French Open Gereifter Zverev greift nach dem Titel
Alexander Zverev hat erneut das Halbfinale der French Open erreicht, den Titel aber noch nie gewonnen. Der 27-Jährige ist nicht mehr der Heißsporn der Vorjahre, sondern ein gereifter Erwachsener. Das könnte sich für ihn auszahlen.
Es steht eine wichtige Frage vor dem Halbfinale bei den French Open am Freitagnachmittag (07.06.2024, sportschau-Liveticker ab 17.30 Uhr) ) im imaginären Raum: Welcher Alexander Zverev wird auf dem Centre Court in Paris zu dieser besonderen Partie gegen Casper Ruud antreten?
Der von 2023, der gegen den Norweger nahezu chancenlos in drei Sätzen (3:6, 4:6, 0:6) seine Sachen packen und den Heimweg antreten musste? Oder der Zverev im Jahr davor, der drauf und dran war, den eigentlich unbesiegbaren Rafael Nadal auf dem Court Philippe-Chatrier zu schlagen.
2023 war eine kleine Sensation
Eine schwere Bänderletzung, die Zverev über mehrere Monate auskurieren musste, stoppte ihn damals kurz vor seinem Triumph. Und dieser körperliche Schaden wirkte sich bis ins Jahr danach aus.
Dass er 2023 überhaupt das Halbfinale erreicht hatte, war schon eine kleine Sensation. Aber Zverev war da auch noch recht weit entfernt von seiner Bestform. "Deshalb hoffe ich, dass es diesmal anders wird“, sagte Zverev in Paris.
Der Heißsporn scheint nicht mehr zu existieren
Eines lässt sich bereits sicher sagen: Zverev ist wohl nur noch Nuancen von seiner Form von vor zwei Jahren entfernt. Er spielt auch unter Druck solide, seine Aufschläge sind für die Gegner kaum zu händeln. Er steht während der Ballwechsel zumeist viel näher an der Grundlinie und versucht so, den Kontrahenten sein druckvolles Spiel aufzuzwängen - mit Erfolg.
Aber Zverevs wohl größter Reifesprung ist seine mentale Verfassung. Der Heißsporn, der einst Schläger zertrümmerte, der seinen Frust lauthals und ungeniert rausschrie, der, wenn es nicht so lief, in engen Situationen den Faden seines Spiels vollständig verlor, scheint nicht mehr zu existieren.
Souverän und cool in engen Situationen
Zverev bleibt konzentriert, stumm und fokussiert, auch wenn die Situation mal aussichtslos erscheint. So wie in diesen Tagen von Paris beim 1:4-Rückstand im fünften Satz der 3. Runde gegen den Niederländer Tallon Griekspoor. Das Ausscheiden war nur ein paar Schläge entfernt.
Oder beim 0:4-Rückstand im Tiebreak des zweiten Satzes im Viertelfinale gegen den Australier Alex de Minaur. Er bog die Partien jeweils stillschweigend und überzeugend zu seinen Gunsten um.
"Ich bin durch viel Scheiße gegangen in den letzten Jahren. Mit meinen Verletzungen, mit meinem Comeback, mit vielem Drum und Dran. Ich glaube trotzdem daran, dass das einen auch stärker machen kann", sagte der gebürtige Hamburger. Aus dem Jungen ist ein Erwachsener auf dem Tennisplatz geworden.
Warten auf die Krönung
Zverev hat offenbar seine innere Ruhe und auch Lösungen gefunden, um mit seinen Herausforderungen bestmöglich umzugehen. "Das Wichtigste ist, fokussiert zu bleiben und einen Weg zu finden", so Zverev. Schließlich hat er sein Ziel noch nicht erreicht, seinen Traum noch nicht verwirklicht. Er will unbedingt eines der vier Grand-Slam-Turniere gewinnen. Erst dann wäre seine bereits jetzt schon überaus erfolgreiche Karriere (bislang 21 Titel auf der ATP-Tour und rund 42 Millionen Euro Preisgeld) gekrönt.
"Früher war ich mental einfach nicht bereit für Grand Slams. Ich wurde oft nervös, ich konnte nicht mein bestes Tennis zeigen. Für mich waren Grand Slams die Turniere, die ich unbedingt gewinnen wollte. Ich hatte immer das Gefühl: Jetzt bin ich schon 21 Jahre alt und habe immer noch keinen gewonnen“, sagte Zverev in Paris. Die nötige Geduld musste er sich erst hart erarbeiten.
Ruuds starke Beinarbeit
Nun muss Zverev wieder gegen Ruud (bisherige Bilanz: 2:2) seine Stärken unter Beweis stellen. Der 25 Jahre alte Kontrahent hat allerdings den Vorteil, dass er kampflos in das Semifinale (Rückzug Novak Djokovic wegen Meniskusverletzung) eingezogen ist und somit drei Tage in Folge Pause hatte - und damit auch einige Stunden weniger auf dem Platz zugebracht hat.
Der Norweger wird gegen den Deutschen wieder seine überragende Beinarbeit einsetzen und seine Rückhand so oft es nur geht umlaufen, um möglichst häufig seine starke Vorhand einzusetzen - jedem Hobby-Tennisspieler würde dabei wohl schwindelig werden.
Ruud verfügt wie Zverev über eine außergewöhnlich gute Physis. "Ich mag es, an mein Limit zu gehen", sagte Zverev, der nun sein viertes Halbfinale in Paris in Folge erreicht hat. "Vielleicht gewinne ich jetzt ja mal eins."