EM 2024 Menschenrechte: Es ist noch viel zu tun
UEFA und DFB haben für 2024 die "nachhaltigste Fußball-EM aller Zeiten" angekündigt. Nach der WM in Katar wollen sie mit sozialer Gerechtigkeit punkten und neue Standards setzen. Doch im Vergleich mit anderen Sportevents hinken sie hinterher.
Nur noch siebeneinhalb Monate bis zur Eröffnung. Die Organisatoren der Fußball-EM 2024 sind im Auftrag der Menschenrechte zur Zeit im Sprint unterwegs. Das Problem ist nur: Sie befinden sich gerade einmal auf der ersten Etappe eines Marathons.
Im November sollen endlich die Ziele und Maßnahmen feststehen, mit denen die Organisatoren Ausbeutung, Diskriminierung, sexualisierter Gewalt und anderen Gefahren begegnen wollen, auf die Menschen bei oder im Umfeld der EM stoßen können. Sylvia Schenk koordiniert eine Gruppe von Menschenrechtsorganisationen, die der UEFA und dem DFB dabei helfen und auf die Finger schauen wollen. Sie sagt: "Wir sind eigentlich mit allem schon viel zu spät. Das haben die Verantwortlichen jetzt begriffen."
Das bedeutet Stress für die zwei Mitarbeiter, die sich bei der EURO 2024 GmbH, einer Tochtergesellschaft von DFB und UEFA, hauptamtlich um den kompletten Bereich Nachhaltigkeit kümmern. In seiner Bewerbung um die Austragung der EM hatte der DFB drei bis vier hauptamtliche Mitarbeiter für diesen Bereich versprochen.
Neben der Umweltverträglichkeit des Turniers steht dabei auch die soziale Gerechtigkeit im Fokus. Nach der WM in Katar will der DFB 2024 mit seinen Menschenrechts-Versprechen punkten und sogar "neue Standards setzen". Doch bislang hinkt die EM im internationalen Vergleich hinterher.
Menschenrechts-Policy: EURO 2024 GmbH ist spät dran
Die sogenannte Menschenrechts-Policy, in der UEFA, DFB und die Gastgeber-Städte der EM ihre Ziele und Maßnahmen festhalten wollen, ist da ein Beispiel. Eine ambitionierte Policy ist die Messlatte. Zuletzt haben Australien und Neuseeland diese bei der Ausrichtung der Frauenfußball-WM sehr hoch gelegt.
Wenn die Menschenrechts-Policy der EM 2024 im November endlich kommt, ist das verglichen mit der Frauen-WM in Australien und Neuseeland spät. "Die haben eineinhalb Jahre vorher ihr Grundsatzpapier und Maßnahmen zu den größten Menschenrechts-Risiken festgelegt, um dann präventiv tätig werden zu können. Also wir sind im Grunde ein Jahr hintendran", sagt Sylvia Schenk, erklärt aber auch: "Für deutsche Verhältnisse, wo wir sehr wenig Erfahrung mit solchen Menschenrechts-Prozessen haben, bin ich froh, dass wir überhaupt jetzt an diesem Punkt sind. Aber international hinken wir hinterher."
Schenk meint vielen Deutschen fehle das Verständnis für Menschenrechte und das Problembewusstsein. Denn dabei geht es nicht immer um Folter oder Tote auf Stadion-Baustellen, sondern auch um Ausbeutung, Diskriminierung, sexualisierte Gewalt und andere Gefahren, auf die Menschen bei der EM oder ihrer Vorbereitung stoßen können.
Das zeige sich auch bei den Entscheidern: "Die Verantwortlichen denken immer, ich beschließe heute, dass ich mich an die Menschenrechte halte und morgen ist alles in Ordnung. Das funktioniert weder in Katar noch in Deutschland. Und das ist vielleicht ganz gut, wenn wir das jetzt mal miteinander lernen. Da braucht es detaillierte Maßnahmen, die Zeit brauchen, die man umsetzen muss."
Nächster Schritt hat wenig Zeit: Eine Beschwerdestelle einführen
Wenn die Versprechen der EM-Ausrichter in der Menschenrechts-Policy stehen, geht im Idealfall die Umsetzung und die Kontroll-Arbeit los. Die wichtigste Institution dafür ist eine Beschwerdestelle – wenn sie denn frühzeitig geschaffen wird. Das betonen neben Menschenrechtlern auch Politikwissenschaftler.
Die Beschwerdestelle soll ein Anlaufpunkt für alle sein, die sich im Rahmen der EM oder der EM-Vorbereitungen in ihren Rechten verletzt sehen. Unabhängige Ansprechpartner sollten dort zwischen Beschwerdeführern und den EM-Organisatoren vermitteln, damit gemeinsam Verbesserungen erzielt werden.
Dabei wird die Menschenrechts-Policy das übergeordnete, aber nicht das einzige Regelwerk sein, auf das sich Beschwerdeführer gegenüber der Beschwerdestelle und den EM-Organisatoren berufen können. Die Angestellten der EURO 2024 GmbH, die Arbeiter in den Lieferketten, die Sportler, junge und erwachsene Fans, Fans mit Behinderung, Journalisten – jede dieser Gruppen hat nochmal spezielle Rechte, die die Veranstalter versprechen zu schützen.
Aber - genau wie die Menschenrechts-Policy und die Beschwerdestelle - fehlen zur Zeit auch noch die konkreten Versprechen im Bereich Kinder- und Jugendschutz und zu den Arbeitsbedingungen für Journalisten. Dabei sind die Vorbereitungen der EM sportlich wie organisatorisch bereits in vollem Gang.
"Im Bereich der Presse und Meinungsfreiheit ist es wichtig, dass ein Beschwerdemechanismus möglichst frühzeitig eingerichtet wird, sagt Sophie von Waitz vom Verein Reporter ohne Grenzen: "Journalisten recherchieren schon jetzt zur EM. Dabei können sie selbst Menschenrechtsverletzungen erleben oder auch auf welche aufmerksam werden, die man melden möchte und wo man sichergehen will, dass die bearbeitet werden."
Das Konzept zur Beschwerdestelle steht noch am Anfang
Die EURO 2024 GmbH gibt auf Anfrage der Sportschau an, dass die Beschwerdestelle bis Ende des Jahres eingerichtet sein soll. Zu spät, finden von Waitz und andere Menschenrechtsvertreter. Von Waitz glaubt, die Veranstalter schauen vor allem auf Menschenrechtsverletzungen, die vor Ort während des Turniers stattfinden könnten.
In seiner Bewerbung hat der DFB aber versprochen, auch die Turniervorbereitung menschenrechtskonform durchzuführen. Schließlich hatte der DFB in dem Zusammenhang als einer der ersten Fußball-Nationalverbände weltweit den Schutz der Menschenrechte in seine Statuten aufgenommen.
"Im Rahmen der Vorbereitung des Turniers müssen zum Beispiel Personen in der Lieferkette, die jetzt schon Merchandising-Produkte in China, in Bangladesch oder sonst wo produzieren, von dem Beschwerdemechanismus erfahren", sagt Sylvia Schenk. Er müsse leicht zugänglich sein, auch was Sprache und Technik betrifft. Und wenn die Beschwerdestelle in Kraft ist, muss sie natürlich erst noch bekannt gemacht werden.
Wie funktioniert die Beschwerdestelle?
Jetzt drängt die Zeit: Zwei Monate bleiben bis zum Beginn des EM-Jahres und für die Ausarbeitung der Details. Zur Einordnung: Die Organisatoren der Olympischen Spiele in London 2012, deren Beschwerdestelle im Sport als Vorbild gilt, nahmen sich mehr als zwei Jahre Zeit, um gemeinsam mit Menschenrechtsorganisationen ein vierstufiges Verfahren auszuarbeiten, das die unabhängige Beurteilung von Menschenrechtsbeschwerden sicherstellen sollte.
Sophie von Waitz sagt, die EM-Veranstalter hätten es in Bezug auf den Beschwerdemechanismus versäumt, sich frühzeitig mit den Menschenrechtsorganisationen abzustimmen. "Wir wissen nicht, wie eine Meldung dann bearbeitet wird. Wir wissen auch nicht, wie dann am Ende Abhilfe-Mechanismen aussehen könnten. Wir wissen nicht, in welcher Form zivilgesellschaftliche Akteure einbezogen werden und an welchem Punkt die UEFA", beklagt sie.
Gegenüber dem WDR-Magazin Sport inside teilte die EURO 2024 GmbH zu ihren Plänen mit: "Mittels Telefon oder digitaler Eingabe kann den Beschwerdeführern unmittelbar Abhilfe geschaffen oder die Beschwerde an die zuständige Stelle weitergegeben werden." Mit Blick auf den Aufwand, der bei Olympia 2012 betrieben wurde, um eine unabhängige Beurteilung der Beschwerden zu ermöglichen, klingt das etwas einfach.
Darauf hingewiesen, ergänzt die EURO 2024 GmbH: "Es ist vorgesehen, dass unabhängige und externe ExpertInnen die gemeldeten Fälle nachverfolgen und auf diese Weise sicherstellen, dass es zu einer Einigung kommt." Gegebenenfalls könnten dabei auch Menschenrechtsorganisationen eingebunden werden, so ein Sprecher der EURO 2024 GmbH weiter. Aber fest steht eben noch nichts.
Hinter den eigenen Ansprüchen zurück
DFB, UEFA und Gastgeberstädte haben sich viel vorgenommen, um soziale Gerechtigkeit im Rahmen der EM zu einem großen Thema zu machen. Das begrüßen die Menschenrechtsvertreter in Deutschland ausdrücklich. Aber den Beteiligten sei zu spät klar geworden, wie groß die Herausforderungen seien. Darum bleiben die EM-Organisatoren bislang hinter den eigenen Ansprüchen zurück.