Freestyle-Schach-Turnier an der Ostsee Folgt auf die Premiere nun die WM in Deutschland?
Das neue Freestyle-Chess-Turnier an der Ostsee hat Maßstäbe gesetzt. Das Interesse war enorm, die Begeisterung der Schachspieler riesig. Organisator Jan Henric Buettner hat nun große Pläne: eine weltweite Serie – und womöglich sogar die Weltmeisterschaft im Weissenhaus.
Am Ende haben sich die alten Könige gegen die jungen Buben doch wieder durchgesetzt. Acht Spieler waren bei der erstmaligen Freestyle Chess G.O.A.T Challenge an der Ostsee im luxuriösen Weissenhaus Resort dabei. Vier arrivierte Weltklassespieler, darunter Weltmeister Ding Liren und Aushängeschild Magnus Carlsen - und vier junge aufstrebende Talente wie der Inder Dommaraju Gukesh oder Deutschlands Topspieler Vincent Keymer. Auf jeder der Spielerkabinen hing die Spielkarte eines Königs oder Buben, um das Generationenduell geschickt in Szene zu setzen.
In der Vorrunde sah es so aus, als ob die jungen Wilden das Zepter übernommen hätten. Der Usbeke Nodirbek Abdussatorov setzte sich vor Keymer durch und spielte auch im Halbfinale gegen Carlsen gut - hatte aber letztlich doch kaum eine Chance gegen den norwegischen Ausnahmespieler, für viele der Greatest of all Time (G.O.A.T.) und entsprechend auch im Turniernamen gewürdigt. Carlsen zu schlagen, das war die Herausforderung an der Ostsee. Im Finale stellte sich am Freitag (16.02.2024) der Amerikaner Fabio Caruana der Aufgabe - und scheiterte. Carlsen gewann das neue Freestyle-Chess-Turnier.
Carlsen zeigt sich enthusiastisch
Der Norweger hat die Teilnehmer selbst mit ausgewählt, sich mit Multimillionär Buettner bei der Organisation zusammengetan. Selten hat man Carlsen so enthusiastisch wie in dieser Woche gesehen. Sein Wunsch wurde wahr, denn im Weissenhaus wurde Schach960 gespielt, ein Stil, bei dem die Formation der Figuren auf der letzten Reihe vor der Partie ausgelost wird. Manche nennen das auch Fischer Random, benannt nach Erfinder Bobby Fischer. Organisator Buettner nennt es Freestyle Chess, aus Vermarktungsgründen. Und da dieser Stil erstmals über eine lange Bedenkzeit gespielt wurde, wurde die Ostsee zum Schauplatz einer kleinen Schachrevolution.
Fazit nach einer Woche: Selten wurde Schach in Deutschland so gut inszeniert und vermarktet. Nicht alle Ideen von Buettner waren zeitgemäß, etwa eine Schönheitskönigin aus Angola für die Auslosung einfliegen zu lassen. Auch den Puls der Spieler während der Partien zu messen, brachte kein Spektakel, sondern die Erkenntnis: Großmeister haben auch in einem Endspiel in Zeitnot eher einen Ruhepuls.
Offene Einblicke, hochklassige Partien
Die Confession Booth hingegen war ein Bringer. Eine kleine Kabine, in der die Spieler während ihrer Partien zum Publikum am Bildschirm sprechen konnten - und so erstaunlich offene Einblicke in ihre Gedanken und Überlegungen gaben.
Vor allem aber war das Turnier sportlich ein Erfolg. Es gab unzählige hochklassige Partien und insgesamt viel weniger Unentschieden als sonst. Durch die ausgelosten Stellungen konnte sich keiner der Weltmeister richtig vorbereiten. Was intuitiveres Spiel erfordert - und Fehler begünstigt.
Ding Liren mit mentalen Problemen
Vor allem bei Weltmeister Ding Liren aus China, der an der Ostsee einen Albtraum erlebte. Angereist mit seiner Mutter, berichtete Ding schon vor dem Turnier offen von mentalen Problemen seit seinem WM-Sieg 2023. Noch immer nehme er Medikamente. Vor der ersten Partie saß er alleine wie ein Häufchen Elend an einem Tisch, während sich die anderen Großmeister gut gelaunt gemeinsam auf den Startschuss vorbereiteten.
Um dann in seiner ersten Partie gegen den Amerikaner Caruana ohne Zeitnot einen Zug zu übersehen, bei dem sein Läufer und sein König von Caruanas Turm gleichzeitig angegriffen werden. Ein "Einsteller", wie Schachspieler sagen: Ding gab sofort nach dem Zug auf. "Das war eher der Zug eines Spielers mit einem Elo von 1.200 als einem Weltmeister", raunten manche der wenigen Zuschauer (Ding hat eine Elo-Spielstärke von um die 2.800).
Sechs der sieben Vorrundenspiele verlor der Chinese, auch im Viertelfinale ließ er sich abfertigen - und kämpfte am letzten Tag im Duell mit dem Deutschen Keymer um den vorletzten Platz. Auch hier unterlag Ding. Keymer beendete das Turnier als Siebter.
Klassische Schach-WM in Deutschland?
In der Vorrunde hatte Keymer nur eine Partie verloren, spielte solide und mit Überzeugung. In seinem Viertelfinale gegen den Armenier Aronian patzte er dann einmal entscheidend. Keymers Dame, dieses Mal an den Rand des Feldes ausgelost, blieb dort viel zu lange passiv in der Ecke stehen. Ehe der Deutsche die wichtigste Figur einbinden konnte, war er nach 20 Zügen schon fast schachmatt. So schnell kann es im Freestyle Chess gehen.
Wahrscheinlich bekommt Keymer im nächsten Jahr aber die Chance, es besser zu machen. Eine zweite Auflage 2025 gilt als so gut wie sicher. Die Organisatoren sprechen von einer Reichweite der Premierenauflage von 150 Millionen Zuschauern - weit über den Zielvorgaben. Buettner träumt von einer Turnierserie in Indien und den USA.
Außerdem - und das dürfte viele Schachfans in Deutschland freuen - bringt Buettner eine WM in Deutschland ins Gespräch. Die FIDE habe ihm vorgeschlagen, dass das Weissenhaus der gleichzeitige Austragungsort der klassischen Schach-WM und der Schach960-WM in diesem Jahr sein solle, sagte Buettner einem spanischen Journalisten. Er denke darüber nach.