Das DFB-Team in der Einzelkritik Neuer ist wieder der Alte - Musiala überragt
Ob Manuel Neuer im Tor, Toni Kroos im Maschinenraum oder Jamal Musiala und Ilkay Gündogan vor dem gegnerischen Gehäuse: Gegen Ungarn überzeugten fast alle Teile der deutschen Mannschaft. Die Einzelkritik.
Manuel Neuer
Nun ist auch der Torhüter des DFB-Teams im Heimturnier angekommen. War von Beginn an hellwach und bewahrte seine Mannschaft bereits nach 13 Sekunden mit einer Fußabwehr gegen Ungarns Roland Sallai vor einem ultrafrühen Rückstand. In der 26. Minute agierte der Keeper dann gleich doppelt stark, als er erst einen Freistoß von Dominik Szoboszlai entschärfte und direkt danach das kurze Toreck dichtmachte.
Minimale Unsicherheit kurz vor dem Schlusspfiff, als er in der Luft einen Ball fallen ließ statt wegzufausten - allerdings wurde er dabei nicht unerheblich von Martin Adam angegangen. Kein Futter also für die zuletzt geführte Torwart-Diskussion, im Gegenteil: Neuer hat gezeigt, dass er schnell wieder der Alte sein kann. Zudem steht der 38-Jährige jetzt bei 17 EM-Spielen - einzig Italiens Gianluigi Buffon kommt auf genauso viele.
Joshua Kimmich
War auf seiner rechten Außenbahn immer anspielbar, wenn er denn gesucht wurde. Kam auf vier Torschussvorlagen, die meisten aller Spieler in der DFB-Auswahl. Leistete sich defensiv die größte Unkonzentriertheit, die Neuer in der ersten Spielminute ausbügelte.
Später zeigte Kimmich dann aber auch in der Rückwärtsbewegung mehrere gute Aktionen oder rückte raus, wenn die Ungarn das Spiel mal etwas schneller machten. Seine Klärungstat in der 15. Minute gegen Sallai war gerade in dieser Phase des Spiels extrem wichtig.
Antonio Rüdiger
Der Dirigent in der frühen Phase des Spielaufbaus. Mit klarer Gestik in Richtung seiner Mitspieler, wenn die sich mal nicht anboten oder in freie Räume bewegten. Ähnlich wie Kimmich rettete auch Rüdiger einmal in letzter Instanz: Ohne seinen Einsatz hätte es Szoboszlai in der 29. Minute wohl wesentlich leichter gehabt.
Jonathan Tah
Gemeinsam mit Rüdiger bildete Tah in der Innenverteidigung exakt das Tandem, das die deutsche Mannschaft nach dem Stresstest in der wilden Anfangsphase benötigte. Strahlte Ruhe und Sicherheit aus, vor allem kurz nach dem Seitenwechsel, als er beispielsweise bei einem von Sallai sehr schnell ausgeführten Einwurf aufmerksam klärte (56.).
Maximilian Mittelstädt
Der Profi des VfB Stuttgart konnte das Spiel in seinen vertrauten vier Tribünen-Wänden von Beginn an und in vollen Zügen genießen. Rückte auf links schnell nach, wenn Florian Wirtz direkt vor ihm ballsicher im Vorwärtsgang war und sich so Räume ergaben. Mittelstädts Vorarbeit für Gündogans Tor zum 2:0 - ein cleverer und flach hereingespielter Ball von der linken Seite in den Rücken der ungarischen Abwehr - war der erste Assist des 27-Jährigen im DFB-Trikot.
Toni Kroos
Organisator, Stabilisator, Ballverteiler: Kroos war mal wieder alles. Und das auf einem Niveau, das im defensiven Mittelfeld im europäischen Fußball momentan seinesgleichen sucht. Bereits am Ende der ersten Halbzeit kam der Champions-League-Sieger auf eine Zweikampfquote von 100 Prozent sowie auf 83 Ballberührungen, bei Spielende waren es 147. Statistiken, die beeindrucken. Und die die Tatsache, dass Kroos trotz vieler Versuche nicht eine brauchbare Ecke geschlagen hat, völlig irrelevant machen.
Robert Andrich (bis 71.)
Komplettierte das erneut gute Gespann mit Kroos auf der Doppel-Sechs. Legte gleich mehrfach ein cleveres Zweikampfverhalten an den Tag. Erkannte, wann er noch stärker nach hinten mitarbeiten und defensiv Drecksarbeit zu erledigen hatte. Angenehmer Nebeneffekt: In der elften Minute ermöglichte Andrich durch solch einen Einsatz gleich zwei Chancen der deutschen Mannschaft, eine davon hatte er nach einem guten Umschaltmoment sogar selbst.
Ilkay Gündogan (bis 84.)
Enormer Offensivdrang beim Kapitän, der während der ersten Hälfte ein ums andere Mal den Eindruck erweckte, er sei neben Havertz eine zweite Spitze. Extrem starkes und wertvolles Nachsetzen vor dem 1:0, als die Szene nicht wie von den Ungarn gewünscht wegen eines vermeintlichen Foulspiels abgepfiffen wurde. Es war bereits Gündogans dritter Assist in diesem Turnier, nur überboten von seinem ersten EM-Tor. Vier Scorer-Punkte nach zwei Spielen - der 33-Jährige ist in Höchstform.
Florian Wirtz (bis 58.)
Kam in der Anfangsphase überhaupt nicht in seine Dribblings und wenn doch, verpufften sie wirkungslos. Gewann gerade einmal 24 Prozent seiner Zweikämpfe, wurde deshalb kurz nach der Halbzeitpause als einer der zweikampfschwächsten DFB-Kicker ausgewechselt.
Jamal Musiala (bis 71.)
Falls der Duden irgendwann einmal eine neue Definition für den Begriff Effizienz benötigen sollte, dann könnte Musiala wohl beratend zur Seite stehen. Wie gegen Schottland traf er nun auch gegen Ungarn mit seinem ersten Torschuss. Darüber hinaus überragte der 21-Jährige, der einen gelungenen Fußballabend in seiner Geburtsstadt Stuttgart erlebte, auch in der Arbeit gegen den Ball: Bis zu seiner Auswechslung gewann er 79 Prozent seiner Zweikämpfe, so viele wie kein anderer Spieler auf dem Feld.
Kai Havertz (bis 58.)
Hatte die erste Chance der Partie (5.), die zweite Chance der Partie (11.) - ab dann aber nicht mehr den vollen Zugriff auf das offensive Geschehen. Im Gegenteil: Vor allem unter Druck wusste sich Havertz diesmal kaum zu helfen. Bei seiner Auswechslung Mitte der zweiten Halbzeit lag seine Zweikampfquote bei 20 Prozent: Tiefstwert aller Spieler auf dem Rasen.
Leroy Sané (ab 58.)
War nach seiner Hereinnahme sofort eingebunden und Anspielstation, entweder auf (halb-)rechts oder als Zielspieler bei langen Kroos-Bällen. Hatte in der 75. Minute eine gute Chance, versemmelte aber zwei Minuten später einen Freistoß aus eigentlich guter Position. In der Schlussminute unterlief ihm dann noch ein Fehlpass, der der deutschen Mannschaft sehr wahrscheinlich eine hochkarätige Chance aufs 3:0 nahm.
Niclas Füllkrug (ab 58.)
Machte nach seiner Einwechslung das Beste aus einem Spiel, das nicht für einen klassischen Mittelstürmer gemacht war. Verpasste gleich zwei Mal hauchzart eine gute Kopfballgelegenheit (69., 87.). Stärkste Aktion: ein Ballgewinn im Mittelfeld, der in der Schlussphase noch zu einer Sané-Chance führte (88.).
Emre Can (ab 71.)
War diesmal in der Schlussphase kein allzu großer Faktor mehr. Gewann alle der wenigen Zweikämpfe, die er noch führte. Dazu eine Torschussvorlage und 21 Ballbesitzphasen in rund 20 Minuten Einsatzzeit.
Chris Führich (ab 71.)
Mittelstädts Teamkollege vom VfB Stuttgart feierte ein gelungenes EM-Debüt. In gleich mehreren Szenen zeigte Führich, über was für eine feine Ballbehandlung er verfügt. In der 79. Minute spielte er Gündogan mit einem Lupfer aus dem Fußgelenk an, acht Minuten später ermöglichte er mit einem starken Dribbling an den Sechzehner eine Füllkrug-Chance. Führich hat Nagelsmann definitiv bewiesen, dass er ihn jederzeit bringen.
Deniz Undav (ab 84.)
Der dritte VfB-Profi, der in Stuttgart verdientermaßen zu seinem EM-Debüt kam. Wurde vom Publikum lautstark und mit Sprechchören gefeiert. Kein Einfluss mehr aufs Spielgeschehen.