Der niederländische Stürmer Memphis Depay

Schlüsselspieler Depay Niederlande zwischen Kritik und Titeltraum

Stand: 02.07.2024 11:17 Uhr

Die Niederlande hat noch nicht so richtig ins EM-Turnier gefunden. Besonders in der Offensive um Schlüsselspieler Memphis Depay hakt es gewaltig. Der scheint davon wenig beeindruckt.

Schließlich "fängt das Turnier erst jetzt richtig an", hatte Memphis Depay nach der 2:3-Niederlage gegen Österreich gesagt, das die Niederlande auf den dritten Platz der Gruppe D gespült hatte. Die Kritik an der "Elftal", die mit sehr hohen Erwartungen in diese EM gestartet war, wurde in der Heimat deutlich lauter. Und auch in der Mannschaft selbst soll es ein wenig gekracht haben. "Wenn die Ergebnisse nicht den Wünschen entsprechen, ist es logisch, dass es Ärger gibt, das ist menschlich", sagte Depay dazu.

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"Who cares" - Depays Stirnband kontert die Kritik

Am Tag vor dem Achtelfinale gegen Rumänien (02.07.2024, 18 Uhr, Livestream, Radioreportage und Ticker) lief der 30-jährige Angreifer lässig über den Rasen der Münchner EM-Arena, spielte beim Aufwärmen Pässe aus dem Fußgelenk, die meist recht ungenau bei seinen Teamkollegen ankamen - auf dem Kopf wie immer sein weißes Stirnband mit der Aufschrift "Who cares"- "Wen interessiert’s". Eine Replik auf die Berichterstattung über seine Person vor der EM. Doch dieses dicke Stirnband ist bislang das Auffälligste am Niederländer während des Turniers.

Der niederländische Stürmer Memphis Depay

"Who cares" auf Memphis Depays Stirnband

Kaum gefährliche Aktionen, schwache Passquoten, viele Ballverluste: Der wuselige Angreifer ist in den Niederlanden zum Gesicht dieser "Elftal" geworden, deren Spiel bislang hinter den Erwartungen zurückbleibt und deutlich zu selten gefährlich vor das gegnerische Tor kommt. "Wir müssen sicherlich besser spielen", sagte Bondscoach Ronald Koeman auf die recht provokante Frage eines rumänischen Journalisten, was der verstorbene Johan Cruyff wohl zu dem Auftritt der niederländischen Nationalmannschaft gesagt hätte. "Ich habe viele Spiele unter ihm gespielt und viele von denen waren deutlich schlechter, als die Partie gegen Österreich. Aber Cruyff wollte immer offensiven Fußball spielen und das wollen wir auch."

Schlüsselspieler de Jong fehlt im Koemans System

Eine Knöchelverletzung hat Frenkie de Jong die EM gekostet und Koeman vielleicht das wichtigste Puzzlestück in seinem Plan, zum zweiten Mal in Deutschland eine EM zu gewinnen. 1988 war ihm das als Spieler gelungen, nun soll es als Trainer klappen. Doch ohne de Jong wirkt das Spiel der "Elftal" etwas kopflos. Mit Joey Veerman und Jerdy Schouten soll ein Duo von der PSV Eindhoven den Ausfall des Superstars vom FC Barcelona auffangen, das allerdings oftmals mit den Defensiv-Aufgaben so sehr gefordert wirkt, dass eine Vorwärtsbewegung von ihnen nur selten zustande kommt. "Wir müssen im Mittelfeld besser werden", sagte auch Koeman vor dem Achtelfinale gegen Rumänien. Die niederländische Nationalmannschaft hat sich in diesem Turnier noch nicht gefunden. In allen drei Spielen schickte Koeman unterschiedliche Angriffsreihen auf das Feld.

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Depay: Der Lieblingsschüler von Koeman

Die einzigen Konstanten: Cody Gakpo und Depay. Bondscoach Koeman hat sich früh entschieden, dass er den wuseligen Angreifer dem sehr kantigen Mittelstürmer Wout Weghorst vorziehen wird. Koeman bevorzugt mit einer falschen Neun zu spielen, ganz besonders mit Depay. So war er es, bei seiner ersten Amtszeit als niederländischer Nationaltrainer, als er den flinken Offensiv-Spieler zum Mittelstürmer machte.

So war es auch während seiner Zeit beim FC Barcelona, als er Depay in die katalanische Hauptstadt holte, um den abgewanderten Lionel Messi zu ersetzen. Nun geht Koeman in seine zweite Amtszeit als Bondscoach. Es ist keine große Überraschung, dass der 61-Jährige erneut auf Depay setzt, obwohl dieser aus einer durchwachsenen Saison mit Atlético Madrid kommt, in der Verletzungen und schwankende Leistungen ihn seinen Stammplatz und schließlich eine Vertragsverlängerung kosteten.

Viele Fehlpässe, keine erspielten Chancen: Depay in der Krise

Koeman hielt an Depay fest. Doch bei der EM konnte der das Vertrauen bislang nicht rechtfertigen. Gegen Frankreich hatte er in 79 Minuten nur 28 Ballberührungen, verlor neunmal den Ball und brachte nur 60 Prozent seiner Pässe zum Mitspieler. Koeman stellte sich nach der Partie dennoch vor seinen Schützling: "Depay spielt sehr gut. Das Team braucht ihn dringend", sagte Koeman nach dem Abpfiff und gab ihm eine Startelfgarantie für das Duell gegen Österreich.

Dort rechtfertigte er das Vertrauen mit einem Tor, einer deutlich besseren Passquote und den viertmeisten Ballkontakten im Team. Um die Stürmerdiskussion zu beenden, reichte das allerdings nicht, zumal Weghorst in seinen drei Kurzeinsätzen an der Hälfte aller niederländischen Tore beteiligt war. Depay hat im gesamten Turnier nur zwei Offensiv-Zweikämpfe gewonnen und aus dem Spiel heraus für seine Mitspieler keine Chance kreiert - für eine "falsche Neun" nicht gerade ein Empfehlungsschreiben.

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Trotz Kritik: EM-Traum der Niederländer lebt

Vor dem Achtelfinale gegen Rumänien forderte Koeman nun: "Die kreativen Spieler müssen den Unterschied machen." Wenige Minuten später zog sich Weghorst das Trainingsleibchen an und ordnete sich bei der Gruppe ein, die aller Voraussicht nach die Partie auf der Ersatzbank beginnen werden. Depay stand auf der Hälfte des Feldes unter den Stammspielern. Der Bondscoach wird seinen Schlüsselspieler nicht einfach so fallen lassen.

Der Traum vom EM-Sieg ist trotz des schwachen Turnierstarts für die Niederlande noch immer sehr greifbar. Ein Weiterkommen gegen Rumänien und die Niederlande hätte gegen Österreich die Chance auf eine Revanche und den Halbfinal-Einzug, wo England oder die Schweiz warten würden. Sollten Depay und die gesamte Oranje-Offensive in Form kommen, wäre es ein machbarer Weg und das dicke weiße Stirnbad um Depays Kopf hätte nicht nur das Potenzial, zum Verkaufsschlager zu werden, sondern auch den passenden Slogan zur Vorrunde: "Wen interessiert’s?" Das richtige Turnier beginnt schließlich erst jetzt.