Weltmeister Spanien Rubiales - Halbherzige Entschuldigung nach sexueller Gewalt
Spaniens Fußballerinnen feiern den WM-Titel. Doch die Party wird von einem Grenzen überschreitenden Kuss von Verbandschef Rubiales überschattet. Der entschuldigt sich - halbherzig.
In der Stunde des Triumphes sahen sich die feiernden Weltmeisterinnen aus Spanien leider auch mit einem übergriffigen Mann konfrontiert: Luis Rubiales, Fußball-Verbandschef Spaniens, umarmte alle "seine" Spielerinnen und dann küsste er Jenni Hermoso. Erst auf die Wange, dann auf den Mund - so war es auf Videos in sozialen Netzwerken zu sehen.
"Hat mir nicht gefallen", sagte die 33 Jahre alte Offensivspielerin, als sie auf die Szene in einem Instagram-Livevideo angesprochen wurde. In dem Video wird Hermoso später auch noch von einer anderen Frau gefragt, warum sie nichts dagegen getan hätte. Daraufhin antwortete Hermoso: "Was hätte ich denn tun sollen?"
"Gesten nicht zu rechtfertigen" - auch Jonker empört
Die spanische Tageszeitung "El País" kommentierte: "Wir schreiben das Jahr 2023, diese Gesten sind nicht zu rechtfertigen." Ein solcher Kuss auf den Mund sei "eine Aggression". Der niederländische Nationaltrainer Andries Jonker, bei seinen Spielerinnen auch wegen seines respektvollen Umgangs geschätzt, brandmarkte Rubiales' Verhalten als "unfassbar", "inakzeptabel" und "unerhört".
Auch in Spanien fielen die Reaktionen harsch aus. Der spanische Sportminister Miguel Iceta sagte am Montag (21.08.2023): "Es ist inakzeptabel, eine Spielerin auf den Mund zu küssen. Das Erste, was er tun muss, ist, sich zu erklären und zu entschuldigen. Daran führt kein Weg vorbei."
Man solle nicht davon ausgehen, dass Küssen ohne Zustimmung etwas sei, das einfach so passiere, schrieb Spaniens Gleichstellungsministerin Irene Montero auf X, vormals Twitter. "Es ist eine Form der sexuellen Gewalt, die wir Frauen täglich erleiden und die bisher unsichtbar war und die wir nicht normalisieren dürfen", erklärte die 35-jährige Politikerin.
Am Montag dann eine Art Entschuldigung
Der 45 Jahre alte Ex-Profi, seit 2018 Verbandsboss und aufgrund von Skandalen und Skandälchen keineswegs wie ein Heiliger beleumundet, trat am Montag den Canossagang an. Er habe keine "andere Wahl", als sich zu entschuldigen und "daraus zu lernen". Wenn er den Verband vertrete, müsse er vorsichtiger sein, so der Funktionär. Er hielt allerdings an seinem Standpunkt fest, dass die Aufregung "idiotisch" sei. Sein Kuss sei "ohne kranke Intention in einem Moment maximaler Überschwänglichkeit passiert". Er habe es als normal und natürlich angesehen, "aber außerhalb hat es für Aufregung gesorgt".
Zuvor hatte er am Abfluggate in Sydney einem Reporter von Radio Marca entgegengeblafft: "Es gibt überall Idioten. Wenn zwei Menschen einen Moment der Zuneigung ohne weitere Bedeutung haben, sollte man nicht auf Idioten hören. Wir sind die Sieger und dazu stehe ich."
Hermoso wiegelt in offizieller Mitteilung ab
Hermoso wies die Kritik am Präsidenten - offensichtlich aufgrund der empörten Reaktionen - zurück: "Es war eine ganz spontane gegenseitige Geste aufgrund der großen Freude über den Gewinn einer Weltmeisterschaft", teilte sie mit. Die Stellungnahme von Hermoso wurde vom spanischen Verband RFEF am späten Sonntagabend an einige Medien geschickt. Damit sollte wohl vor allem Schadensbegrenzung betrieben werden. Schließlich steht das Image eines Verbandes auf dem Spiel, der bei den Frauen auch die WM-Titel der U17 und U20 in seinem Besitz hat.
Siegtorschützin trauert um den Vater
Sexismus im Frauenfußball ist offenbar immer und überall ein Thema, er wirft auch einen Schatten auf die spanischen Feierlichkeiten. Es war nicht der einzige Wermutstropfen. Kurz nach dem Sieg ihrer Mannschaft bei der Frauen-Fußball-WM Australien erfuhr Siegtorschützin Olga Carmona vom Tod ihres Vaters. Spaniens Fußballverband kondolierte der Spielerin und ihrer Familie.
Abgewanderte Hermoso als Spielgestalterin
Es war Hermoso, die Carmona innig in die Arme schloss. Dabei hatte eigentlich gerade jene Jenni Hermoso allen Grund zur ausgelassener Freude. Sie, die 33-Jährige, führte das spanische Team als Spielgestalterin zum Titel, war unübersehbar der Kopf des Teams. Dabei ist sie eine der wenigen, die nicht für einen der großen spanischen Klubs spielt.
Gleich neun Akteurinnen des Final-Startteams spielen im Kluballtag für den FC Barcelona - Hermoso hat ihr Land letztes Jahr in Richtung Mexiko verlassen. "Es ist eine neue Erfahrung für mich und hat mir als Mensch unheimlich viel gebracht", sagt sie über ihre Auswanderung in die Ferne.
Ausgewanderte Hermoso als Anführerin
"Sie ist noch gut, um die Getränke zu holen" und "sie wird körperlich nicht mehr mithalten können" - derlei Sprüche musste sich Hermoso, die schon bei Spaniens erster WM-Teilnahme 2015 dabei war, anhören. In Australien und Neuseeland machte sie Nationaltrainer Jorge Vilda zur Chefin auf dem Rasen. Im Gegensatz zum Beispiel zu Alexia Putellas. Die Weltfußballerin musste auf Geheiß des Trainers hauptsächlich auf der Ersatzbank Platz nehmen.
Vilda und seine Entscheidungen - er hat damit geschafft, was ihm kaum jemand zugetraut hat: ein ihm noch vor einigen Monaten zu großen Teilen feindselig eingestelltes Team zum Triumph geführt.
Nicht unumstritten: Jorge Vilda
Streik gegen den Trainer
15 Nationalspielerinnen waren im letzten Herbst in den Streik getreten, um gegen den 42-jährigen Coach zu protestieren, der seit 2015 das A-Nationalteam betreut. Relativ erfolglos, wenn man bedenkt, wie viele Titel allein die spanischen Junioren-Teams in dieser Zeit gewonnen haben. Von unmenschlichen Überwachungsmethoden über taktische Inkompetenz bis zu unverständlichen personellen Entscheidungen reichten die Vorwürfe an seine Adresse.
Jetzt ist Vilda Weltmeister. Und auf dem Rasen warfen ihn seine Spielerinnen triumphierend in die Höhe. Ein Szenario, bei dem sich viele Betrachter die Augen gerieben haben dürften. Sicher auch Verbandschef Rubiales. Es wäre schön gewesen, wenn er es dabei belassen hätte.