Rekordtransfer garantiert Tore Harry Kane und die Bayern - Das einzige Problem liegt im Mittelfeld
Individuelle Auszeichnungen hat Harry Kane jede Menge, bei den Titeln mit Verein und Nationalelf steht aber die Null. Dass sich das bei den Bayern ändert, ist ziemlich sicher. Es gibt nur ein Problem.
Dieses Problem ist weder sein Alter noch die Ablösesumme, die deutlich jenseits der 100-Millionen-Euro-Grenze liegen soll und damit Rekord für den Rekordmeister bedeutet. Doch mit Druck konnte Kane, wenn man einmal seinen verschossenen Elfmeter im WM-Viertelfinale von Katar gegen Frankreich beiseite lässt, immer brillant umgehen. Der seit zwei Wochen 30-Jährige liebt Druck sogar.
Konkurrenz als Motivation
Als im Vorjahr mit Erling Haaland (Manchester City) und Darwin Núñez (FC Liverpool) zwei Topstars auf seiner Position in die Premier League wechselten, freute sich Kane über die gestiegene Herausforderung: "In jeder Saison, die ich gespielt habe, war es ein harter Kampf, den Goldenen Schuh zu gewinnen. Es hilft mir als Spieler, starke Konkurrenz zu haben. Das motiviert mich, mich zu verbessern."
Den Goldenen Schuh, also die Auszeichnung für den besten Torschützen der Premier League, hat Kane bisher dreimal gewonnen, 2015/16, 2016/17 und zuletzt 2020/21. Dass er in der vergangenen Saison nicht erneut ganz vorne lag, hatte wenig mit ihm selbst zu tun, er kam auf herausragende 30 Treffer, die aber bekanntlich nur zu Platz zwei hinter Haaland reichten.
Mehr Tore als Großchancen
Was die 30 Tore besonders macht, ist zum einen der Wert der sogenannten "expected goals", der bei ihm nur bei 21,5 lag - wenn man diese Statistik ernst nimmt, macht Kane also mehr Treffer, als er klare Chancen hat. Dazu spielten seine Tottenham Hotspurs eigentlich eine Horrorsasion und verpassten mit Rang acht sogar das internationale Geschäft.
Kane hat damit wieder einmal bewiesen, dass er nicht ausschließlich abhängig von der Qualität seiner Nebenleute ist. Aber diese Qualität verändert doch seine Spielweise. Im Verein harmonierte er über viele Jahre glänzend mit der hängenden Spitze Heung-min Son - weil auch der Südkoreaner oft den Weg in die Tiefe suchte, ließ sich Kane immer wieder fallen, wich sogar auf die Flügel aus und glänzte auch als Vorbereiter. 280 Pflichtspieltoren in 435 Einsätzen für die "Spurs" stehen auch stolze 64 Vorlagen gegenüber.
Kein Stratege da - dann macht es Kane selbst
Im englischen Nationalteam hat er in 84 Länderspielen 58 Mal getroffen und 18 Assists geliefert. Auch da harmonierte er mit seinen Nebenleuten, zumeist Bukayo Saka und Phil Foden. Ein Umstand, der bei der WM in Katar auffiel, könnte allerdings auch bei den Bayern zum Problem werden. Bei den "Three Lions" wechselte Kane oft in die Spielmacherrolle oder sogar auf die Sechs und verlor dadurch naturgemäß an Präsenz im Strafraum. Diese Parallele könnte sich auch in München ergeben, was sich vielleicht als das einzige Problem dieses Transfers entpuppen könnte.
Genau wie die Engländer in Katar mit ihrem Dreier-Mittelfeld aus Jude Bellingham, Declan Rice und Jordan Henderson haben auch die Bayern keinen klaren Strategen in der Mannschaft. Joshua Kimmich ist es nicht. Selbst sein Trainer Thomas Tuchel stellte zuletzt erstaunlich unverblümt fest, dass er ihn nicht für eine "Holding Six" halte, also einen Sechser, der nicht permanent selbst nach vorne rennt, die Ecken schießt und die Schaltzentrale damit aufreißt.
Viele Fragen für Tuchel
Auch in Konrad Laimer, Leon Goretzka oder Ryan Gravenberch sieht Tuchel nicht diesen Typ Spieler, den beispielsweise Frenkie de Jong im Oranje-Trikot und beim FC Barcelona verkörpert. Weil Kane, der bei Tottenham die Kapitänsbinde getragen hat und sie bei den "Three Lions" immer noch trägt, auf dem Platz immer auch die Defizite erkennt und sie am liebsten auch noch selbst ausgleicht, könnte er es mit seinem Verantwortungsbewusstsein auch bei den Bayern übertreiben und seine Rolle als klassischer Neuner vernachlässigen, für den die Bayern ihn geholt haben.
Viel wird dabei von Tuchel abhängen. Setzt er sich durch mit seinem Wunsch an die Vereinsführung, ihm auch noch diesen klar defensiv und strategisch denkenden Sechser zu holen? Was wird aus Goretzka und Leroy Sané, die angeblich beide bei einem großen Angebot den Verein verlassen dürfen? Wie genau plant der Trainer mit Bayern-Ikone Thomas Müller, welche Rolle darf Toptalent Mathys Tel hinter oder sogar neben Kane einnehmen? Und wie finden Kingsley Coman und Serge Gnabry die Balance zwischen dem eigenen Drang ins Zentrum und der Belieferung von Kane?
Champions League wird entscheidend
Sehr wahrscheinlich ist zumindest auf nationaler Ebene, dass sich diese Fragen als Luxusprobleme erweisen und die Bayern ebenso Meister werden wie Kane die Torjägerkanone gewinnt. Wer aber erstmals in seiner Geschichte mehr als 100 Millionen Euro für einen Transfer ausgibt, wird sich mit Erfolgen in Bundesliga und Pokal ganz sicher nicht zufrieden geben. Letztlich wird also die Champions League entscheidend für die Bewertung sein, ob Kane bei den Bayern eine Erfolgsgeschichte wird.