WTT-Turnier in Frankfurt Große Tischtennis-Revolution mehr Albtraum als Aufbruch
Zu wenig Preisgeld, zu wenig Turniere für alle, dafür Angst vor Strafen - der Frust hält auf der Tischtennis-Profi-Tour an. Denn von der Wiederbelebung des Traditionssports profitieren weiter nur wenige.
Dang Qiu rann auch eine Viertelstunde nach seinem Erstrundensieg beim WTT Champions-Turnier in Frankfurt immer noch der Schweiß übers Gesicht. Und nicht nur das Match gegen Marcos Freitag hatte den 28-Jährigen aus Nürtingen Kraft gekostet, dieses Tischtennis-Jahr war Stress pur für ihn.
"Der Terminplan ist sehr voll, dazu das viele Reisen, oft nach Asien und mit Jetlag. Dann spiele ich in der Bundesliga, im Pokal, in der Champions League und dazwischen muss man auch irgendwie leben und trainieren. Das macht es anspruchsvoll", sagt der Europameister von 2022, der für Rekordmeister Borussia Düsseldorf spielt. Hinzu kamen auch noch Olympia und die EM. Ein Mammutprogramm, das für ihn kaum weniger werden wird.
Dang Qiu absolviert ein Tischtennis-Mammutprogramm.
Nur provisorischer Kalender 2025
Allerdings ist Anfang November der neue Turnierkalender für 2025 weiterhin nicht offiziell, den Spielern wurde bisher lediglich ein provisorischer Plan vorgelegt. 18 Turniere stehen neben den Tour-Finals erst fest. Von den drei Grand Smashes wurde einer im Hochsommer in die Wüstenhitze von Las Vegas verlegt, die zweithöchste Kategorie der Champions-Turniere von fünf auf sechs Events aufgestockt.
"Am Ende beschwert man sich immer: Ist es zu viel? Ist es zu wenig? Für mich ist es ein guter Kalender, weil es viel zu spielen gibt, wenn ich es will", sagt Dang Qiu, und als Weltranglistenzwölfter lebt er auf der Sonnenseite dieser neuen Tischtennis-Welt. Die große Mehrheit der Profis außerhalb der Top 30 bekommt jedoch den Schatten dieser 2020 als Revolution promoteten Wiedergeburt des Traditionssports deutlich zu spüren.
Viele Profis zahlen bei der WTT drauf
"Die meisten von uns zahlen bei der WTT drauf. Eigentlich kann es sich ohne das Gehalt aus den nationalen Ligen keiner leisten, auf der Tour mitzuspielen. Das ist doch verrückt", moniert ein europäischer Spieler aus den Top 100, der nicht genannt werden möchte.
Das war ihnen mit dem hochtrabenden Fünfjahresplan anders versprochen worden. Die neue Struktur sollte den Profi-Sport lukrativer machen. Doch mit dem Plan wird offenbar versucht, die Tischtennis-Tour nach der Schablone der Tennis-Tour billig zu kopieren - nur eben ohne die monetären Mittel. Der WTT-Event-Manager Stephen Duckitt, der Schöpfer dieser großen Vision, wurde vor zwei Monaten entlassen.
Unmut und Frust bei vielen Spielern
Das hatte der umtriebige Australier nicht kommen sehen. Doch treibende Kräfte innerhalb des Internationalen Tischtennis-Verbandes (ITTF), deren Tochtergesellschaft die World-Table-Tennis-Serie (WTT) ist, verpassten Duckitt eine endgültige Schaffenspause.
Und während Duckitts auf seinem Profilbild auf der offiziellen WTT-Webseite weiterhin breit grinst, sieht es danach aus, als würde er tatsächlich als Letzter lachen. Denn auch ohne den Schöpfer wird sein Plan weiter ausgelebt - auf Kosten der Spieler, die nicht zur Elite gehören. Und so ist der Unmut und Frust auch am Rande der zweiten Auflage des WTT-Champions-Turniers in Frankfurt am Main größer denn je.
Knallhartes System aus Strafen und Sanktionen
Noch immer ist der immense Druck zu spüren, dem die Spieler ausgesetzt sind. Sich öffentlich negativ über die WTT zu äußern, ist gefährlich. Duckitt hatte während seiner langen PR-Tätigkeit auf der Tennis-Tour viel von den Methoden der ATP gelernt. Und so führte er auch bei der WTT ein knallhartes System aus drakonischen Strafen und Sanktionen ein.
Bei Fehlverhalten werden Preisgelder einbehalten, Weltranglistenpunkte abgezogen. Oftmals willkürlich. Turniere abzusagen, selbst aus guten Gründen, wird bestraft. Obwohl keiner der Profis einen Vertrag mit der WTT abgeschlossen hat, stehen sie alle in der Pflicht.
"Ich muss jeden Monat Rechnungen zahlen"
Der Afrikameister und langjährige Bundesligaspieler Quadri Aruna ist einer der ganz wenigen, der sich öffentlich zur Wehr setzt. Im Frühjahr wurde ein Champions-Turnier kurzfristig verschoben. Aruna hatte zu diesem Termin jedoch Verpflichtungen bei seinem Liga-Klub in Saudi-Arabien. Die WTT verwies auf seine Erscheinungspflicht und den entsprechenden Paragrafen im Sanktionskatalog: null Punkte und eine Geldstrafe.
"Wie kann etwas Pflicht sein, wenn ich keinen Vertrag mit euch habe?", echauffierte sich Aruna bei der Plattform "X": "Mein Klub zahlt mein Gehalt, ich muss jeden Monat Rechnungen zahlen, für meine Familie sorgen. Und diesen Vertrag soll ich für die WTT riskieren, wo ich kein Geld verdiene?" Aruna habe zudem von etlichen WTT-Turnieren bisher kein Preisgeld erhalten. Und tatsächlich schildern viele Spieler, dass sie wochen-, mitunter sogar monatelang auf ihr Geld warten müssen.
Quadri Aruna
Die Ausgaben-Einnahmen-Rechnung geht nicht auf
Und würden Tischtennis-Profis auch nur annähernd so viel wie Tennis-Profis verdienen, wäre es wohl Jammern auf hohem Niveau. Doch der französische Top-40- und Bundesligaspieler Simon Gauzy hat seine Jahresbilanz 2023 mal bei der Plattform "X" veröffentlicht: "WTT-Ausgaben: 37.000 Euro, Preisgeld: 40.000 US-Dollar vor Abzug der Steuern."
Im Schnitt gehen 20 Prozent Steuern ab, minus nochmals fünf Prozent für eine angebliche WTT-Altersrente, von der aber noch kein Profi etwas gesehen hat. "Ziehe ich die drei Champions-Turniere ab", führt Gauzy weiter aus und betont damit, dass diese Events der zweithöchsten Kategorie nur den Top-30-Spielern zugänglich sind, "dann wären es nur 19.500 US-Dollar Preisgeld. Wenn du nicht zu den Top 30 gehörst, zahlst du zwei Drittel so viel, wie du verdienst. Bravo, WTT."
Tennis-Preisgelder um Lichtjahre entfernt
Im Tennis verdient der Sieger eines Masters - wie gerade Alexander Zverev in Paris - eine Million Euro, beim äquivalenten WTT-Champions-Turnier wie in Frankfurt erhält der Sieger mit 30.000 Dollar so viel wie der Tennis-Profi beim Masters in der ersten Runde. Aber Duckitts große Revolution sah ja auch nur vor, dass die Tischtennis-Tour lukrativer werden würde. Die Gewinne der Spieler waren damit nicht gemeint.
Obwohl sich die WTT jetzt dafür feiert, dass sie eine enorme Preisgelderhöhung für 2025 beschlossen hat, ist sie nur eine Mogelpackung. Das Gesamtpreisgeld der Grand Smashes bleibt bei 1,5 Millionen Dollar, für die Champions Events gibt es eine Deckelung auf 500.000 Dollar. Das bedeutet, bei einigen Turnieren wird das Preisgeld gar um 300.000 Dollar gekürzt.
Lächerliche Siegerprämien bei Feeder-Turnieren
Bei den Star-Contender- und den Contender-Events (dritt- und vierthöchste Kategorie) bekommt der Sieger nun 11.000 statt 10.000 Dollar, beziehungsweise 5.310 statt 5.000 Dollar. Keine wirklich üppige Erhöhung. Dafür sollen die Qualifikationsfelder vergrößert werden, ein kleines Plus immerhin.
Besonders lächerlich ist jedoch die 34-prozentige Preisgeldsteigerung der Feeder-Turniere, die für Spieler jenseits der Top 50 wichtig sind und die der große Wurf sein soll. Hier erhält der Sieger nun statt 600 satte 800 Dollar - vor Abzug der Steuern und Reisekosten. Da fühlt sich die 14-prozentige Steigerung auf 800.000 Dollar für die Topspieler bei den Finals natürlich viel besser an. Das Leben ist schön auf der Sonnenseite. Für jene auf der Schattenseite fühlt sich die große WTT-Vision weiter nach Albtraum an.