. Die Dokureihe liefert einen tieferen Blick auf das Riesen-Sportevent: Wie nachhaltig sind die Spiele? Wie sauber sind die Spiele? Und wie politisch neutral ist das IOC? Bewegende Einblicke, unerwartete Bilder und spannende Recherchen gibt es ab 19.7. in der ARD Mediathek zu sehen und jeweils einen Teil am 22.07., 23.07. und 24.07. immer im Anschluss an die Tagesthemen im Ersten.

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