Sieg im EM-Finale gegen England Spaniens Stratege Rodri - einfach nicht auszubremsen
Im EM-Finale gegen England musste Spaniens Rodri zur Pause verletzt raus. Seine Führungsrolle nahm er weiter wahr, in Trainingsjacke und an der Seitenlinie - das erinnerte an Cristiano Ronaldo.
Es lief die 45. Minute, als Rodri als Retter gefordert war. Sein eigentlich so routinierter spanischer Teamkollege Dani Carvajal hatte den Ball auf der Außenbahn überraschend unroutiniert an Englands Jude Bellingham verloren und der fand - eine Seltenheit in diesem Spiel - am Sechzehner Harry Kane. Also rutschte Rodri kompromisslos in die Schussbahn. Sein linkes Bein wurde länger und länger, es blockte auch erfolgreich den Ball. Dann aber wurde er vom Rasen und einem eigenen Verteidiger unsanft ausgebremst.
Rodri zog kurz, aber unheilverkündend an seiner Hose am hinteren Oberschenkel und als die Partie nach der Pause wieder begann, stand Martin Zubimendi an der Seitenlinie zur Einwechslung bereit. Rodris EM endete damit vorzeitig und seine Spanier mussten - in einem Finale, das noch völlig offen war - ohne ihren Chef im Mittelfeld auskommen.
De la Fuente nannte ihn seinen "perfekten Computer"
Oder anders formuliert: Ohne ihren "perfekten Computer", wie Spaniens Coach Luis de la Fuente Rodri genannt und noch erklärend nachgeschoben hatte: "Er steuert die Emotionen in der Mitte des Feldes, er erkennt alle Momente des Spiels. Großartig." So großartig, dass ihn Pep Guardiola, sein Trainer bei Manchester City, gar zum besten defensiven Mittelfeldspieler der Welt erhob - und das nicht einfach so, sondern mit Abstand.
Große Worte, die für Rodri aber nicht zu groß sind. Das zeigte er auch bei dieser EM. Mehr geredet wurde zweifelsohne über den jetzt 17-jährigen Lamine Yamal und wahrscheinlich auch über Nico Williams, dessen Pendant auf dem linken Flügel. Doch den Takt des Spiels gab im Schatten weiter Rodri vor. Er machte selten das Spektakuläre, aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit genau das Richtige. Wenn er ordnete, wenn er passte - und eben auch, wenn er Schüsse blockte. Drohte ohne den 28-Jährigen gegen England nun also der spanische Systemabsturz zum ungünstigsten aller Zeitpunkte?
Rodri dirigiert wie einst Ronaldo - und doch anders
Im Rückblick ist die Antwort einfach: mitnichten. Eigentlich begann nun sogar die beste Phase der Spanier. Nicht einmal zwei Minuten waren nach Wiederanpfiff vergangen, als Williams die Führung erzielte. Rodri war da längst in seiner neuen Rolle angekommen. Kaum war der Jubel abgeebbt, tauchte er nämlich neben de la Fuente auf, der während Spielen üblicherweise gestenreich den alleräußersten Rand seiner Coaching-Zone beackert.
Nun stand Rodri plötzlich in Trainingsjacke neben ihm. Seine Arme schwenkten nach links und nach rechts und wirkten kurzzeitig wie das wilde Pendel eines außer Kontrolle geratenen Metronoms. Es war die sichtbare Suche nach einem Weg, von außen das Tempo vorzugeben, das er auf dem Platz mit so selbstverständlicher Ruhe steuert. Er fand ihn - und tat neben de la Fuente fortan immer wieder das, was er am besten kann: organisieren.
Es waren Co-Trainer-Momente, die an 2016 erinnerten. Rodri hieß damals Cristiano Ronaldo und Spanien war Portugal. Im EM-Finale gegen Gastgeber Frankreich hatte auch "CR7" bereits früh verletzt vom Feld gemusst, noch früher sogar als Rodri. Die Bilder von ihm als Neu-Trainer an der Seite des Eigentlich-Trainers Fernando Santos gingen in die Fußball-Historie ein. Vor allem wegen einer Theatralik, die so gar nicht Rodris Sache ist. Egal, in welcher Rolle. Was die beiden dennoch eint? Der EM-Titel.
Zubimendi und seine Rodri-like Performance
De la Fuente machte es derweil stolz, dass sein Team den Triumph auf den letzten Metern ohne Rodri sichern konnte. "Ich denke, ich habe die 26 besten Spieler der Welt. Jedes Mal, wenn ich einen Wechsel mache, weiß ich, dass sie gut spielen werden", sagte er in den Katakomben des Olympiastadions. Wer wollte dem 63-Jährigen da schon widersprechen, der mit seiner Mannschaft eine EM der vielen Bestmarken gespielt hatte: 15 Tore? Rekord. Sieben Siege in Folge? Rekord. Vier Titel? Ebenfalls alleiniger Rekord vor Deutschland.
In dieser Final-Nacht galt de la Fuentes Lob ganz besonders auch Zubimendi. Eine "sensationelle zweite Halbzeit" bescheinigte sein Trainer dem Mann, der zur Pause den Taktstock des Star-Dirigenten übernehmen musste. Und tatsächlich war es eine Rodri-like Performance, die der 25-Jährige hinlegte. Er gewann 75 Prozent seiner Zweikämpfe, mehr als jeder andere Spieler auf dem Platz. 96 Prozent seiner Pässe kamen an.
De la Fuente: "Ich möchte den Ballon d’Or für ihn"
Dass der weite Weg zum Titel dennoch nur über Rodri führte, stand außer Frage. "Er ist einer der besten Spieler der Welt. Ich möchte den Ballon d’Or für ihn", sagte de la Fuente. Rodri selbst sprach, wie er eben ist, lieber über sein Team. "Unser Herz läuft über. Das ist Geschichte. Wir haben Weltmeister geschlagen - Italien, Deutschland, Frankreich, England -, wir haben es geschafft und müssen stolz sein", sagte er im Sportschau-Interview und schickte eine Ansage hinterher: "Stehen bleiben wollen wir nicht. Wir haben etwas Schönes aufgebaut und wollen daran bauen."
Er selbst wird die Yamals, Williams' und Olmos dabei weiter anführen. Bei der EM wurde er zum Spieler des Turniers gewählt. Noch kein Ballon d’Or, aber eine erster Schritt. Die Treppen zur Übergabe der Trophäe nahm der 28-Jährige übrigens schon wieder mit Leichtigkeit und auch bei der ausgiebigen Party mit den Fans hüpfte er beidbeinig im Takt. Einen Rodri bremst in diesen EM-Tagen eben niemand so schnell aus.