BVB-Spieler Martin Kree streckt den Champions-League-Pokal in die Höhe
interview

Bochum, Leverkusen, Dortmund Martin Kree – Legende mit Pokal und Henkelpott

Stand: 24.05.2024 10:13 Uhr

Champions-League-Sieger mit Borussia Dortmund, Pokalsieger mit Bayer Leverkusen und unabsteigbar mit dem VfL Bochum – Martin Kree, 401 Bundesligaspiele, hat alles erlebt, was in diesen Tagen im deutschen Fußball entschieden wird. Ein Gespräch über Siege gegen Bayern, Manndeckung und Umarmungen mit Matthias Sammer.

Sportschau: Dortmund, Leverkusen, Bochum: Für alle Ihre drei ehemaligen Vereine geht es am Ende der Saison um etwas. Mit wem fiebern Sie am meisten?

Martin Kree: Na ja, man muss das so sehen: Zwei können was gewinnen, und der eine eine ganze Menge verlieren. Relegation, das sind die Spiele wo dir die Düse geht, und da fiebere ich als Ex-Spieler und Ex-Aufsichtsrat schon sehr mit. Weil es da um die Existenz geht. Aber natürlich fühle ich auch mit Leverkusen und Dortmund, nicht zuletzt weil beide Situationen denen von damals sehr ähneln.

Sportschau: Sie spielen auf das Champions-League-Finale von 1997 an, das Sie mit Dortmund gegen ein scheinbar übermächtiges Juventus Turin 3:1 gewannen.

Kree: Das ging ja schon im Halbfinale los. Manchester United hatte gegen uns fast so viele Chancen wie jetzt Paris. Und dann denkst du: Krass, du stehst jetzt im Champions-League-Finale! Als es dann soweit war, schoss mir kurz vor Anpfiff durch den Kopf: Du weißt, du kannst jetzt in die ruhmreiche Geschichte des Vereins eingehen. Und hoffentlich nicht, weil du als Abwehrspieler über den Ball getreten hast. So eine innere Spannung ist das. Ich reagiere jetzt gerade körperlich, so begleitet mich dieses Gefühl durch mein ganzes Leben.

Sportschau: Die Spannung ist dann aber dank des Spielverlaufs gewichen, nehme ich an?

Kree: Juve war haushoher Favorit. Und dann schießen wir das erste Tor, kurz danach das zweite, und da hab ich gemerkt, wie die in Panik gerieten. Und später, nachdem wir viele brenzlige Situationen überstehen mussten, so fünf Minuten vor Schluss kam die Gewissheit hoch, hier passiert nicht mehr viel, wir gewinnen jetzt tatsächlich die Champions League, obwohl uns das niemand zugetraut hat. Da ist alles von mir abgefallen. Mit Matthias Sammer hab ich dann eine Umarmung hingelegt, wie ich sie eigentlich nur mit meiner Frau pflege.

Martin Kree, 58, hat zwischen 1983 und 1998 401 Bundesligaspiele für den VfL Bochum, Bayer Leverkusen und Borussia Dortmund gemacht. Neben der Champions League gewann er noch zwei deutsche Meisterschaften mit dem BVB. Heute ist er Inhaber eines IT-Schulungscenters in Holzwickede.

Sportschau: Würden Sie sagen, die Kräfteverhältnisse heute zwischen Dortmund und Real sind vergleichbar mit denen zwischen Dortmund und Juve damals?

Kree: Ich sag's klar und deutlich: Früher hatten wir eine bessere Mannschaft als die heute. Natürlich nicht im direkten Vergleich, das wäre ja Quatsch. Sondern im jeweiligen zeitlichen Kontext. Wir waren von den Spielerpersönlichkeiten besser aufgestellt als die Mannschaft heute. Außerdem hatte Juve damals nicht das Champions-League-Selbstvertrauen von Real Madrid heute nach den vielen Titeln. Aber wir waren auch mit dem Glück im Bunde, das muss man ganz klar sagen. Ohne das geht's nicht. Und wenn die Borussia die Leistung aus den bisherigen Champions-League-Spielen abruft und mutig Druck macht, wer weiß. Von der Stimmung her hat der BVB schon gewonnen. 400.000 Kartenanfragen gegenüber angeblich 19.000 bei Real – das spricht klar für Dortmund.

Sportschau: Kommen wir zu Leverkusen und zur nächsten Parallele: Pokalfinale gegen Kaiserslautern, gegen einen unterklassigen Gegner, wie bei Ihnen 1993 gegen die Hertha-Amateure. Verändert die Europa-League-Klatsche da irgendwas?

Kree: Nein. Wenn du gewinnst, war es allen klar. Wenn du verlierst, bist du der Depp der Nation. Das musste ja irgendwann passieren, dass die mal verlieren. Fallen die jetzt deshalb auseinander? Im Gegenteil. Das wird eine Trotzreaktion vom Feinsten geben. Ich habe auch aus Dublin gehört, dass die Mannschaft überhaupt kein Trübsal bläst.

Martin Kree von Bayer 04 Leverkusen jubelt mit der Trophäe über den DFB-Pokalsieg 1993

Sportschau: Waren Sie überrascht, wie Leverkusen komplett beherrscht wurde von Bergamo?

Kree: Die haben ja praktisch Manndeckung gespielt, eins gegen eins über den ganzen Platz, das hat den Leverkusenern richtig wehgetan. Dazu kam die lange Leine des Schiris, da waren viele Dinger dabei, die bei uns abgepfiffen worden wären, das kannten die nicht.

Sportschau: Also kein geeignetes Rezept für Kaiserslautern?

Kree: Das ist eine sehr aufwändige Spielweise, da brauchst du hohe Qualität und Risikobereitschaft. Ich glaube nicht, dass Lautern das so umsetzen kann in so kurzer Zeit. Es sei denn, Friedhelm Funkel hat das schon seit Wochen heimlich trainieren lassen (lacht). Nein, Leverkusen wird zeigen, was sie drauf haben und die überragende Saison mit dem Double krönen, davon bin ich überzeugt. Ich würde am liebsten mitspielen.

Sportschau: Alles andere als gefestigt ist der VfL Bochum, ihr Erstverein zerstört sich gerade selbst, hat man den Eindruck. War das die richtige Entscheidung, unmittelbar vor den Relegationsspielen Manuel Riemann rauszuwerfen? (Das Hinspiel der Relegation verlor Bochum mit 0:3, das Interview wurde davor geführt.)

Kree: Man konnte voraussehen, dass es eskaliert, wenn es Spitz auf Knopf steht im Abstiegskampf. Man weiß seit langer Zeit, dass Riemann ein unbequemer Typ ist, der den Mund aufmacht, vielleicht auch mal zu weit. Und auf der anderen Seite hast du die Mannschaft, die jetzt sagt, es reicht, was nimmt der sich raus, Menschen so zu kritisieren, die ja auch nur ihr Bestes geben. Der Verein steckt jetzt unnötig in der Zwickmühle. Ich halte die Entscheidung von der Sache her für richtig, aber ich hätte sie mir früher gewünscht, nicht unmittelbar vor den entscheidenden Spielen.

Sportschau: Es ist gerade drei Monate her, da hat der VfL die Bayern geschlagen.

Kree: Das war das schlimmste Ergebnis, was passieren konnte.

Sportschau: Was haben Sie für eine Erklärung für den Absturz?

Kree: Ich kann mich noch erinnern, nach dem Bayern-Spiel oben im VIP-Raum, da wurde geraunt "jetzt sind wir durch". Da hab ich schon gesagt: abwarten, noch nicht. Wenn du aus einem Sieg gegen die Bayern ableitest, jetzt kann ja nichts mehr passieren, jetzt können wir ja alle schlagen, dann ist das fatal. Plötzlich bist du in einer Lethargie, in einem Abwärtsstrudel und kommst da nicht mehr raus, und dann ist Fußball eben brutal und du rutscht dann auch noch am letzten Spieltag in letzter Minute auf Platz 16.

Martin Kree vom VfL Bochum duelliert sich mit Rudi Bommer von Fortuna Düsseldorf

Sportschau: Hat der Unabsteigbare einen Rat, wie man das Schlimmste noch verhindern kann?

Kree: Wenn ich Hermann Gerland wäre, würde ich sagen: Du musst Gras fressen.

Sportschau: Hat sich da in all den Jahren nichts verändert, ja?

Kree: Ganz simpel, wenn es fußballerisch nicht läuft, dann musst du beißen, kratzen, schubsen, stoßen. Und zwar nicht nur hinten drin, sondern auch offensiv, im Kollektiv. Ich glaube, wir werden nach zehn Minuten schon sehen können, wohin die Reise geht.