Manuel Neuer in Aufruhr Tapalovic-Trennung als Vertrauensbruch
Mit der Entlassung von Torwarttrainer Toni Tapalovic verliert der verletzte Manuel Neuer seinen engsten Vertrauten. Es könnte der Anfang einer neuen Zeitrechnung beim FC Bayern sein.
Vielleicht fühlt sich Manuel Neuer jetzt an seine Anfangszeit erinnert, als ihn beim FC Bayern nicht jeder willkommen hieß. Dass der nach seinem Skiurlaub auf unbestimmte Zeit pausierende deutsche Nationaltorhüter die Trennung von seinem langjährigen Vertrauten und Torwarttrainer Toni Tapalovic als Affront auffasst, liegt auf der Hand.
Sonst hätte der Keeper und Kapitän sowohl beim Nationalteam und beim FC Bayern nicht solch einen emotionalen Abschiedsbrief verfasst. Der 36-Jährige hat nie einen Hehl daraus gemacht, wie viel er Tapalovic verdankt. "Lieber Toni", schrieb Neuer auf Instagram und würdige seinen engen Vertrauten als "großartigen Menschen" und "absoluten Pionier des modernen Torwartspiels". Dazu stellte Neuer klar: "Jeder, nicht nur in München, weiß, dass all diese Erfolge ohne dich niemals möglich gewesen wären!" Seine gefühlige Eloge beschloss Neuer für seine 12,3 Millionen Follower mit dem sentimentalen Satz: "Ich werde dich vermissen! #dankefüralles"
Tom Starke kann einspringen
Der Rauswurf seines Trauzeugen und Torwarttrainers hat Neuer also mächtig überrumpelt. Und schon fragt selbst der Sportinformationsdienst (sid): "Ist Tapalovics Aus der Anfang vom Ende?" Der geschasste Neuer-Förderer Tapalovic äußerte sich ebenfalls über die Plattform Instagram und nicht über die Pressemitteilung des FC Bayern. "Nach mehr als einem Jahrzehnt endet heute überraschend meine Zeit beim FC Bayern München", erklärte der 42-Jährige, der seine Botschaft überschrieb: "Danke für 11,5 unvergessliche Jahre!" Kein böses Wort, das arbeitsrechtliche Konsequenzen für Tapalovic haben könnte.
Seinen Job wird der frühere Bayern-Ersatztorhüter Tom Starke antreten, der seit 2017 als Torwart-Koordinator für den Nachwuchs und Torwarttrainer der U19 arbeitet. Wie lange der 41-Jährige das Amt ausübt, teilte der Rekordmeister nicht mit. Als Neuer im Sommer 2011 beim FC Bayern seinen Dienst antrat, hatte es eine heftige Debatte gegeben. Unvergessen sind die Wochen vorher tausendfach in die Luft gereckten Plakate, auf denen "Koan Neuer" stand. Noch heute ist bei der Ultra-Gruppierung "Schickeria" nachzulesen, warum sich die Fankurve damals gegen den gebürtigen Gelsenkirchener positionierte: "Ja, er ist ein sehr guter Torwart. Das wird keiner bestreiten, der sich mit Fußball auskennt. Aber er ist nicht der einzige sehr gute Torwart." Erinnert wurde an den doch angeblich gleichwertigen Thomas Kraft.
Viel Überzeugungsarbeit war 2011 nötig
Die damaligen Bosse Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß mussten vor zwölf Jahren mächtig viel Überzeugungsarbeit leisten, um Neuer nach München zu lotsen. Um ihm die Eingewöhnung zu erleichtern, durfte auch gleich sein Torwarttrainer mitkommen: Tapalovic hatte selbst noch als Torwart beim FC Schalke 04 gespielt, als Neuer bei den "Königsblauen" unter dem Trainer Mirko Slomka zur Nummer eins aufstieg, der den damaligen Stammtorwart Frank Rost beerbte.
Tapalovic sollte der Mentor in der Karriere des Welttorhüters und Weltmeisters Neuer werden. Es entwickelte sich eine enge Verbindung zwischen den beiden, was in der Branche nicht unüblich ist. Torhüter und Torwarttrainer verbringen nicht nur täglich viel Zeit auf dem Trainingsplatz, sie sind auch Brüder im Geiste; im Grunde eine eigene Gruppe. Bei der TSG Hoffenheim ist beispielsweise seit langem Michael Rechner für die Torhüter zuständig, der nicht nur Oliver Baumann zu einem Topmann geformt, sondern auch Gregor Kobel entwickelt hat, der bei Borussia Dortmund zum Klassekeeper reifte.
Das Profil als Torwarttrainer hat Sepp Maier entwickelt
Insgesamt ist das inzwischen weltweit ähnliche Jobprofil des Torwarttrainers von einer Bayern-Legende geprägt worden: Sepp Maier kümmerte sich als einer der ersten Spezialisten um die Torhüter, war von 1988 bis 2004 bei der Nationalmannschaft und von 1994 bis 2008 beim FC Bayern dabei. Er war immer zu einem Scherz aufgelegt und galt als wichtigster Förderer für den Weltklassetorwart Oliver Kahn. Auch Maier und Kahn bauten über das tägliche Tun bei Wind und Wetter eine enge Bindung auf, obwohl sie gänzlich unterschiedliche Typen waren.
Als Jürgen Klinsmann nach seiner Ernennung zum Teamchef aber vor der Heim-WM 2006 einen offenen Zweikampf um die deutsche Nummer eins zwischen Jens Lehmann und Kahn ausrief, ergriff Maier im Dauerzwist der beiden öffentlich Partei für Kahn. Bald darauf kam es zur Trennung. Gewisse Parallelen sind jetzt offenkundig.
Anforderungen wie an einen Zehnkämpfer
Die Torwartposition ist eine Schlüsselstelle, die mit mehr Verantwortung und höheren Anforderungen als die der Feldspieler verbunden ist. DFB-Torwartkoordinator Marc Ziegler vergleicht den Job gerne mit den komplexen Aufgaben eines Zehnkämpfers, der schnell sprinten, hoch und weit springen und auch gut werfen muss, um alles zu vereinen.
Keine Frage: Neuer, der sich bei einem Skiunfall einen offenen Bruch von Schien- und Wadenbein zugezogen hat, ist solch ein Tausendsassa, der viele Sportarten beherrscht. Der Beste beim Tennis, auf dem Mountainbike - und beim Fußball fast so gut wie die Feldspieler. Auch wenn er keine gute WM in Katar gespielt hat und am vorzeitigen Ausscheiden durch sein zögerliches Verhalten beim zweiten Gegentor gegen Japan (1:2) erhebliche Mitschuld trug, hat er sich mit weit über 30 Jahren im Kreis der weltbesten Torhüter gehalten.
Skepsis bei Julian Nagelsmann
Tapalovic wurde dabei das "Genie hinter Manuel Neuer" genannt. Doch insbesondere Cheftrainer Julian Nagelsmann baute zu ihm keine Bindung auf. Am Ende soll er Tapalovic verdächtigt haben, an Intimus Neuer Vertrauliches aus der Trainerkabine weitergegeben zu haben. "Generell ist es wichtig, zu allen Personen deines Trainerteams ein intaktes Verhältnis zu haben. Da kann man sich immer verbessern", sagte Nagelsmann am Montag vor der Trennung. Jeder müsse seine Verantwortungsbereiche kennen, betonte er, wie die Profis könnten Trainer und Torwarttrainer "Dinge verbessern, dass alle in dieselbe Richtung gehen".
In der dünnen Mitteilung zur Trennung nannte Sportvorstand Hasan Salihamidzic "insbesondere Differenzen über die Art und Weise der Zusammenarbeit" als Grund. Zuvor hatte er eine interne Aufarbeitung der Kommunikationsprobleme zwischen Tapalovic und dem 2020 verpflichteten Alexander Nübel angekündigt. Der ebenfalls von Schalke geholte und inzwischen an den AS Monaco verliehene Schlussmann kritisierte erst vergangenen Samstag im ZDF-Sportstudio, dass es sehr wenig Kontakt mit Tapalovic gegeben hatte.
Kritik auch von Alexander Nübel
"Ich glaube schon, dass man ab und zu sich austauschen hätte können über die Situation", beschwerte sich der 26-Jährige, der in seiner ersten Saison nur vier Pflichtspiele für die Bayern machte, um sich vor anderthalb Jahren nach Frankreich verleihen zu lassen. Sein Klub ließ ihn diesen Winter nicht gehen, sodass die Bayern zuletzt von Borussia Mönchengladbach Yann Sommer verpflichteten. Der 34-Jährige ist genau wie Nübel vertraglich bis 2025 gebunden.
Sollte Neuer nicht mehr das alte Niveau erreichen, was bei der Schwere seiner Verletzung und seines Alters nicht ausgeschlossen werden kann, hat der FC Bayern immerhin vorgesorgt, zumal aktuell auch noch Sven Ulreich als Sommer-Backup zur Verfügung steht.