Nations League Frische Luft für Frankreichs Auswahl
Der Weltmeister von 2018 fiel bei der EM mit zynischem Fußball auf, Trainer Didier Deschamps erhielt dafür viel Kritik. Erst nach einer Niederlage gegen Italien in der Nations League reagierte er.
Seit zwölf Jahren ist Didier Deschamps bereits Trainer der französischen Nationalmannschaft. Er wird sie trotz aller Kritik an seiner taktischen Ausrichtung auch an diesem Donnerstag im Nations-League-Spiel gegen Israel in Budapest betreuen. Sein Vertrag läuft noch bis 2026, und den will er unbedingt erfüllen. Zuletzt musste Deschamps (55) aber immer häufiger verstörende Auftritte seiner personell überragend besetzten Auswahl moderieren, was ihn zunehmend Kraft kostet.
Eine Ära geprägt
Der französische Baske Deschamps hat eine Ära geprägt, 2018 wurde er mit seinem Team Weltmeister, 2022 scheiterte er erst im Finale der globalen Titelkämpfe an Argentinien. Die Europameisterschaft in Deutschland in diesem Sommer hat jedoch gezeigt, dass das System "DD" kein gewinnbringendes mehr ist.
Der zynische Fußball, den der Coach bis zum Halbfinal-Aus gegen Spanien spielen ließ, bewirkte zwar eine lange Verweildauer im Turnier, hinterließ spielerisch allerdings keine Spuren. Dafür aber umso mehr höhnische Kommentare, nicht nur in der heimischen Medienlandschaft. Denn der einstige defensive Mittelfeldspieler Deschamps setzte auf eine Abwehr-Phalanx, Kreativität war nicht gefragt.
Frankreich erzielte bei der EM gerade mal vier Tore in sechs Spielen, zwei davon waren Eigentore, ein Treffer fiel nach einem Elfmeter. Einzig die Abwehr um Bayerns Dayot Upamécano überzeugte.
Sturer Hang zur Verteidigung
Deschamps reagierte auf die von ihm provozierten seltsamen Auftritte seiner Elf, indem er nach der Euro immer wieder das Verb "reoxygéner" auf seine Agenda setzte, womit er den Wunsch ausdrückte, sein Team mit neuem Sauerstoff versorgen zu wollen. Doch zunächst gelangte keine frische Luft an die Nasen seiner Auswahl: Sie verlor im September mit ihrem klassischen Deschamps-Stil zum Auftakt der Nations League mit 1:3 gegen Italien. Frankreich hatte damit eine Trainerdebatte.
Der sture Hang zur Verteidigung hat zu Folge, dass formidable Offensivspieler wie Kylian Mbappé, Antoine Griezmann, Ousmane Dembélé, Bradley Barcola oder Michael Olise gegen Italien nach der frühen Führung wirkungslos blieben. Randal Kolo Muani kam in diesem Spiel gar nicht zum Einsatz.
Kurios war angesichts von Hochbegabten wie Aurélien Tchouameni und Eduardo Camavinga, Mittelfeld-Kapazitäten von Real Madrid, auch die vor der EM vollzogene Rückholaktion des im Team gleichwohl sehr beliebten Balleroberers N’Golo Kanté als zusätzliche Defensiv-Stütze für die Mitte des Spiels: Er ist 33 Jahre alt und spielt mittlerweile für Al-Ittihad in Saudi-Arabien.
Deutliche Worte von Torwart Maignan
Der ansonsten sehr schweigsame Torhüter Mike Maignan trat nach der Italien-Pleite verbal überraschend offensiv auf und sagte: "Wir wissen, dass wir deutlich besser spielen müssen. Wir werden keine Ausreden suchen, sondern uns infrage stellen." Es war klar, dass Maignan mit seiner Kritik vor allem Deschamps erreichen wollte.
Mit einer auf sechs Positionen veränderten Elf, in der plötzlich auch der ehemalige Gladbacher Manu Koné auftauchte, gelang nach der Italien-Depression im wiederbelebten 4:3:3-System tatsächlich ein 2:0-Erfolg gegen Belgien. Deschamps schien sich an seine "reoxygéner"-Formel erinnert zu haben und seinem Team die notwendige Verjüngung im Hinblick auf die WM 2026 verordnen zu wollen.
Nicht in der Startformation stand dabei der von Deschamps zum Kapitän beförderte Mbappé. Das mochte in diesem Fall vor allem Gründe der Belastungssteuerung haben. Zuletzt aber wurde in Frankreich offensiv über Mbappé diskutiert, der in den letzten fünf Länderspielen keinen Treffer erzielt hatte.
Mbappé braucht Zeit zur Erholung
Derzeit macht ihm ein Ischias-Problem zu schaffen, woraufhin Deschamps entschied, bei den beiden nächsten Nations-League-Partien gegen Israel und in Belgien auf seinen Topstar zu verzichten, damit er sich im Camp seines Vereins Real Madrid völlig auskurieren kann.
Doch dann spielte Mbappé zunächst in der Champions League in Lille und zuletzt am vergangenen Samstag (06.10.24) in der spanischen Liga gegen Villarreal. Das ließ einige Altinternationale an Mbappés Loyalität zweifeln. Deschamps reagierte darauf sehr empfindlich: "Kylian soll sich erholen und fit werden. Punkt."
Zuletzt half Deschamps auch der Entschluss eines Spielers bei seiner "reoxygéner"-Mission, denn Antoine Griezmann erklärte seinen Rücktritt aus dem Nationalteam. Die Aufenthalte dort schätzte er stets ganz besonders, doch nach den Rücktritten seiner einstigen Vertrauten Hugo Lloris, Raphael Varane und vor allem Olivier Giroud spürte er, dass er in der Gruppe deutlich an Einfluss verloren hatte.
137 Spiele hatte Griezmann für Frankreich bestritten und dabei 44 Tore erzielt, er war der Star der Weltmeister-Elf von 2018. Damals spielte er ein überragendes Turnier. "Antoine war ein Monument des französischen Fußballs, das wird er auch bleiben. Er ist einer der größten Spieler in der Geschichte dieses Teams", sagte Deschamps. Das waren nette und durchaus stimmige Abschiedsworte für einen famosen Spieler, dem Deschamps zuletzt aber nicht mehr restlos vertraute. Was gewiss auch Griezmann erkannte.
Ohne Griezmann, Mbappé und einstweilen auch Kanté dürften die Israelis nun eine Frischluft-Auswahl im Ausweichort Budapest empfangen. Zumindest personell. Seinem Sicherheits-Stil jedoch dürfte Deschamps weiterhin treu bleiben.