Einziger deutscher Trendsetter Beckenbauer, der Libero
Franz Beckenbauer hat im Fußball Maßstäbe, aber als einziger Deutscher auch einen Trend gesetzt und eine Position mit seinem Namen verbunden - den Libero.
Anfang der 1980er Jahre lief im deutschen Fernsehen eine Serie, die den Traum eines jungen Fußballers thematisierte, mal Profi zu werden und in der Nationalmannschaft zu spielen. Sie hieß "Manni, der Libero". Der junge "Manni", gespielt vom damaligen Teeniestar Thomas "Tommi" Ohrner, schoss keine Tore wie Gerd Müller, er köpfte keine Tore wie Uwe Seeler oder Horst Hrubesch, allesamt Mittelstürmer.
Ausnahme Beckenbauer
"Manni" schoss die Tore und gab die Vorlagen, nachdem er aus der Abwehr mit dem Ball am Fuß über mindestens den halben Platz gelaufen war. "Manni" wollte sein wie Franz Beckenbauer, der echte Libero, der wahre Libero, der einzigartige Libero.
Franz Beckenbauer, der am Sonntag (07.01.2024) starb, prägte eine Rolle, die es vor ihm gab, nach ihm gab und auch heute noch in Spuren gibt. An ihr ist die Entwicklung des Fußballs nachzuvollziehen.
Der Fußball ist eine Sportart, in der Deutsche nie die Trends setzten. Die Ausnahme bildete Franz Beckenbauer.
Die umgedrehte Pyramide
Der Fußball der Neuzeit begann rau, wild, simpel und sehr stürmisch. Bisweilen neun der elf Spieler waren für die Offensive eingeteilt und zofften sich um den Ball, der von hinten nach vorne gedroschen wurde. Mit der Zeit wurde erkannt, dass es sehr erfolgversprechend war, den Ball gepflegt zu passen, auch gerne mal flach.
Wiederum später wurde erkannt, dass es auch erfolgversprechend ist, dem Gegner möglichst wenig Tore zu erlauben und daher die Defensive zu stärken. Aus einem 2-3-5-System wurde so etwa ein 3-2-5, das heutzutage immer noch mehr nach Abbruchbagger als Brechstange klingt.
Ein Standardwerk über Fußballtaktik ist das Buch "Inverting the Pyramid" von Jonathan Wilson. Es fasst mit dem Titel Hunderte von Seiten zusammen: die umgedrehte Pyramide. War früher die Offensive breit, ist es heute die Defensive. Aber Systeme - oder auch Grundformationen - sagen nur bedingt etwas über die Taktik aus, über die Idee des Trainers, über den Zeitgeist des Sports, über den Matchplan.
Libero als wichtiger Teil der Entwicklung
Der Libero (freier Mann, vom Lateinischen "liber" für "frei") ist ein wichtiger Teil der Fußballentwicklung, weil er in seinem Ursprung den Gedanken widerspiegelt, die Defensive zu stärken. Waren alle Kollegen überspielt, war da noch die letzte Instanz des Liberos vor der allerletzten Instanz des Torhüters, der aufräumen konnte.
Deshalb wurde der Libero auch "Ausputzer" genannt. Er hielt seinen Posten hinter der Abwehr, die aus Verteidigern gebildet wurde, die auch "Manndecker" genannt wurden.
Im Grunde hatte aber jeder Spieler außer des Torwarts und Liberos diese Bezeichnung verdient, denn Fußball war in der Regel Manndeckung über den ganzen Platz. Das, und das sagte auch Franz Beckenbauer, war die Grundlage dafür, dass Franz Beckenbauer zum "Kaiser" wurde, zu dem Libero, der mit dieser Position als erstes in Verbindung gebracht wird: "Ich konnte mit dem Ball am Fuß 50 oder 60 Meter weit laufen. Niemand hielt mich auf, weil jeder einen Mann zu beschirmen hatte."
Beckenbauer - vom Mittelläufer zum Libero
Beckenbauer spielte in der Jugend viele Positionen, auch Mittelstürmer. Als Mittelläufer, einem zentralen Mittelfeldspieler, der das Bindeglied zwischen Abwehr und Angriff sein sollte, wurde er zum Nationalspieler. Als Libero wurde er zum Weltstar, weil er weiter das Bindeglied zwischen Abwehr und Angriff war, allerdings aus einer Position heraus, die auf dem Papier weiter hinten verortet war.
Inspiration aus Italien
Die Idee dieser Interpretation war Beckenbauer gekommen, als er Giacinto Facchetti bei Inter Mailand hatte spielen sehen. Der Außenverteidiger war - für die 60er Jahre revolutionär - mit nach vorne gegangen, wenn er seine Arbeit hinten erledigt hatte. So ergab sich oft eine Überzahl, auch heute noch das Kernziel von Formationen und Taktiken.
Was über außen möglich ist, sollte auch durch die Mitte möglich sein, dachte sich Beckenbauer. Siehe da, es war möglich. Auch, weil die noch übliche Manndeckung ihm, der zudem mit herausragender Technik und Präzision bei Pässen gesegnet war, den Weg über zig Meter freimachte.
Den Beckenbauer, den es in den 70er Jahren gab, der mit Deutschland erst Europa- und dann Weltmeister wurde, der mit dem FC Bayern dreimal hintereinander den Europapokal der Landesmeister gewann, hätte es zumindest so nicht geben können, wenn sich die Defensivarbeit schon früher nach dem Ball statt nach den Gegenspielern gerichtet hätte.
Beckenbauer sagte: "Heute, wo jede Mannschaft Raumdeckung betreibt, das heißt, alle paar Meter ein Gegner steht, könnte ich diese Märsche durchs Mittelfeld gar nicht mehr unternehmen. Ich käme bei diesen Läufen nicht weit, würde am dritten, spätestens am vierten Mann hängenbleiben."
Das Aus um die Jahrtausendwende
Die Raumdeckung veränderte vieles im Fußball, die Viererkette wurde zum letzten Schrei, der Libero starb aus, es wurde deutlich vor dem Ende des Jahrtausends die Nase gerümpft, wenn eine Profimannschaft noch mit Libero spielte. Deutschland hielt vergleichsweise lange daran fest.
Warum auch nicht, schließlich wurde die Eliteauswahl des DFB 1996 Europameister mit Matthias Sammer, als sogenanntem Libero vor der Abwehr. Es war dann aber bald vorbei. Das Fachmagazin "kicker", das zweimal im Jahr positionsbezogen die besten Spieler kürt, schaffte die Kategorie "Libero" im Winter 2001 ab.