Topspiel der Serie A Juventus gegen Inter: Derby d‘Italia, endlich wieder groß
Juventus Turin empfängt Inter Mailand. Das "Derby d‘Italia" bewegt Fußball-Italien seit Jahrzehnten und es ist auch sportlich das absolute Topspiel. Es geht mal wieder um einen Fingerzeig in Sachen Meisterschaft.
Es gibt eine Inflation an Clásicos. Die ikonische Bezeichnung des Duells Real gegen Barça ist viel kopiert. Es gibt den "deutschen Clásico" (Dortmund gegen Bayern), Frankreichs "le classique" (PSG gegen Marseille) und England diskutiert, ob Manchester United gegen Liverpool der Clásico der Premier League ist. Italien ist raus aus dieser Debatte. Als Höhepunkt der nationalen Fußballemotionen hat die Serie A seit einer halben Ewigkeit "il derby d‘Italia".
Nach kurzer Pause auch wieder sportliche Spitzenklasse
Genauer seit 1967. Da adelte Italiens bekanntester Sportjournalist des 20. Jahrhunderts, Gianni Brera, das Duell zwischen Juventus Turin und Inter Mailand zum wichtigsten Spiel der italienischen Liga, zum "Derby Italiens". Es steht für tief empfundene Rivalität wie bei einem Stadtduell, nur landesweit. Juve und Inter sind die Teams mit den meisten nationalen Titelgewinnen (Inter knapp vor Milan), sie haben laut Ipsos-Umfrageinstitut landesweit die meisten Fans, im direkten Aufeinandertreffen geht es häufig um eine Weichenstellung im Kampf um die Meisterschaft.
So auch diesmal. Das Derby d‘Italia ist nach ein paar Jahren Pause am Sonntag (ab 20.45 Uhr hier im Live-Ticker) wieder das Spiel der beiden besten Teams der Serie A. Juventus war zuletzt an der Spitze säumig, wegen Schwierigkeiten beim Generationswechsel, noch mehr Problemen in Sachen Bilanzehrlichkeit und daraus folgenden Punktabzügen. Jetzt ist Juventus wieder zurück, liegt nach einem Drittel der Saison zwei Punkte hinter Tabellenführer Inter und scheint bereit für das klassischste aller italienischen Duelle um den Titel.
1:0 - das Lieblingsergebnis der "alten Dame"
In das aktuelle Derby d‘Italia geht Juventus mit einer Siegesserie, die einige Klischees bestätigt, die Italiens Rekordmeister anhängen. In den vergangenen sieben Spielen haben die Turiner in der Serie A nur ein Gegentor kassiert und dabei sechs Erfolge eingefahren - vier davon mit 1:0. Exemplarisch, wie Juve unter Trainer Max Allegri funktioniert, war Anfang des Monats der Erfolg gegen die ambitionierte AC Fiorentina. Florenz hatte am Ende 68:32 Prozent Ballbesitz und 25:4 Torschüsse - aber Juventus gewann, natürlich mit 1:0.
Massimiliano Allegri
Allegri ist eine Art Lordsiegelbewahrer des traditionellen italienischen Fußballs. Während viele Trainer der Serie A in der Moderne angekommen sind und auf Dominanz inklusive hohes Pressing setzen, lässt Allegri ähnlich spielen wie bei seinem ersten Titelgewinn als Trainer vor zwölf Jahren: Die Null muss stehen, Sicherheit zuerst, den Gegner machen lassen, auf Umschalten setzen und die wenigen Chancen eiskalt nutzen. Was zählt, ist das Ergebnis. Allegri nennt es pragmatisch.
Allegri als "Anti-Guardiola"
Der Juventus-Trainer selbst hat Freude daran, sich als Anti-Guardiola zu positionieren. 2019, als Allegri sich eine Pause gönnte nach fünf Meisterschaften in Folge mit Juve, prangerte er im "Corriere della Sera" eine vermeintliche Fehlentwicklung im Fußball an: "Wir sind Pep Guardiola fälschlicherweise 20 Jahre lang gefolgt", beschied Allegri und prophezeite einen Rollback des Weltfußballs: "Ich sehe eine großartige Rückkehr für den Gegenangriff."
In der Zwischenzeit ist Guardiola mit seiner Ballbesitzphilosophie zwar dreimal englischer Meister geworden und hat die Champions League gewonnen. Aber auch der Allegri-Fußball feiert aktuell, zumindest bei Juve, eine kleine Renaissance. Nachdem das kurzzeitige Projekt der Turiner, auch mal schönen Fußball zu spielen, unter den Trainern Maurizio Sarri und Andrea Pirlo gescheitert war, wurde 2021 Allegri zurückgeholt. Nach Anlaufschwierigkeiten hat der Juventus wieder ins Titelrennen geführt. Dabei hilft, dass die auch von der UEFA abgestrafte Juve freiwillig auf eine Teilnahme an der Conference League verzichtet hat und sich auf die Meisterschaft konzentrieren kann.
Respekt erhält Allegri aktuell dafür, dass er, anders als in der Vergangenheit, nicht mit einer zusammengekauften Startruppe Erfolg hat. Der Juve-Trainer ist dabei, eine Topmannschaft zu formen, angegeführt von Nationalstürmer Federico Chiesa und dem in dieser Saison starken Mittelfeldmann Adrien Rabiot, in der auch viele, von Allegri entwickelte junge (oder schon abgeschriebene) Spieler ihren Platz finden.
Miretti, Yildiz, Kean, Gatti - das neue Juve
Der aus der Juve-Jugend stammende 20-jährige Fabio Miretti beispielsweise ist häufig gesetzt im Mittelfeld, der gebürtige Regensburger und DFB-Schreck Kenan Yildiz (18) wird schrittweise an die ersten Elf herangeführt, das jahrelange als schwierig geltende Sturmtalent Moise Kean (23) performt unter Allegri beständig und in der Abwehr ist Federico Gatti (25), vor wenigen Jahren noch Amateurkicker und Maurer auf dem Bau, das Symbol der "Juve operaia", des neuen Arbeiter-Juve im Gegensatz zu den schwarz-weißen Glamourteams der Vergangenheit mit Zidane, Del Piero, Pirlo und Co. In die Operaia-Philosophie passt auch der ehemalige Schalker Weston McKennie, der in Turin eigentlich schon aussortiert war, jetzt unter Allegri aber viel Spielzeit erhält.
Inter in der Breite noch stärker als vergangenes Jahr
Nun geht es für Juventus gegen das Team, das in der Serie A bislang am souveränsten auftritt. Inter Mailand ist aktuell noch stabiler und in der Breite besser aufgestellt als in der vergangenen Saison, als das Team von Simone Inzaghi immerhin das Champions-League-Finale erreichte und den Pokal gewann. Erneut herausragend ist Kapitän und Torjäger Lautaro Martínez, mit 12 Treffern bislang erfolgreichster Torschütze der Serie A. Im Mittelfeld tragen das Inter-Spiel der dynamische Nicolò Barella und der filigranere Hakan Calhanoglu, der sich in der neuen Rolle als Regisseur im hinteren Mittelfeld immer wohler fühlt. In der Abwehr fällt der ehemalige Bayer Benjamin Parvard gegen Juve verletzt aus, Leistungsträger auf der linken Außenbahn ist Nationalspieler Federico Dimarco.
Yann Sommer, neuer Keeper bei Inter Mailand, will um die Meisterschaft mitspielen.
Zum starken Start Inters haben auch zwei Neuverpflichtungen aus der Bundesliga beigetragen. Yann Sommer ist ein souveräner Rückhalt im Tor. Die Bayern waren froh, den Schweizer Nationalkeeper im Sommer loszuwerden, in Mailand gilt der 34-Jährige als Transfer-Volltreffer. Vorne ist Marcus Thuram als Mittelstürmer zunächst nur als Backup für Romelu Lukaku eingeplant gewesen. Nachdem die Lukaku-Weiterverpflichtung im Sommer aber platzte, tritt der ehemalige Mönchengladbacher mit eindrucksvoller Selbstverständlichkeit auf. Im Leistungsniveau liegt Thuram mindestens eine Stufe über seinen zuletzt in der Bundesliga gezeigten Leistungen und glänzt bei Inter bislang mit acht Assists und vier Toren.
Für Thuram ist das Duell mit Juve auch persönlich eine besondere Begegnung. Der Sohn des ehemaligen französischen Nationalverteidigers Lilian Thuram ist in Turin aufgewachsen, pflegt hier noch viele Jugendfreundschaften. Für Marcus Thuram geht es gegen den Verein, für den sein Vater fünf Jahre gespielt hat, in sein erstes Derby d‘Italia.