Größter Erfolg der Geschichte Georgien schreibt EM-Fußballmärchen fort
Georgien hat mit Kampf, Leidenschaft und auch spielerischen Akzenten überraschend das Achtelfinale der EM 2024 erreicht. Großer Teamgeist, unbändiger Kampf und enorme Leidenschaft haben zu diesen Triumph geführt.
Die Begeisterung kannte keine Grenzen, Tränen der Freude flossen, die Lautstärke, die die zigtausenden Fans von Georgien in der Gelsenkirchener Arena schon während des Spiels erzeugten, wäre mit ohrenbetäubend nur unzureichend beschrieben. Nur Willy Sagnol wirkte während der 90 Minuten, als würde er ein Testspiel betreuen anstatt den größten Sieg der kleinen Fußballnation zu verantworten.
Erst nach dem Schlusspfiff, beim enthusiastischen Mannschaftsfoto auf dem Rasen vor der Kurve mit den georgischen Fans, riss auch der Trainer die Arme hoch, in den Augen Tränen.
"Wir haben so viel Fokus auf den Wettbewerb. Wir werden wohl erst realisieren, was wir geschafft haben, wenn wir verloren haben. Ich bin sehr stolz darauf, der Trainer dieser Mannschaft zu sein", sagte der Coach später mit einem schelmischen Grinsen im Gesicht.
Nun Achtelfinale gegen Spanien
Die beruhigenden Anweisungen des äußerst erfahrenen Trainers in dem enorm aufgewühlten Umfeld hatten überaus positive Auswirkungen. Denn es war der bislang größte Abend für den georgischen Fußball.
Das Nationalteam der kleinen Fußball-Nation (3,7 Millionen Einwohner) bezwang den haushohen Favoriten Portugal am Mittwochabend (26.06.2024) völlig überraschend mit 2:0 (1:0) - und sicherte sich damit geradezu sensationell bei der ersten EM-Teilnahme ein Achtelfinal-Ticket.
Am Sonntag trifft das georgische Team in Köln nun auf Top-Favorit Spanien. Ein Vorrunden-Ergebnis, das wohl selbst die kühnsten Optimisten im georgischen Fußball nicht vorhergesagt hätten.
Kitschige Geschichte
Khvicha Kvaratskhelia (2.) und Georges Mikautadze (56.) hatten mit ihren Treffern für den Sieg gesorgt und ließen die fußballbegeisterte Nation zumindest für einen Abend die Massenproteste gegen die Regierungspartei "Georgischer Traum", die ein äußerst umstrittenes Gesetz zu vermeintlich "ausländischer Einflussnahme" beschlossen hat, vergessen. Vor allem die Russland-freundliche Politik von Premierminister Irakli Kobachidse sorgt für Unruhe im Land.
Umso wohltuender dürfte dieser besondere georgische Abend im Ruhrgebiet gewesen sein, der die ganze Nation hat feiern lassen: Es ist schon eine fast kitschige Geschichte, die die Georgier bislang bei dieser EM geschrieben haben. Sie schreiben das eigene Fußballmärchen fort.
Mehr Biss
"Ich bin unglaublich glücklich. Wir waren uns sicher, dass wir gewinnen werden. Wir wollten kämpfen wie die Löwen, das haben wir gemacht", sagte Kvaratskhelia: '"Es war eine tolle Mannschaftsleistung. Wir haben Geschichte geschrieben."
"Sie hatten einfach den richtigen Biss, wir haben ihre Intensität nicht angenommen", sagte Portugal-Trainer Roberto Martinez und pflichtete damit dem georgischen Torschützen bei.
Energie nicht in die richtige Bahnen gelenkt
Das Team von Willy Sagnol zeigte in allen drei Partien derart großen Einsatz, einen besonderen Teamgeist und Leidenschaft, als wäre es jedem einzelnen Spieler eine echte Herzensangelegenheit, diese EM zu einem einzigartigen, unvergesslichen Erlebnis für alle Georgier zu machen. Spektakel gab es jeweils in großem Maße dazu.
Zum Auftakt gegen die Türkei konnten die Georgier ihre große Energie beim 1:3 noch nicht ganz in die richtigen Bahnen lenken. Beim 1:1 gegen Tschechien hatten sie einen überragenden Torhüter Giorgi Mamardashvili und schon einen kühleren Kopf bewahrt - und damit bereits den ersten EM-Punkt in der Geschichte gewonnen.
Positive Lerneffekte
Im dritten Gruppenspiel dann die bisherige Krönung: Gegen die zuvor bereits für die Runde der letzten 16 Teams qualifizierten und insgesamt enttäuschenden Portugiesen wandten die Georgier alle positiven Lerneffekte dieses Turniers an: heißes Kämpferherz, kühler Kopf, fußballerische Qualitäten, viel defensive Disziplin und Spieler in Topform wie Mamardashvili, Kvaratskhelia oder auch Mikautadze (drei EM-Treffer). Am Ende triumphierten sie verdient.
"Wir haben Spieler, die nicht nur gewinnen wollen, sie wollen auch auf schöne Art und Weise gewinnen. Wenn man alleine unsere Bank ansieht, haben wir dort vielleicht nicht die besten Spieler. Aber was Menschlichkeit und Gruppendynamik angeht sind wir sehr gut. Ich bin sehr glücklich", sagte Sagnol.
Spanien vielleicht zu groß?
Es war ein Abend, den vor allem Kvaratskhelia nicht mehr vergessen wird. Neben seinem Führungstor und dem Achtelfinaleinzug hat er noch einen weiteren Herzenswunsch erfüllt bekommen. "Ich habe ein Trikot von Cristiano Ronaldo bekommen und er hat mit mir ein paar Worte gewechselt. Dafür bin ich sehr dankbar", sagte der Angreifer.
Dann aber richtete sich sein Blick auf die kommende Partie. "Ich respektiere Spanien so sehr. Wir kennen sie sehr gut. Aber wir konnten heute sehen, dass wir gegen solche Teams bestehen können. Wir werden da sein, um zu kämpfen und zu gewinnen'", sagte Kvaratskhelia.
Trainer Sagnol gab sich noch etwas zurückhaltender als sein Angreifer. "Spanien ist wohl die beste Mannschaft der Gruppenphase, vielleicht zu groß für uns. Wir werden sehen", sagte der 47-Jährige. Auf die leichte Schulter werden die Iberer Georgien nach dieser Vorrunde aber wohl nicht mehr nehmen.