EM-Comeback der Ukraine "Die beste Nachricht nach Hause ist unser Fußball"
Sie waren fast schon ausgeschieden - doch mit einer Energieleistung nach der Pause hat die Ukraine das Spiel gegen die Slowakei gedreht. Der Druck war extrem groß, wie die Spieler nach dem 2:1 (0:1) am Freitag (21.06.2024) in Düsseldorf zugaben.
Als Schiedsrichter Michael Oliver die Partie um 16.54 Uhr abpfiff, ging Roman Yaremchuk in die Knie. Er schlug die Hände vor sein Gesicht, schickte noch ein schnelles Gebet in Richtung Himmel, breitete dann wieder beide Arme aus und hatte sofort Tränen in den Augen. Es war ein Moment, in dem jeder im Stadion - die Bilder wurden live auf die Großleinwände gebeamt - mitfühlen konnte, was für eine Last auf diesen Spielern liegt, die eben seit dem Angriffskrieg der Russen gegen die Ukraine nicht nur Spieler sind.
Zinchenko: "Müssen uns auch mal auf Fußball konzentrieren"
Sie sollen in diesen Zeiten alles sein, Hoffnungsträger, Botschafter, Tröster, Ablenker, Stolzmacher. Sie laufen schon beim Gang aus den Katakomben ins Stadion mit gelb-blauen Flaggen über ihrem Trikot ein - und dann sollen sie ihr Land auch noch in die K.o.-Runde der Europameisterschaft führen.
Dass das manchmal alles kaum zu stemmen ist, hatte man bei der 0:3-Auftaktniederlage gegen Rumänien sehr gut sehen können. Und als Oleksandr Zichenko, einer der Top-Stars dieser Mannschaft, vor dem Spiel gegen die Slowakei auf diese spezielle Mission der Ukraine-Spieler angesprochen wurde, brach es fast aus ihm heraus: "Jetzt hört doch mal auf damit, wir haben dazu schon sehr oft etwas gesagt. Wir wollen und müssen und jetzt auch mal auf Fußball konzentrieren!"
Torwart Trubin hielt die Ukraine im Spiel
Das gelang zunächst gegen die Slowakei gar nicht. Die Ukraine wirkte eine halbe Stunde lang behäbig, schaltete viel zu langsam um und kam bei den Blitz-Kontern der Slowaken kaum hinterher. Sie hätte schon höher als 0:1 hinten liegen können. Der ukrainische Torwart Anatoly Trubin rettete mehrfach brillant, vor allem bei der zweiten Chance des Torschützen Ivan Schranz, die vielleicht schon das Vorrunden-Aus bedeutet hätte. Trubin war etwas überraschend in die Startelf berufen worden. Er war einer von vier Neuen im Team, Stammkeeper Andriy Lunin musste nach gleich zwei Patzern bei der Pleite gegen Rumänien diesmal auf die Bank.
Der ukrainische Keeper Trubin während der Partie gegen die Slowakei in Aktion.
Trubin erklärte hinterher im Gespräch mit der Sportschau, was aus seiner Sicht die Wende eingeleitet hatte: "Wir haben uns in der Pause gesagt, dass es nichts bringt, so mutlos zu spielen. Du kannst in diesem Sport alles erreichen, wenn du wirklich alles dafür gibst - und das haben wir dann getan." Die ukrainischen Kollegen in der Interview-Zone schlossen daran gleich die Frage an, welche Nachricht von diesem Sieg nun nach Hause gehe. Und an die Front zu den Soldaten.
Klare Botschaft des Torhüters
Trubin reagierte anders als zuvor Zinchenko, er nahm sich Zeit für seine Antwort. Dann sagte er: "Ja, ich habe eine Botschaft für unsere Leute in der Heimat und für die Soldaten an der Front: Wir spielen hier für euch, und der ukrainische Fußball lebt. Unsere beste Nachricht nach Hause ist unser Fußball hier." Trubin gab dann noch zu: "Es ist schwer bis unmöglich, mal für 90 Minuten nicht an den Krieg zu denken. Aber umso wichtiger ist es, dass wir dann die Köpfe hochgenommen und alles auf den Platz gebracht haben, was in uns ist."
Über die Tränen seines Teamkollegen Yaremchuk sagte der Schlussmann von Benfica Lissabon: "Jeder hat seinen eigenen Charakter, mit diesem ganzen Druck umzugehen. Bei Roman waren es Tränen, aber dieses Tor war auch so unglaublich wichtig für uns alle. Andere gehen anders damit um, sind ganz ruhig. Wichtig sind aber vor allem auch die sportlichen Lehren aus diesem Sieg."
Shaparenko stolz auf den Lerneffekt
So sah das auch Mykola Shaparenko, der mit seinem Ausgleichstor die Wende erst ermöglicht hatte und zum Player of the Match gekürt wurde. Er hob heraus: "Wir können stolz auf uns sein, weil wir die Lehren aus dem Rumänien-Spiel und aus der ersten Halbzeit gegen die Slowakei gezogen haben. Es geht nicht mit Passivität, wir müssen agieren und uns von den unglaublichen Fans hier in den Stadien weiter tragen lassen."
Wohin das gehen kann? Shaparenko träumt groß: "Auch das Halbfinale ist möglich für uns, wenn wir so weitermachen wie heute in der zweiten Halbzeit. Es kommt ganz allein auf uns selbst an, ob wir diese Leistungen wiederholen. Dann können wir hier jedes Spiel gewinnen."