Mit Carlsen, Keymer, Ding Liren Weltklasse des Schachs an der Ostsee
An der Ostsee treffen ab Freitag (09.02.2024) acht Weltklasse-Schachspieler aufeinander. Gespielt wird in einem neuen Modus, in dem die Figuren anfangs gelost werden. Für Superstar Magnus Carlsen wird damit ein Traum wahr, auch das deutsche Toptalent Vincent Keymer ist am Start.
Unmotiviert wirkt Magnus Carlsen nicht. Ganz im Gegenteil: Aus dem sonst oft mürrischen Norweger sprudelt es nur so heraus, als er von den Vorzügen der Schach960-Variante berichtet, die in einem Weltklasse-Turnier am Weissenhäuser Strand an der Ostsee gespielt wird.
Unvorhersehbare Startformation beim Schachturnier
Unvorhersehbar seien die Spiele, da die Startformation der Figuren vorher ausgelost werde. Sonst seien insbesondere die Eröffnungen im Schach oft langweilig, da sie schon millionenfach gespielt und studiert wurden. Aber eine Startformation, wo der Turm in der Mitte, aber die Dame außen auf dem Feld beginnen kann? "Total spannend für die Zuschauer und für uns Spieler eine neue Herausforderung", sagt Carlsen. "Für mich wird mit diesem Turnier ein Traum wahr."
Nichts ist in diesen Tagen von dem Magnus Carlsen zu sehen, der seinen Weltmeister-Titel vor wenigen Jahren freiwillig aufgab und nicht mehr um die Schachkrone im klassischen Schach spielen möchte, da er sich dafür "nicht mehr motivieren kann". Für die "Freestyle Chess G.O.A.T. Challenge" durfte Carlsen Spieler und Format mitbestimmen. Herausgekommen ist ein Turnier, das es vorher wohl noch nie gab.
Carlsen trifft auf Weltmeister Ding Liren
Acht Spieler sind dabei, Carlsen trifft unter anderem auf den Weltmeister Ding Liren, arrivierte Topspieler wie Fabiano Caruana und Levon Aronian, aber auch eine vierköpfige Gilde junger Talente, die den arrivierten Platzhirschen immer näher rücken: Der Usbeke Nodirbek Abdussatorov, der Inder Dommaraju Gukesh, der Franzose Alireza Firouzja - und das deutsche Toptalent Vincent Keymer.
Schach-Weltmeister Ding Liren
Gespielt wird zunächst in einem Schnellschach-Modus, später über die klassische Bedenkzeit. Die Startformationen werden jeweils zehn Minuten vor Spielbeginn gelost, die Spieler haben danach also nur wenig Zeit, um sich auf teils komplett unbekannte Startformationen vorzubereiten. "Es ist auf jeden Fall ein spannender Stil, vor allem für Spieler, die schon 20 Jahre dabei sind", sagt Keymer. Schon nach wenigen Zügen würden oft krasse Fehler passieren, etwas dass es im klassischen Schach mit den bekannten Eröffnungsvarianten kaum noch gibt. Er selbst könne sich gut vorstellen, bei einer Weltmeisterschaft irgendwann nicht mehr nur über die klassische Bedenkzeit, sondern auch Blitz, Schnellschach oder Schach960 zu spielen, sagt Keymer.
Schach960 wird schon länger gespielt, aber kaum bei richtig großen Turnieren. Bekannt ist es auch unter dem Namen Fischer-Random. Alles zu kompliziert, vor allem für Leute außerhalb der Schachblase, findet Jan Henric Buettner, der das Turnier an der Ostsee organisiert. "Mit diesen Namen kann ja niemand außerhalb der Schachwelt etwas anfangen", sagt Buettner. Er wolle Schach aber für ein neues Publikum machen, mit mehr Spektakel um den eigentlichen Sport herum. Deshalb hat sich Buettner den Namen "Freestyle Chess" ausgedacht und gleich patentieren lassen. Läuft alles wie geplant, soll es vom Turnier weitere Auflagen geben, Buettner schweben ähnliche Turniere in Indien und den USA vor.
Das deutsche Toptalent Vincent Keymer
Carlsens enorme Macht
Der Rest des Turniernamens ist eine Hommage an den "G.O.A.T.", also den "Greatest of All Time". Gemeint ist Carlsen, für viele der beste Schachspieler aller Zeiten. Er wird herausgefordert, ihn gilt es zu schlagen. Buettner gibt offen zu, dass Carlsen die Spieler für das Turnier selbst auswählen und einladen durfte - ein weiterer Beleg für die enorme Macht Carlsens, der auch ohne Weltmeister-Titel noch immer die Nummer 1 der Schachwelt ist und das klare Aushängeschild des Sports.
Seit Jahren liegt Carlsen mit dem Weltschachverband FIDE im Clinch. Der Norweger wünscht sich einen schnelleren, anderen Modus für die Weltmeisterschaft, wo wochenlang Partien mit einer langen Bedenkzeit ausgetragen werden.
Puls der Spieler wird gemessen
An der Ostsee gibt es nun die von ihm gewünschte Mischung aus kurzer und langer Bedenkzeit. Auch sonst läuft vieles anders als sonst. Alle Spieler tragen während der Spiele Uhren, um den Puls zu messen. Ob dieser bei einem Patzer, im Schach "Blunder" genannt, auf 180 hochschnellt?
Die Partien werden von der Schönheitskönigin aus Angola ausgelost, die Buettner ebenfalls hat einfliegen lassen. Er hat für das Turnier laut eigener Auskunft mehr als eine Million Euro investiert.
Außerdem gibt es eine "Confession Box", eine kleine abgeschottete Kabine, in der die Spieler während der Partien Kontakt mit den Zuschauern an den Bildschirmen aufnehmen können - um diese an den eigenen Gedanken teilhaben zu lassen, auf eigene Fehler oder einen Patzer vom Gegner hinzuweisen. Eine vielversprechende Idee, die es vor vielen Jahren schon einmal bei Turnieren gab, die anschließend aber unerklärlicherweise nie wieder aufgegriffen wurde.
20 Millionen Menschen sollen erreicht werden
Turnierdirektor Buettner findet es "traurig", wie Schachturniere in der Öffentlichkeit bisher präsentiert werden. Nun will er, der es als Unternehmer mit dem Verkauf von AOL Europe früh zu einem Millionenvermögen gebracht hat, es selbst besser machen. Buettner hofft auf eine Reichweite von 20 Millionen Menschen bei seinem Turnier. Sollte das gelingen, kann er sich vorstellen, in weitere Turniere und das deutsche Schach zu investieren. Vielleicht findet sich an der Ostsee so auch noch ein neuer Sponsor für Toptalent Keymer, der schon länger Unterstützung sucht. Buettner möchte mit ihm das Gespräch suchen.
Er ist nicht der erste Mäzen, der vollmundig ein eigenes Turnier organisiert. Jetzt muss er beweisen, dass er mit einem Weltklasse-Spielerfeld das schafft, was er sich vorgenommen hat: "Es soll das beste Turnier aller Zeiten werden!"