Albtraumdiagnose Warum Kreuzbandrisse vor allem Frauensache sind
Im Frauenfußball häufen sich Kreuzbandrisse. Allein die WM verpassen mehr als 30 Spielerinnen wegen dieser Blessur. Die Wissenschaft kennt mittlerweile mehrere Gründe, warum Frauen häufiger von dieser schweren Verletzung betroffen sind.
Es sah harmlos aus, als Englands Schlüsselspielerin Keira Walsh mit dem Ball am Fuß durch das Mittelfeld dribbelte und plötzlich im Rasen hängen blieb. Sie knickte weg, blieb liegen und signalisierte sofort, dass es nicht weitergehen würde. Englands Antreiberin im Mittelfeld musste mit der Trage vom Platz gebracht werden, humpelte später mit Krücken zur Bank zurück. Der böse Verdacht "Kreuzbandriss" schwebte durch das multifunktionale Sydney Football Stadium.
Am Tag danach dann die Entwarnung: Die 26-Jährige hatte Glück im Unglück. Der Verdacht auf einen Kreuzbandriss bestätigte sich laut Verband nicht.
Sie wäre die dritte Spielerin des Europameisters mit einer derart schweren Verletzung gewesen. Beth Mead (EM-Torschützenkönigin) und Leah Williamson (Kapitänin) verpassen die WM wegen dieser Knieverletzung - und reihen sich in eine Riege von mehr als 30 Spielerinnen ein, die der Ozeanien-WM fern bleiben mussten.
Englands Keira Walsh liegt am Boden und hält sich ihr verletztes Knie.
Auch Carolin Simon, 2019 im deutschen WM-Team, gehört dazu. Simon, die für den FC Bayern München spielt, verfolgt die Weltmeisterschaft aus der Heimat, frisch operiert, nur als Beobachterin. Im letzten Testspiel gegen Sambia hatte sich die 30-Jährige das Kreuzband gerissen. Giulia Gwinn ereilte das Schicksal Kreuzbandriss im vergangenen Herbst sogar schon zum zweiten Mal in ihrer Karriere - und das mit erst 24.
Anatomie der Frauen birgt ein höheres Risiko
Kreuzbandrisse hat es bereits in der Vergangenheit gegeben, doch momentan treten sie bei Fußballerinnen gehäuft auf. Statistisch gesehen, sind Fußballerinnen sechs Mal häufiger von Kreuzbandrissen betroffen als ihre männlichen Kollegen. Zufall ist das nicht.
Sportmediziner beschäftigen sich seit Längerem mit diesem Phänomen und wissen: Die Häufung hat tatsächlich eine geschlechtsspezifische Ursache und hängt unter anderem mit dem Körperbau zusammen. "Das breitere Becken der Frau erhöht das Risiko für einen Kreuzbandriss", erklärt Prof. Kirsten Legerlotz von der Humboldt-Universität Berlin im Sportschau-Interview.
Frauen neigen, so die Expertin, tendenziell zur X-Bein-Stellung, das wiederum erhöht die Gefahr, das Knie nach innen zu verdrehen. Auch eine geringere Muskelmasse und ein anderes Sprung- und Landeverhalten werden als Ursachen genannt. Verdreht man sich beim Landen in der X-Bein-Stellung den Unterschenkel, entsteht derart viel Druck, dass das vordere Kreuzband im Knie reißen kann.
Menstruationszyklus beeinflusst Leistungsfähigkeit
Doch die Anatomie allein ist wohl nicht der Grund. Eine wichtige Rolle kann auch der Zyklus spielen, sagt Legerlotz. Lange war das ein Tabuthema. Jetzt rückt es auch bei der Ursachenforschung von Verletzungen in den Fokus. Der Menstruationszyklus beeinflusse die Leistungsfähigkeit, vor allem wenn Beschwerden auftreten - und das ist oft an den ersten beiden Tagen der Fall. "Wenn man sich nicht so wohlfühlt, kann auch das dazu führen, dass man vielleicht bei sportlichen Aktivitäten weniger konzentriert ist und sich auch dann eher verletzt", so Legerlotz.
Schweiz trainiert zyklusorientiert
Im Schweizer Nationalteam wird - wie auch in vielen Bundesliga-Clubs - seit einigen Jahren zyklusorientiert trainiert, um Verletzungen vorzubeugen, aber auch um die Leistung zu stärken. Spielerinnen können ihre Symptome via Tracking-App Daten angeben, entsprechend wird das Training gesteuert. Gemeint ist nicht das Mannschaftstraining, sondern Aktivierung, Regeneration und die Ernährung, erklärt Athletiktrainerin Mélanie Pauli, die als Koryphäe auf diesem Gebiet gilt.
Mélanie Pauli (l.), die Athletiktrainerin der Schweiz, beim Training mit Torhüterin Gaelle Thalmann.
Sie ist überzeugt, dass es möglich ist, in jeder Phase der Menstruation Topleistungen zu bringen. Man müsse dem Körper nur geben, was er brauche - und während eines Zyklus ist das vor allem Vitamin C. Der Effekt des zyklusspezifischen Trainings lässt sich wissenschaftlich noch nicht mit Studien nachweisen und von Kreuzbandrissen blieb auch die Schweiz nicht verschont. So endete die WM-Geschichte der 16-jährigen Iman Beney einen Tag nach ihrer Nominierung: Kreuzbandriss, Operation, lange Pause.
Prävention läuft schon länger
Gänzlich verhindern lassen sich schwere Knieverletzungen im Fußball nicht. Sprünge und Richtungswechsel sind ein Risikofaktor, der aber mit Kraft- und Stabilisationstraining minimiert werden kann. Eintracht Frankfurt setzt neben Kraft-und Stabilisationstraining auch auf neurokognitives Training. So sollen körperliche und mentale Fitness gleichsam gefördert werden. All die kleinen Puzzleteile sollen die Häufigkeit von Kreuzbandrissen eindampfen. Für Simon, Gwinn und Mead ist das nur ein kleines Trostpflaster.