Deutscher Keymer nicht dabei Schreibt "Nepo" Schach-Geschichte beim Kandidatenturnier?
Wer darf gegen den Chinesen Ding Liren um den WM-Titel spielen? Beim Schach-Kandidatenturnier liegt der Russe Ian Nepomniachtchi vorne. Vincent Keymer ist nicht dabei - könnte mit neuem Sponsor künftig aber angreifen.
Aller guten Dinge sind drei? Zweimal hat der Russe Ian "Nepo" Nepomniachtchi das Schach-Kandidatenturnier schon gewonnen, danach gegen den Norweger Magnus Carlsen und den aktuellen Weltmeister Ding Liren aus China aber jeweils den Titel verpasst.
Nun will es "Nepo" erneut wissen. Seit sechs Tagen läuft im kanadischen Toronto das Kandidatenturnier – und der Russe ist fast schon traditionell in Topform. Mit dreieinhalb Punkten aus fünf Partien führt er, gemeinsam mit dem Inder Gukesh, das Feld an und hat aktuell beste Chancen, Ende des Jahres gegen Weltmeister Ding Liren besser zu machen.
Deutscher Bundestrainer trainiert "Nepo"
"Nepo" könnte damit Historisches schaffen – denn noch nie hat jemand ein Kandidatenturnier dreimal gewonnen. Damit das klappt, hilft ihm der deutsche Bundestrainer Jan Gustafsson als Sekundant. Was durchaus für Diskussionen sorgte, denn über Gustafssons Einsatz war sein Arbeitgeber, der Deutsche Schachbund, anscheinend nicht informiert.
Die Aufregung darüber, dass der deutsche Bundestrainer einen russischen Spieler unterstützt, teilen hingegen nur wenige: Schließlich hat sich "Nepo" mehrfach glaubhaft vom russischen Angriffskrieg distanziert, auch wenn er weiterhin in Russland lebt.
Mit Gustaffsons Hilfe hat Nepomniachtchi schon mehrere Gegner durch geschickte Eröffnungszüge ausgetrickst. Es ist bisher das Muster des Kandidatenturniers: Auch mithilfe immer besserer Computer haben viele Spieler neue, bisher unbekannte oder selten gespielte Züge in grundsätzlich bekannten Eröffnungen gefunden.
Was ihre Gegner oft ins Grübeln und damit in Zeitnot bringt. Zum Beispiel den US-Amerikaner Hikaru Nakamura, auch als Schachstreamer bekannt. Er galt vorher als einer der Favoriten, strauchelt bisher aber gewaltig. Sollte jemand "Nepo" noch aufhalten können, sieht es bisher eher so aus, als ob das Nakamuras Landsmann Fabiano Caruana wäre oder eines der indischen Toptalente Dommaraju Gukesh oder Rameshbabu Praggnanandhaa.
Turniersieger darf gegen den Weltmeister antreten
Entschieden ist in Toronto aber ohnehin noch längst nichts, noch sind neun Partien bis Ende April zu spielen. Der Gewinner des Kandidatenturniers darf Ende des Jahres Weltmeister Ding Liren herausfordern. Stand jetzt eine dankbare Aufgabe, denn der sympathische Chinese ist seit seinem WM-Sieg Anfang 2023 in einem Formtief und hat noch dazu mit mentalen Problemen zu kämpfen.
"Mit dem WM-Titel ist für mich ein Traum wahr geworden, trotzdem habe ich gemischte Gefühle, wenn ich auf den Sieg zurückblicke", sagt Ding Anfang Februar beim Interview im Weissenhaus Resort an der Ostsee, wo er bei einem Turnier teilnahm und Letzter wurde. "Es hat mich sehr gestresst und ich brauche lange, um mich vom Stress zu erholen", sagte er. "Ich kann immer noch nicht gut schlafen, nehme immer noch Schlaftabletten und bin in Behandlung."
Weltmeister Ding Liren ein Problem für die FIDE
An ihm zeigt sich, dass der WM-Titel auch eine Bürde ist. Schon während der Weltmeisterschaft selbst hatte er offen über seine Probleme gesprochen, dadurch viele Sympathien gewonnen. Zum Turnier an der Ostsee reiste er mit seiner Mutter an, schottete sich von den anderen Spielern oft ab. Sein Selbstvertrauen war vollkommen im Keller. Als er über Ostern bei einem weiteren großen Turnier in Deutschland mitspielte, dem Grenke Chess Open, gab er vorher das Ziel aus, nicht Letzter zu werden. Was er als Vorletzter so gerade eben schaffte.
Für den Weltschachverband FIDE ist Weltmeister Ding Liren ein Problem. Er spielt kaum, lässt sich sowieso schlechter vermarkten als sein Vorgänger und Aushängeschild Magnus Carlsen. "Ich habe viel weniger Energie als Magnus", sagt auch Ding selbst. Carlsen selbst hatte seinen WM-Titel 2023 freiwillig aufgegeben. Er hat Motivationsprobleme, findet klassisches Schach langweilig. Auch beim Kandidatenturnier tritt er, obwohl qualifiziert, freiwillig nicht an. "Ich fühle mich damit sehr wohl", sagte Carlsen zur Sportschau. "Es kommt nun auf den Weltschachverband FIDE selbst an. Wenn sie den Modus so lassen wollen, ist das für mich auch okay."
Deutsches Toptalent Keymer fehlt in Toronto
Das deutsche Toptalent Vincent Keymer ist beim Kandidatenturnier ebenfalls nicht mit dabei. Er hat die Qualifikation knapp verpasst, auch wenn Keymer inzwischen in den Top 20 der Welt und damit der Weltspitze des Schachs angekommen ist.
Nach einem starken Jahr 2023 hatte Keymer theoretisch noch die Chance, sich auf den letzten Drücker zu qualifizieren. Dafür hätte er aber mehrere Turniere gewinnen müssen – oder der Deutsche Schachbund hätte für ihn kurzfristig ein Showturnier inszenieren müssen, um Ranglistenpunkte zu sammeln und sich so noch zu qualifizieren, wie es letztlich der Franzose Alireza Firouzja gemacht hat.
"Das kann man so machen, hat aber immer einen Beigeschmack", sagt Keymer. "Natürlich wäre ich gerne dabei gewesen, aber ich habe nicht das Gefühl, dass ich da eine Chance verpasst habe. Im Gegenteil, ich hatte eher das Gefühl, nicht mehr 100 Prozent geben zu können, um die kleine Chance nutzen zu können."
Nach vielen Turnieren, inklusive EM-Silber mit der Nationalmannschaft, sei er erschöpft gewesen. Keymers Weg war es schon immer, behutsam Schritt für Schritt zu gehen. Zuzutrauen ist ihm die Qualifikation für ein Kandidatenturnier nach seiner jüngsten Entwicklung aber definitiv.
Multimillionär will Schach in Deutschland stärken
Dabei helfen soll ihm auch der deutsche Multimillionär Jan Henric Buettner. Er hatte das Turnier im Weissenhaus Resort an der Ostsee im Februar organisiert. Buettner ist mit dem Verkauf eines Mobilfunkunternehmens reich geworden. Schach möchte er als Show inszenieren, spricht gerne vom Vorbild Formel 1, wo es nur am Rande um den Sport und viel mehr um die Show drumherum ginge.
Dass er nun ins Schach einsteigt, sahen viele anfangs kritisch. Inzwischen wird Buettner positiver wahrgenommen, viele sehen in ihm inzwischen einen Glücksfall für das deutsche Schach. Denn nach der erfolgreichen Premiere an der Ostsee hat Buettner eine internationale Turnierserie angekündigt, die er gemeinsam mit Magnus Carlsen ausrichtet.
Und er hat eine Akademie für deutsche Schachtalente gegründet, zahlt deren Trainer und Reisekosten. Auch Vincent Keymer wird von Buettner künftig finanziell unterstützt. Für Keymer endet damit eine jahrelange, erfolglose Sponsorensuche. "Ziel ist es", so Buettner, "dass Vincent Weltmeister wird".