Schach-WM Liren gegen Gukesh - Hoffnung auf noch mehr Spektakel
Alles noch offen: Nach neun von 14 möglichen Partien bei der Schach-WM steht es unentschieden. Weltmeister Ding Liren verteidigt sich immer wieder bravourös gegen den Inder Gukesh.
Vieles ist bei dieser Schach-WM noch unklar, aber eines schon jetzt sicher: Es ist spannender, als viele dachten. Eine schwere, vorzeitige Niederlage des Weltmeisters Ding Liren aus China, die dieser auch selbst befürchtet hatte? Von wegen!
Allen (eigenen) Zweifeln zum Trotz gewann der Chinese gleich die erste Partie - und das auch noch mit den schwarzen Figuren, die immer einen Zug später nachziehen und damit generell eher im Nachteil sind. Mit der sogenannten "französischen Verteidigung" überraschte er dabei seinen Gegner. Dabei wird der Bauer vor dem König im ersten Zug nur ein Feld nach vorne gezogen, üblich sind zwei. Damit hatte Gukesh nicht gerechnet, der Weltmeister konnte daraufhin alle seine Figuren schnell aktivieren - und hatte zudem auf der A-Linie einen Randbauern, der die gegnerische Formation sprengte und nervte. Gukesh spielte nicht schlecht, Ding hier einfach zu gut.
Zuletzt sechs Partien mit Remis - aber keine Langeweile
Nach einem Remis in der zweiten Partie dann in der dritten Runde ein ähnliches Bild: Wieder stand der Weltmeister aus China mit schwarz besser, verschätzte sich dann aber mit einem seiner Türme. Das brachte ihn so aus dem Konzept, dass er immer mehr Minuten auf der Uhr einbüßte - und die Partie letztlich verlor, da seine Bedenkzeit abgelaufen war. Ausgleich.
Dommaraju Gukesh (l.) im Spiel gegen Ding Liren
Gleich zwei entschiedene Partien vor dem ersten Ruhetag: Früh deutete sich ein Schlagabtausch an, ein Auf und Ab. Seitdem sind zwar alle sechs anderen Partien remis ausgegangen, langweilig wurde es aber trotzdem nur selten. Vor allem die Partien sieben und acht gingen hin und her und boten beiden Kontrahenten die Chance auf den Sieg.
Gukesh extrem gut vorbereitet
Nach knapp zwei Wochen Schach-WM zeigen sich nun einige Muster:
1. Der Weltmeister Ding schätzt seine Stellung oft zu schlecht ein und scheut dementsprechend das Risiko, auf Sieg zu spielen.
2. Gukesh hingegen erkennt manchmal nicht, wie gefährlich eine Position für ihn ist - oder nimmt mehr Risiko bewusst in Kauf, um auf Fehler seines Gegners zu hoffen.
3. Der junge Inder ist extrem gut vorbereitet, braucht für die ersten Züge oft nur wenige Minuten. Aber: Er macht zu wenig aus diesem Vorteil, während sich sein chinesischer Gegner immer wieder aus heiklen Positionen befreien kann und im Netz nur noch "DefenDing" genannt wird.
Stille Botschafter des königlichen Spiels
Die WM zeigt auch exemplarisch Vor- und Nachteile des seit jeher umstrittenen WM-Modus mit langer, klassischer Bedenkzeit. Es werden wenige Fehler gemacht, von der Genauigkeit her hat das Match einen ähnlichen Score wie andere Weltmeisterschaften. Da bisher keiner von beiden Aspiranten deutlich mehr Fehler macht, gibt es entsprechend viele Unentschieden.
Ding Liren (r.) spielt einen Zug gegen Gukesh
Andererseits sind viele Partien extrem gut (mit Computern) vorbereitet, was die Fehlerquote verringert - und am Bildschirm als Zuschauer langweilen kann, wenn die Spieler nach ihrer Vorbereitung erstmals ins Grübeln kommen und auch mal eine halbe Stunde für einen Zug brauchen.
Angenehm ist, wie fair beide Spieler miteinander umgehen. Hier spielen zwei höfliche, teils eher schüchterne, ruhige Asiaten gegeneinander. Keine Lautsprecher, sondern eher stille Botschafter des königlichen Spiels.
Deutlich unangenehmer ist es, wie sich Ex-Weltmeister Wladimir Kramnik im Netz das Maul zerreißt über das angeblich schlechte Niveau der WM - oder sein russischer Landsmann "Nepo" auf X immer wieder schlechte Züge ironisch kommentiert. Eben jener Nepo, der zweimal die WM gespielt, aber noch nie gewonnen hat - und im vergangenen Jahr gegen Ding verloren hat, den er nun im Internet verhöhnt.
Lob von der Nummer eins Magnus Carlsen
Magnus Carlsen, die Nummer eins der Welt, die den Titel vor einigen Jahren freiwillig aufgegeben hat, ist da diplomatischer. Auch er kommentiert auf seiner neuen Schachplattform jede Partie. Nachdem er sich von den ersten Partien enttäuscht gezeigt hatte, lobte er die vergangenen Runden als "fantastisch" und sagte: "Es ist ein enges Match und das ist es, was wir wollten."
Dass Herausforderer Gukesh erst 18 Jahre alt ist und wie schnell Spieler im Schach zerbrechen können: Das vergessen viele, die diese WM bewerten, immer mal wieder - auch wenn die Depressionen und Schlafprobleme von Weltmeister Ding seit seinem Triumph 2023 es eigentlich allen vor Augen geführt haben.
Gukesh schaut konzentriert auf seinen Gegner
Bleibt unter dem Strich: Auch wenn dieser Schach-WM der ganz große Glanz fehlt, ist sie spannend, abwechslungsreich und hochklassiger, als manche meinen. Fünf Partien sind noch zu spielen. Da Herausforderer Gukesh ein eher mäßiger Schnellschachspieler ist, wird er eine Verlängerung und einen Tiebreak wohl vermeiden wollen. Es gibt also Hoffnung für noch mehr Spektakel im Schlussspurt von Singapur.