Internationales Comeback bei der EM Timo Boll und sein Kampf für den Olympia-Traum
Wenn es um Europameisterschaften im Tischtennis geht, ist sein Name untrennbar mit diesem Turnier verbunden: Timo Boll. Insgesamt 20 Titel im Einzel, Doppel und Team holte er beim kontinentalen Wettkampf. Doch beim EM-Turnier im schwedischen Malmö ab Sonntag (10.09.2023) findet sich Deutschlands langjähriges Aushängeschild plötzlich in einer neuen Rolle wieder - und in einem Wettlauf mit der Zeit.
Lächeln kann er schon wieder: Das zeigte sich nach seinem Einzel im Bundesliga-Spiel gegen Werder Bremen. Mit 3:1 hatte Boll gerade den Gegner bezwungen und gab danach bekannt: "So langsam kommt wieder Dynamik in den Körper." Zufrieden sei er gewesen mit seiner Partie.
EM wichtig für Spielpraxis und Weltrangliste
Dynamik ist das Stichwort, denn der Rekordeuropameister ist inzwischen bereits 42 Jahre alt und kommt zudem nach einer monatelangen Schulterverletzung gerade erst wieder zurück in den Profisport. Für sein großes Ziel, noch einmal bei Olympia im Jahr 2024 dabei zu sein, braucht es nun vor allem Spielpraxis und Weltranglistenpunkte.
Da ist es nicht verwunderlich, dass der Routinier das deutsche Team bei der Mannschafts-EM in Malmö anführt. Er soll gemeinsam mit Benedikt Duda ein ansonsten eher junges deutsches Team möglichst weit führen. Die anderen Weltklassespieler Deutschlands um Dang Qiu, Dimitrij Ovtcharov und Patrick Franziska erhalten eine Turnierpause, um fokussiert mit Blick auf Olympia trainieren zu können. Stichtwort Belastungssteuerung.
Boll muss den Rückstand aufholen
Genau diese drei könnten auch zu Bolls Problem werden bezüglich einer Olympia-Nominierung. Denn die Konkurrenz im eigenen Land schläft nicht: Ovtcharov holte die bisher letzte deutsche Olympiamedaille in Tokio, war bereits Weltranglistenerster. Dang Qiu gelang im vergangenen Jahr der Durchbruch, als er sich zum Einzel-Europameister krönte. Patrick Franziska steht beständig in den Top 20 der Welt und ist bis dato der einzige deutsche Spieler, der alle aktuellen Topspieler aus China bereits geschlagen hat - auch wenn es ihm bisweilen etwas an Konstanz fehlt.
Nicht nur in Sachen Fitness haben sie aktuell die Nase vorn, auch in Sachen Weltrangliste. Diese bestimmt die Setzung für Paris, wo es zwei Einzelstarter und einen zusätzlichen Platz im Team gibt. Boll hat es durch die Verletzung bis auf Platz 66 der Rangliste hinuntergespült. Er ist quasi gezwungen, nun auch international Turniere zu bestreiten - und das möglichst erfolgreich. Es ist auch ein Wettlauf mit der Zeit.
Fit immer noch Weltklasse
Dennoch weiß man beim DTTB um die Stärken eines fitten Bolls. So sagte Bundestrainer Jörg Roßkopf, der bei der EM fehlen wird: "Er soll bis zuletzt um seine Teilnahme kämpfen dürfen." Denn Roßkopf weiß genau, wie sehr sich der ehemalige Weltranglistenerste quälen kann. Und wie stark er sein kann: Bei der WM 2021 holte sich Boll trotz einer Hüftverletzung im Turnier die Bronzemedaille, verlor sein Halbfinale denkbar knapp. Sein Düsseldorfer Teamkollege Qiu glaubt an den Rekordeuropameister: "Ist Timo fit, gibt es quasi keine Grenzen für ihn." Auch im etwas höheren Alter kann Boll in fittem Zustand sich mit der versammelten Weltklasse messen und dort siegen.
"Mein Instinkt fehlt noch etwas", ließ er vor der EM gegenüber der Sportschau verlauten. Dieser Instinkt, seine Antizipation und sein Gefühl für Rotation machen ihn dann zu einem Gegner, gegen den keiner gerne spielen will. Das wird auch bei der Team-EM so sein - trotz fehlender Spielpraxis. Mit jedem Trainingsball und jeder Wettkampfpartie wird Boll besser - und ein guter Boll ist in Europa kaum zu schlagen.
Keine Vorgabe für den Titel
Es gibt für ihn und das deutsche Team dennoch oder gerade aufgrund der fehlenden Praxis keine Pflicht auf den Titel. "Vorgaben wird es bei uns nicht geben, gab es aber noch nie. Einzig: Wir würden gerne die Gruppe überstehen", erklärte DTTB-Sportdirektor Richard Prause. Offensichtlich bleibt: Ein gutes Abschneiden ist im Sinne aller Beteiligten, ein guter Timo Boll auch, gerade im Hinblick auf seine dann womöglich letzten Olympischen Spiele und in Anbetracht der Auswahl an Topspielern zum Höhepunkt im nächsten Jahr.
Boll: "Der Weg ist noch nicht zu Ende"
Der Rekordeuropameister selbst ist zumindest voller Hoffnung: "Ich bin bereit, mich zu quälen, Olympia motiviert mich extrem." Er ging sogar ins finanzielle Risiko für seinen Olympia-Traum und hat sich für viel Geld neue Regenerationsgeräte angeschafft. "Ich mache jeden Tag Schulterübungen, fünfmal die Woche Athletiktraining", gibt er Einblicke in den Alltag. Der früher nicht als "Trainingweltmeister" bekannte Boll mutiert fast schon genau dazu - alles für das große Ziel, zum siebten Mal bei Olympia dabei zu sein.
Kurzfristig scheint sich das viele Schuften vorerst auszuzahlen: Der Körper mache laut dem Rekordeuropameister alles wieder mit. So sagte er auch nach dem letzten Ligaspiel vor dem Kontientalturnier: "Der Weg ist noch nicht zu Ende". Es klang fast wie ein Versprechen für die EM.