Angriff auf den Amateurfußball

ARD Story Wie die Wettindustrie mit Amateurspielen abkassiert

Stand: 15.08.2024 10:23 Uhr

Jede Woche tauchen zahlreiche deutsche Amateurspiele auf internationalen Wettseiten auf – obwohl die Wetten darauf in Deutschland verboten sind. Die ARD Story "Angriff auf den Amateurfußball" zeigt die Ahnungslosigkeit des DFB und welche Rolle sogenannte Datenscouts spielen.

Von Katharina Brunner, Ulrich Hagmann, Sebastian Krause und Simon Wörz

Werbung für Sportwetten ist im Fußball längst allgegenwärtig – im Fernsehen, im Stadion oder bei Social Media. Jetzt zeigen Recherchen von BR und ARD-Radio-Recherche Sport: Auch die Vereine, die nicht im Rampenlicht des Profifußballs stehen, sind Teil des Milliardengeschäfts.

Die Recherche im Rahmen der ARD Story "Angriff auf den Amateurfußball – Die Gier der Wettindustrie" zeigt das System hinter den Live-Wetten auf deutsche Amateurfußballspiele. Die Doku ist ab Mittwoch (14.08.2024) in der ARD Mediathek zu sehen und wird nach der Übertragung des DFB-Pokals (19. August) im Ersten um 23.15 Uhr ausgestrahlt.

ARD Story deckt System der Wettindustrie auf

Wer schießt das nächste Tor, wie viele Tore fallen bis zur Halbzeit, mit vielen Toren Abstand gewinnt eine Mannschaft? Darauf kann unter anderem bei Viert- und Fünftligaspielen gewettet werden – sogar live mit sich ständig ändernden Quoten.

Dutzende Wettanbieter bieten online deutsche Amateurspiele auf Wettseiten im Ausland an. Darunter Anbieter ohne behördliche Erlaubnis – aber auch Buchmacher mit deutscher Lizenz, wie zum Beispiel Betano, Werbepartner der EM 2024. 

Dabei sind Wetten auf Amateursport in Deutschland laut Glücksspielstaatsvertrag illegal. In dem deutschen Angebot der lizenzierten Wettanbieter finden sich keine Amateurspiele unterhalb der dritten Liga, auf ihren internationalen Seiten schon.

Vereine oft ohne Wissen

Der Kirchheimer Sportclub ist einer von 24.000 Amateurfußballvereinen in Deutschland, spielte vergangene Saison in der Bayernliga – auch auf seine Spiele konnte international gewettet werden. Allein an einem Spieltag tauchte ein Heimspiel der Kirchheimer bei über 40 internationalen Wettanbietern auf.

"Absurd, dass mit einer Freizeitbeschäftigung ein Geschäft gemacht wird", sagt Vereinsvorstand Ludwig Boche, als er von den Wetten auf seinen Club erfährt. Seinen Vater Christian Boche, Fußball-Abteilungsleiter beim Kirchheimer SC, frustriert es, "dass mit unseren Spielen jemand Geld verdient". Die Kirchheimer Spieler bekommen nur eine geringe Aufwandsentschädigung, sagt Ludwig Boche.

Sportradar schickt Datenscouts

Möglich sind Live-Wetten, weil die Wettanbieter in Echtzeit über den Spielverlauf informiert werden – auch von Bayernliga-Spielen wie in Kirchheim.

Einem BR-Reporterteam ist es gelungen, den Datenverkehr zwischen Sportplätzen und Wettindustrie einzusehen. Die Daten von Amateurspielen werden vor Ort von sogenannten Datenscouts erhoben, die mit Smartphones die Geschehnisse auf dem Fußballplatz erfassen.

Zu den Wettanbietern laufen die Informationen über einen der größten Sportdatenhändler: Sportradar.

In der Saison 2023/24 hat Sportradar zu mindestens 2.700 deutschen Amateurspielen solche Datenscouts geschickt, wie die BR-Auswertung zeigt.

Der Konzern mit Sitz in der Schweiz beliefert zahlreiche Wettanbieter mit Live-Daten von deutschen Amateurspielen. Seit 2021 ist das Tech-Unternehmen an der US-Börse Nasdaq notiert. Ein Investor ist Basketball-Legende Michael Jordan.

Ein Verein wehrt sich gegen Wettindustrie

Auch in Kirchheim entdecken die Vereinsverantwortlichen gemeinsam mit BR-Reportern Datenscouts von Sportradar und stellen diese zur Rede. Die Vereinsverantwortlichen wollen verhindern, dass jemand Live-Daten von ihrem Sportgelände an Wettanbieter übermittelt und machen dafür von ihrem Hausrecht Gebrauch: Durch einen Aushang verbieten sie das kommerzielle Datensammeln.

Auf Anfrage teilt Sportradar mit: Man biete Daten an – und verpflichte die Wettanbieter vertraglich, sich an die Gesetze der jeweiligen Länder zu halten. Fragen zu Datenscouts bei deutschen Amateurligen beantwortet das Unternehmen nicht.

Gefahr durch Spielmanipulation

Wetten auf Amateurfußball sind hierzulande verboten, weil sie die Integrität des Sports gefährden. Je geringer die Entgelte der Spieler, umso anfälliger seien diese für Manipulation, heißt es von der Gemeinsamen Glücksspielbehörde der Länder.

Anfragen bei unterschiedlichen Ermittlungsbehörden ergeben: In den vergangenen Jahren gab es im deutschen Amateurfußball mehrere Verdachtsfälle und Ermittlungsverfahren wegen Spielmanipulation.

Auf eine Umfrage unter den 26 Landes- und Regionalfußballverbänden antworteten zwei Verbände, dass je ein Verdachtsfall von Spielmanipulation bekannt sei. Die Bremer Staatsanwaltschaft teilt auf Anfrage mit, dass seit 2018 sechs Spiele der Bremen-Liga unter Manipulationsverdacht standen. Dem Bremer Fußballverband sind diese Verdachtsfälle jedoch nicht bekannt, schreibt der Pressesprecher.

DFB-Vize Zimmermann "Nicht davon gewusst"

Als BR-Reporter dem DFB-Vizepräsidenten Ronny Zimmermann die Recherchen vorlegen, gibt er an, er habe bisher nichts von dem internationalen Wettangebot auf deutsche Amateurspiele gewusst. "Ich tummele mich seit Jahren jedes Wochenende auf Amateurplätzen und habe noch nie davon gehört", sagt Zimmermann, der im DFB-Präsidium für Amateurfußball zuständig ist.

Zu den Wettanbietern, die auf ihren internationalen Seiten deutsche Amateurspiele anbieten, gehören unter anderem zwei DFB-Sponsoren: bwin und Interwetten. "Ich finde das legitim, solange ein Partner auf einem anderen Markt die dortigen Regelungen anwendet", sagt Ronny Zimmermann. Auf eine Anfrage antwortet nur bwin: In Deutschland werden Wetten entsprechend der Regulierung angeboten.

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