Nach Missbrauch durch den Trainer Hempel erhält 600.000 Euro Entschädigung vom Deutschen Schwimm-Verband
Jan Hempel und der Deutsche Schwimm-Verband (DSV) einigen sich im Streit um den Umgang mit dem jahrelangen sexuellen Missbrauch des ehemaligen Wasserspringers durch seinen Trainer außergerichtlich. Durch die hohe Entschädigungszahlung an Hempel spitzt sich die finanzielle Situation des DSV zu.
Jan Hempel erhält vom Deutschen Schwimm-Verband (DSV) für den schweren Missbrauch durch seinen Trainer Werner Langer eine Entschädigung in Höhe von 600.000 Euro. 15 Monate, nachdem Hempel in der ARD-Dokumentation "Missbraucht" erstmals über seinen Leidensweg gesprochen hatte, einigten sich beide Seiten außergerichtlich und gingen damit einem jahrelangen Rechtsstreit aus dem Weg. Eine Einigung auf eine Entschädigung in dieser Höhe im Zusammenhang mit dem Thema Missbrauch ist ein bislang einmaliger Vorgang im deutschen Sport.
Hempels Anwalt, der Münchner Sportrechtler Thomas Summerer, hatte für den Fall einer gerichtlichen Auseinandersetzung eine Klagesumme von 3,5 Millionen Euro vorgesehen. Ein Schlichter hatte nach ARD-Informationen 800.000 Euro vorgeschlagen, die DSV-Spitze hatte von den Landesverbänden für die Schlussverhandlungen ein Mandat von 600.000 Euro erhalten, auf die sich die Parteien letztlich einigten.
Der Vergleich garantiert Hempel nach Angaben beider Seiten eine Fix-Zahlung von 300.000 Euro sowie eine Zahlung derselben Summe in monatlichen Raten über zehn Jahre hinweg. Diese werde auch im Todesfall an die Hinterbliebenen gezahlt. Zusätzlich plant der DSV die Einrichtung eines Fonds, "um den Bereich Prävention sexualisierter Gewalt im Verband langfristig zu stärken und hauptamtlich zu betreuen".
"Moralische Verpflichtung"
"Für den DSV ist es von zentraler Bedeutung, die Integrität und Sicherheit unserer Mitglieder und Aktiven zu gewährleisten. Diese Entscheidung spiegelt unsere moralische Verpflichtung und den tiefen Respekt gegenüber Jan Hempel und allen Betroffenen wider", sagte DSV-Vizepräsident Wolfgang Rupieper. Hempels Anwalt Thomas Summerer meinte: "Ich bin sehr froh, dass es gelungen ist, eine außergerichtliche Lösung zu finden, die juristische und moralische Ansprüche miteinander verbindet. Ein längerer Prozess, womöglich über mehrere Instanzen, hätte meinem Mandanten mehr geschadet als genützt."
Hempel war nach eigenen Angaben zwischen 1982 und 1996 fast täglich von seinem damaligen Trainer Werner Langer, der 2001 Suizid beging, missbraucht worden. Dem DSV warf er Organisationsverschulden vor, die Verbandsstrukturen hätten die Taten des Trainers begünstigt, Mitwisser innerhalb des DSV hätten geschwiegen. Ein Gerichtsverfahren auf dieser Grundlage hätte einen Präzedenzfall im deutschen Sport dargestellt.
DSV löst sich von eigener Rechtsauffassung
Nachdem Hempel erstmals Schadensersatz und Schmerzensgeld gefordert hatte, hatte der DSV Entschädigungszahlungen unabhängig von der Person mit Verweis auf das Vereins- und Gemeinnützigkeitsrecht grundsätzlich ausgeschlossen. Von dieser Rechtsauffassung hat sich der DSV unter wachsendem Druck der Gegenseite und aus der Öffentlichkeit nun offenbar gelöst.
Der Einigung ging ein Schlichtungsverfahren unter Leitung von Achim Späth voraus, dem früheren Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Stuttgart sowie Vorsitzenden des Bundesgerichts des Deutschen Fußball-Bundes. Die unabhängige Kommission um die Kölner Soziologin Bettina Rulofs, die vom DSV mit der Aufarbeitung des Hempel-Falles und anderer in der ARD-Doku präsentierten Sachverhalte beauftragt worden war, war an dem Schlichtungsverfahren nicht beteiligt.
Zwischenbericht offenbart Details zum Schlichtungs-Ablauf
Allerdings nahm die Kommission in einem kürzlich eingereichten internen Zwischenbericht an die Verbandsspitze, der der ARD-Sportschau vorliegt, Bezug auf das Protokoll des Schlichterverfahrens. Demzufolge prognostizierte Schlichter Späth die mögliche Prozessdauer bei Abarbeitung durch staatliche Gerichte allein durch alle inländischen Instanzen auf etwa fünf Jahre.
Dem DSV drohten demnach über eine mögliche Entschädigungszahlung hinaus weitere Kosten und Gebühren in sechsstelliger Höhe. Ein Verfahren durch mehrere Instanzen, so hieß es, brächte für den Verband auch "weitere wirtschaftliche Risiken durch den mit der Durchführung des Gerichtsverfahrens verbundenen Reputationsverlust" sowie "etwaige Gefahren für die öffentliche Förderung und ungewisse Reaktionen der Sponsoren" mit sich.
In der Schlichtung sei "vor allem auch die moralische Verpflichtung des DSV zu einer Entschädigung, die erwartbaren, aber unlenkbaren Reaktionen der Presse und Öffentlichkeit, die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Risiken auf Seiten des Anspruchstellers sowie dessen Belastung durch absehbar notwendig werdende Begutachtungen und andere Beweiserhebungen" erörtert worden.
Aus Sicht der Aufarbeitungskommission bestünden "keine Zweifel daran, dass die Annahme des Schlichtungsergebnisses dazu beitragen kann, Retraumatisierungen von Jan Hempel im Rahmen eines langwierigen Gerichtsverfahrens zu vermeiden und allen weiteren Interessen sowohl von Jan Hempel als auch des DSV und seiner Mitglieder optimal zu genügen".
Zwei weitere Verfahren belasten DSV
Als Gewinner kann sich der DSV nun dennoch nicht fühlen. Wirtschaftlich steht der jährlich mit mehr als fünf Millionen Euro aus Steuergeldern finanzierte Verband schwer unter Druck. Denn nicht nur für die Causa Hempel musste die Verbandsdoppelspitze, bestehend aus Wolfgang Rupieper und Kai Morgenroth, hohe Rücklagen einplanen.
Im Februar 2024 wird vor dem Arbeitsgericht Halle/Saale die Verhandlung fortgesetzt, die der ehemalige DSV-Topfunktionär Lutz Buschkow gegen den Verband angestrengt hat. Der DSV hatte Buschkow nach der Veröffentlichung der ARD-Dokumentation vorerst suspendiert und schließlich Mitte Oktober 2022 unter dem Vorwurf, vom Missbrauch an Hempel gewusst, aber geschwiegen zu haben, fristlos gekündigt.
Auch Ex-Sportdirektor Thomas Kurschilgen wehrt sich gegen seine im März 2021 ausgesprochene fristlose Kündigung. Damals hatten ebenfalls angebliche Versäumnisse im Zusammenhang mit der Aufarbeitung von Missbrauchsvorwürfen eine Rolle gespielt. Es ging um die Causa des ehemaligen Freiwasser-Bundestrainers Stefan Lurz, der wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen am Bundesstützpunkt in Würzburg zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden war. Der zweite Verhandlungstermin vor dem Landgericht Kassel ist für den 23. November angesetzt.
Kritik von Missbrauchs-Betroffenem
In den Prozessen mit Kurschilgen und Buschkow steht für den DSV insgesamt wohl auch eine Millionensumme auf dem Spiel. Inwieweit er einen möglichen Verlust in dieser Höhe überhaupt noch verkraften könnte, ist unklar. Nach ARD-Informationen wurde intern bereits die Möglichkeit erörtert, die Verbandszentrale in Kassel mit einer Hypothek zu belasten. Die Mitgliederversammlung am 9. Dezember könnte für den DSV zur Zerreißprobe werden.
Wie schwierig auch der Aufarbeitungsprozess bleiben wird, zeigt die Reaktion eines weiteren Missbrauchsbetroffenen. Franz Marbaise, wie Hempel ehemaliger Wasserspringer und nach eigenen Angaben Ende der 60er Jahren von seinem Trainer am Bundesstützpunkt in Aachen missbraucht, hätte sich eine gerichtliche Aufarbeitung des Falles Hempel gewünscht.
"Diese Schlichtungsverfahren gibt es aus einem Grund: Sie sollen dabei helfen, die Öffentlichkeit rauszuhalten. Es wird keine Urteilsbegründung geben. Deswegen kann sich kein anderer Betroffener danach richten und seinen eigenen Fall selbst bewerten", sagte Marbaise der ARD: "Mit Gerechtigkeit oder Wiedergutmachung hat das nichts zu tun." Er könne sich keine finanzielle oder moralische Wiedergutmachung vorstellen, ergänzte Marbaise: "Der Verlierer wird am Ende immer Jan Hempel sein."