Handball-EM Knoten geplatzt! Deutschland schlägt Ungarn und träumt vom Halbfinale
Die deutschen Handballer haben eine starke Antwort auf die schwache Leistung gegen Österreich gegeben und mit einer Top-Leistung Ungarn 35:28 (18:17) bezwungen. Die Tür zum Halbfinale steht nun weit auf.
Seine Mitspieler mussten ihn fast schubsen, doch nach beschämtem Zögern schritt Julian Köster breit grinsend zur Ehrung als "Spieler des Spiels". Der 23-Jährige, der keine 20 Kilometer von der Kölner Arena entfernt in Brauweiler das Handballspielen lernte, wurde zu Recht von den 19.750 Zuschauern gefeiert, er warf acht Tore bei neun Versuchen und glänzte wie schon im ganzen Turnier auch in der Abwehr. "Ich bin sehr glücklich, gerade in Köln in meiner Heimatstadt ist das ein Erlebnis das man so schnell nicht vergessen wird", sagte Köster zur Sportschau. "Wenn die Halle so ausflippt und ich der Mannschaft so helfen kann, macht es noch mehr Spaß."
Die Mannschaft tanzte im Kreis, kostete ihren Sieg aber nur kurz aus. Noch auf dem blauen Parkett schwor Bundestrainer Alfred Gislason seine Mannschaft auf den "Matchball" gegen Kroatien ein: Ein weiterer Sieg am Mittwoch (20.30 Uhr, live in der ARD und auf sportschau.de), dann stehen die Gastgeber wie erträumt im Halbfinale ihrer EM.
So weit ist es noch nicht. Gefeiert wurde trotzdem am späten Montagabend in der Kölner Arena - und zwar eine Mannschaft, die nach der "grausamen Leistung" (Trainer Alfred Gislason) gegen Österreich nicht wiederzuerkennen war.
Wolff taut in der 2. Halbzeit auf
Vor allem in der Offensive zeigte das Team eine Klassevorstellung, die Spielzüge klappten viel besser, es war Tempo und Varianz drin. Der Knoten war endlich geplatzt nach 23 Fehlwürfen am Samstag. "Der Angriff war heute fantastisch, wir haben eine super Reaktion gezeigt auf die Kritik nach dem Österreich-Spiel", sagte Torwart Andreas Wolff. Diese Steigerung war auch bitter nötig, denn zum einen hatten auch die Ungarn wieder ordentlich Wurfpower aus dem Rückraum am Start. Zum anderen weil Wolff, der Held der Spiele gegen Island und Österreich, nichts zu fassen bekam.
Der 32-Jährige war diesmal zu Beginn gar kein Faktor, erst in der 2. Halbzeit hielt er erstmals einen Wurf. "Ich habe gefühlt mehr Eigentore gemacht als wir Tore kassiert haben", übte Wolff Selbstkritik, das Spiel war auch deshalb zur Halbzeit noch offen. Erst als Wolff auftaute und neun Paraden in den zweiten 30 Minuten zeigte, zog Deutschland davon.
Knorr - "Unser bestes Angriffsspiel"
"Wir haben unser bestes Angriffsspiel im ganzen Turnier gemacht", fand Spielmacher Juri Knorr. "Es war klar, dass dann mit der Zeit auch die Abwehr kommt, dass Andi kommt." Der 23-jährige Mittelmann nahm nur fünf Würfe (und traf viermal), diese aber zum richtigen Zeitpunkt. Mit drei Knorr-Toren setzte sich Deutschland nach der Pause erstmals etwas auf 21:18 ab, dazu setzte der Regisseur klug seine Nebenleute ein und bestimmte das Tempo. So konnten neben Knorr vor allem Köster, aber auch Sebastian Heymann oder Kai Häfner (je vier Treffer) glänzen.
"Was für mich heute hervorgestochen ist, ist die taktische Reife, die wir als Mannschaft gezeigt haben", sagte Knorr. "Uns hat man zugetraut dass wir kämpfen, Gas geben, irgendwann den Kopf verlieren, aber das haben wir heute nicht getan. Es macht mich einfach stolz, weil ich wusste, dass das möglich ist und in uns steckt."
Zerbe - dreieinhalb Stunden zwischen Zuhause und Nationalhymne
Sehr kurzfristig war Lukas Zerbe zu seinem EM-Debüt gekommen, er ersetzte den grippeerkrankten Timo Kastening. Der Rechtsaußen vom TBV Lemgo Lippe reiste erst am Montagnachmittag zur Mannschaft - nur knapp dreieinhalb Stunden lagen zwischen dem Anruf und der Nationalhymne. "Der Anruf kam um Viertel vor fünf. Da saß ich auf dem Sofa und habe fast meine Tasche gepackt, um ins Training zu fahren", sagte der Bundesliga-Profi. "Dann habe ich die größere Tasche gepackt, ins Auto geschmissen und bin zur Nationalmannschaft gereist", sagte der 28-Jährige.
Kastening, so hofft Bundestrainer Alfred Gislason, soll am Mittwoch gegen Kroatien schon wieder dabei sein. Mit einem Sieg steht die deutsche Mannschaft im Halbfinale, wo sie als Tabellenzweiter auf Dänemark treffen würde. Gislason denkt noch nicht daran. "Wir sind noch nicht weiter", sagte der 64-Jährige, der mit seiner Mannschaft ein K.o.-System ausgerufen hatte. "Das Achtelfinale haben wir geschafft, jetzt haben wir das Viertelfinale vor der Brust."
In Kastenings Abwesenheit avancierte Andreas Wolff übrigens zum DJ, der die Musik in der Umkleidekabine bestimmen durfte. "Für die Jungs hat es gut geklappt", sagte Wolff. "Bei mir - naja. Vielleicht gefällt mir meine eigene Musik nicht." Die Lockerheit ist zurück nach dem erlösenden Sieg. Wenn am Mittwoch die Offensivkräfte und die Torhüter gleichermaßen abliefern - dann zieht Deutschland ins Halbfinale der Heim-EM ein.