Trainer spaltet das Land Tuchel übernimmt England - es kratzt am Nationalstolz
Dass sich der englische Verband mit Thomas Tuchel für einen Deutschen als Nationaltrainer entschieden hat, kratzt vor allem beim Boulevard am Nationalstolz. Es gibt aber auch andere Stimmen.
Thomas Tuchel ist noch gar nicht offiziell im Amt als neuer englischer Nationaltrainer, da bekommt er schon einen Vorgeschmack auf das, was ihn in den nächsten Monaten erwarten wird. "Ein schwarzer Tag für England", titelte beispielsweise die "Daily Mail" am Mittwochmorgen (16.10.2024). Der englische Boulevard ist in Aufruhr, mindestens mal skeptisch. Schließlich hat sich der nationale Fußballverband FA mit Tuchel für einen ausländischen Trainer entschieden. Zum dritten Mal in der Verbandsgeschichte - nach dem Italiener Fabio Capello und dem Schweden Sven-Göran Eriksson.
"Ich habe leider einen deutschen Pass", entgegnete Tuchel am Mittwochmittag bei der Vorstellungs-Pressekonferenz im Wembley-Stadion auf die Frage, was er den Kritikern sagen würde - verbunden mit der ambitionierten Ansage: "Wir wollen Weltmeister werden. Wenn das gelingt, ist es egal, welche Nationalität in meinem Pass steht."
Ferdinand: "Du willst den Besten haben"
Es gelte, "auch die Zweifler zu überzeugen", sagte Tuchel, dem der weltbekannte und stets auch umstrittene englische Boulevard bekannt ist aus seiner Amtszeit als Teammanager beim FC Chelsea. Dabei stehen Blätter wie die "Daily Mail" oder auch "The Sun" nicht repräsentativ für die englische Fußballlandschaft. Vielmehr scheint das Land in der Meinung darüber gespalten zu sein, dass nun erstmals ein Deutscher die "Three Lions" coacht.
Für die einen kratzt es offensichtlich am Nationalstolz, andere betrachten die Angelegenheit ganz nüchtern. Der Ex-Nationalspieler und heutige TV-Experte Rio Ferdinand beispielsweise feierte die Verkündung: "Love it" war sein Fazit unter einem kurzen Reaktionsvideo auf der Plattform X.
Er ist davon überzeugt, "dass Tuchel in seiner Zeit mit England ein Turnier gewinnt". Und er wisse, dass es eine umstrittene Entscheidung für viele Fans sei, entgegnete aber: "Du willst den Besten haben." Und genau dieser Punkt spricht für Tuchel - und gegen seine englischen Kollegen.
Mehrere Kandidaten, nur wenige Engländer
Seit dem Rücktritt von Gareth Southgate nach der EM im Sommer übernahm interimsweise Lee Carsley. Verschiedene Namen wurden seitdem gehandelt - Tuchel gehörte ebenso von Beginn an dazu wie Pep Guardiola oder Mauricio Pochettino, übrigens auch Jürgen Klopp und José Mourinho. Allesamt keine Engländer, dafür Weltklasse-Trainer mit Premier-League-Erfahrung.
Dabei ist es keinesfalls so, dass englische Coaches nicht diskutiert oder gehandelt worden wären. Sie wären aus rein sportlicher Sicht aber bestenfalls ein Kompromiss gewesen. Ob Eddie Howe (Newcastle United), Frank Lampard (ehemals Chelsea) oder Graham Potter (ehemals Chelsea und Brighton): Keiner dieser Trainer hat das Format eines Thomas Tuchel - und bringt auch nicht dessen Vita samt Erfolgen mit.
Tuchel wird Ergebnisse und guten Fußball liefern müssen
Die FA hat sich mit Tuchel gewissermaßen für den anderen "Kompromiss" entschieden: Das vielleicht talentierteste Team der Welt bekommt einen der besten Trainer der Welt, der darüber hinaus noch Premier-League-Erfahrung hat, perfekt englisch spricht und auch noch verfügbar war. Der "Kompromiss", wenn man es denn so nennen will, besteht darin, dass er eben kein Engländer ist.
Jetzt soll ein, so formuliert es der "Daily Mirror", "Trainer des größten Rivalen" Englands die seit 58 Jahren titellosen "Three Lions" zum lang ersehnten zweiten Weltmeistertitel führen. Analytische und weniger vorverurteilende Stimmen, wie es sie vom "Guardian" ("Ein Trainer, der anspruchsvoll ist und intensiv im Training"), vom "Independent" ("Tuchel hat eine ausgefeilte, moderne Taktik") oder der "BBC" ("Der beste Mann für den Job") gibt, gehen bei den effekthascherischen Zeilen der Boulevard-Titel schon mal unter, bilden aber das Gesamtbild auf der Insel gut ab: Tuchel wird es schwer haben, alle Kritiker zu überzeugen. Dafür wird er nicht nur Ergebnisse und Erfolge liefern müssen, sondern auch überzeugenden Fußball.
Und der Protagonist hat es bei seiner Vorstellungspressekonferenz selbst am besten auf den Punkt gebracht: Wenn England 2026 Weltmeister wird, ist es egal, was im Pass steht.