WTT-Turnier in Frankfurt Viel Ärger um die große Tischtennis-Revolution
Mit einer neuen Turnierserie sollte der Traditionssport eigentlich spektakulär wiederbelebt werden. Längst hat sich Ernüchterung eingestellt. Auch in Frankfurt lässt sich die Krise nur bedingt überspielen.
Timo Boll hatte es sofort erwischt. Das bittere Aus kam, noch bevor das WTT-Champions-Turnier in Frankfurt so richtig losgegangen war. Dabei braucht die deutsche Tischtennis-Legende für ihre Chance auf ein weiteres Mal Olympia vor allem zwei Dinge: Spielpraxis und Weltranglistenpunkte. Doch genau das ist ein Problem.
"Klar würde ich jetzt gerne noch weitere Turniere spielen, um meinen Rhythmus zu finden", sagte der 42-jährige Boll, "aber es gibt in diesem Jahr keine mehr." Keine Turniere also im November und Dezember, nach einer weiteren Tischtennis-Saison, geprägt von großen Lücken im Kalender, vielen Absagen und spontanen Verlegungen – den Profis war das vor drei Jahren noch ganz anders versprochen worden.
Blasse Kopie statt großer Wurf
Da hatte der Australier Stephen Duckitt nicht weniger als die ganz große Tischtennis-Revolution angekündigt. Als neuer Event-Direktor der 2019 geschaffenen World-Table-Tennis-Serie (WTT) stellte er in leuchtenden Farben seine Vision vor, wie man das Profi-Tischtennis spektakulär tranformieren und zu einem lukrativen Geschäft machen würde.
Doch schnell wirkte Duckitts großer Wurf wie eine blasse Kopie. Denn er hatte sich seiner 15-jährigen PR-Erfahrung auf der Tennis-Tour bedient und einfach die große, gelbe Filzkugel durch den kleinen, weißen Plastikball ersetzt. Einen Tischtennis-Turnierkalender zu entwerfen, wie es ihn im Profi-Tennis gibt – das war also Duckitts visionärer Plan zur Wiedergeburt dieses Traditionssports.
Große Lücken im Turnierkalender
"Wir wollen Grand Smashes etablieren", kündigte Duckitt damals im Sommer 2020 an, "so wie die vier Grand Slams mit Wimbledon im Tennis. Um sie herum werden wir einen Mix aus Top-Turnieren aufbauen." Drei Jahre später ist von der großen Vision vor allem eines geblieben: großer Frust bei Spielern, Verbänden wie auch den europäischen Ligen.
Denn anders als Tennis-Profis ist es ihnen weiterhin gar nicht möglich, Woche für Woche um Weltranglistenpunkte und Preisgeld zu spielen. 2022 hat die WTT nur 14 Turniere angeboten, weitere elf als sogenannte Feeder-Turniere für Spieler jenseits der Top 100. In dieser Saison war der Kalender ebenso dünn. Bisher gab es auch nur einen Grand Smash pro Saison, erst zwei insgesamt.
WTT nur im Alleingang unterwegs
Planungssicherheit haben die Tischtennis-Profis zudem nicht, zum Jahresbeginn war der Kalender stets weitgehend leer. Immer wieder werden im Laufe der Saison Turniere kurzfristig gestrichen, andere spontan hinzugefügt. Das sorgt auch für Verstimmung bei den europäischen Ligen, denn Absprachen mit ihnen gibt es nicht. Die WTT macht, was sie will.
Auch die deutsche Tischtennis-Bundesliga (TTBL) kann nur verstimmt mit eigenen Verlegungen reagieren. Momentan muss sie eine fünfwöchige Zwangspause bis Ende November einlegen wegen kurzfristig eingeschobener WTT-Turniere für die Topstars. Für viele Profis sind die Ligen jedoch ein wichtiges finanzielles und sportliches Standbein. Der WTT sind sie dagegen ein Dorn im Auge, sie wollen die Profis mit Verträgen exklusiv an sich binden. Zumindest bei den nicht-asiatischen Spielern bisher ohne großen Erfolg.
"Habe als Spieler zu wenig Macht, irgendetwas zu ändern"
Denn viele Tischtennis-Profis spüren wenig Respekt von der WTT. Über eine interne Chatgruppe werden sie über Änderungen im Kalender in Kenntnis gesetzt, die Antwortfunktion ist allerdings deaktiviert. Ein Austausch mit den Spielern ist nicht gewollt, auch das erinnert an Strategien der Tennis-Tour. Kritisch äußern mag sich kaum ein Spieler öffentlich, der Druck von Seiten der WTT ist groß. Der Ärger hinter vorgehaltener Hand jedoch noch größer.
Europameister Dang Qiu: "Am Ende habe ich als Spieler zu wenig Macht, irgendetwas zu verändern."
Dafür klang Europameister Dang Qiu in Frankfurt schon sehr deutlich: "Wenn ein Turnier stattfindet, ist es echt gut. Nur, es findet zu wenig statt wie es eigentlich versprochen ist. Manchmal findet es auch zu spontan statt." Und der deutsche Nationalspieler fügte leicht resigniert hinzu: "Am Ende habe ich als Spieler zu wenig Macht, irgendetwas zu verändern."
Gibt es 2024 einen vollen Turnierkalender?
Gemeinsamen Druck gegen die WTT aufzubauen, ist trotz einer neu gegründeten Spielergewerkschaft aber unmöglich. Die Stars aus China ziehen – ob aus eigenem Willen oder auferzwungen – nicht mit. Auf sie ist die Tour aber komplett ausgerichtet, der Rest der Welt im Grunde nur Beiwerk. Und so sorgte bei den Profis in dieser Woche auch die neueste Benachrichtigung in der WTT-Chatgruppe eher für Skepsis als Begeisterung: 2024 soll es einen vollen Turnierkalender geben. Und man möchte drei Grand Smashes vor den Olympischen Spielen im August durchziehen.
Allein dieses äußerst ambitionierte Vorhaben sorgte bei vielen Profis für Kopfschüttteln. Die meisten gehen davon aus, dass der angebliche XXL-Turnier-Plan, der auch für sie erst Anfang November bekannt gegeben werden soll, keinen Bestand haben und mit vielen Absagen wieder ausgedünnt werden wird.
Profit der WTT hat sich verdreifacht
Dass sich bisher meist nur Länder wie China, Katar, Oman oder Ungarn fanden, die WTT-Turniere ausrichten wollten, liegt an den strikten Vorgaben in den Verträgen, die diese eingehen müssen. Sie sind gezwungen eine satte Gebühr zu entrichten – ein Teil fließt ins Preisgeld, der Rest an die WTT. Für die Spieler hat sich das Preisgeld so 2022 zwar von 1,8 Millionen auf 6,3 Millionen US-Dollar verdreifacht, dafür finden sich eben kaum Veranstalter. Denn vor allem verdient die WTT.
In diesem Punkt hat Duckitt mit WTT-Boss Liu Guoliang, dem ehemaligen chinesischen Tischtennis-Profi, geliefert: Der Profit wurde innerhalb eines Jahres verdreifacht (28,9 Millionen US-Dollar), so steht es im WTT-Jahresreport 2022. Da sich aber auch die Ausgaben durch Investitionen auf 31,2 Millionen US-Dollar verdoppelten, steht die Bilanz im Minus. Das sei so eingeplant. "Ab 2025 werden wir Geld verdienen", verspricht Michael Brown, der Finanzchef des Internationalen Tischtennis-Verbandes (ITTF), dessen Tochtergesellschaft die WTT ist.
Tischtennis und Tennis trennen noch Lichtjahre
In Frankfurt sind nun die besten 32 Frauen und Männer erstmals in Deutschland beim insgesamt 5. Champions-Turnier versammelt. Ähnlich einem Masters im Tennis, bei beiden winken 1.000 Weltranglistenpunkte. Mit dem feinen Unterschied, dass in Frankfurt ein Tennis-Topstar wie Rafael Nadal niemals für einen Siegerscheck von nur 30.000 US-Dollar (bei einem Gesamt-Preisgeld von 500.000 US-Dollar) angetreten wäre. Die würde er bei einem Masters schon für ein Zweitrundenaus bekommen, für den Titel dagegen 1,2 Millionen Euro. Noch trennen beide Sportarten Lichtjahre.
Dass der Deutsche Tischtennis-Bund (DTTB) in diesem Jahr etwas mit dem Champions-Turnier verdienen wird, davon geht auch Präsidentin Claudia Herweg nicht aus. Es sei dieses Mal eine Mischfinanzierung aus WTT- und Kernsponsoren, sagte Herweg der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Wie genau sich die Anteile der Abgaben an die WTT zusammensetzen, wollte auch der DTTB nicht preisgeben. Man bemüht sich, nach der deutlichen Kritik an der WTT-Gründung im Alleingang – für die sich der Verband öffentlich entschuldigte – nun die Wogen zu glätten. Dennoch betonte Herweg in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zumindest etwas, das sicherlich auch breite Zustimmung bei den Spielern finden dürfte: "Die ITTF hat die Aufgabe, den Terminkalender von oben nach unten vorzugeben. Dass der Kalender für 2024 zwei Monate vor Jahresbeginn noch nicht veröffentlicht wurde, ist nicht gut."