WDR-Sport Granit Xhaka - Kopf und Herz der Schweizer Nationalmannschaft
Granit Xhaka hat Bayer 04 Leverkusen in der Fußball-Bundesliga zum ersten Double der Vereinsgeschichte verholfen. Jetzt will er auch die Schweiz bei der EM zum Erfolg führen. Dabei wäre er beinahe gar kein Schweizer geworden.
Dass Bayer Leverkusen in der vergangenen Saison deutscher Meister und Pokalsieger geworden ist, hat auch etwas mit dem SC Union Nettetal zu tun - einem Oberligisten aus dem Kreis Viersen im Regierungsbezirk Düsseldorf. Dort hat Leverkusens Mittelfeldspieler Granit Xhaka seine Praxisstunden für den Trainerschein absolviert und schaut auch heute noch öfter in Nettetal vorbei.
Denn der Schweizer Nationalspieler hat beim Oberligisten viel gelernt. "Mein Spiel hat sich komplett verändert, seitdem ich den Trainerschein mache", sagte er dem "DFL-Magazin". "Ich sehe hundertprozentig mehr vom Spiel. Ich denke nun viel, viel weiter als nur bis zum nächsten Pass oder zum nächsten Zweikampf. Ich verstehe, was der Pass oder der Zweikampf auslösen werden. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, sage ich: Ich hätte viel früher mit der Trainerausbildung anfangen müssen. Sie hat mein Spiel besser gemacht."
Xhaka hob Leverkusens Spiel auf ein neues Level
Schon vor der Spielzeit wurde der vom FC Arsenal aus London gekommene Schweizer als Bayers Königstransfer bezeichnet. Und das war nicht übertrieben. Denn auch dank seiner in Nettetal erlernten Fähigkeiten hob Xhaka das Leverkusener Spiel auf ein neues Level und war somit neben Trainer Xabi Alonso einer der Hauptgründe für den Erfolg. Als Antreiber und Taktgeber im defensiven Mittelfeld orchestrierte er Bayers Offensive und strukturierte die Defensive.
"Sein Spielverständnis ist top, er hat einen großen Einfluss, kommuniziert viel mit den anderen Spielern und diese vertrauen ihm. Es ist viel einfacher, mit Spielern wie Granit zu trainieren", sagte Alonso einst über seinen Regisseur. "Er versteht, was wir in jedem Moment brauchen. Und wenn wir so einen Spieler haben, ist es einfacher, mehr Kontrolle und Stabilität zu haben. Granit hat diese Rolle vom ersten Tag an angenommen. Er hilft auch den jungen Spielern, besser zu werden."
Xhaka "wichtigster Spieler" der Schweizer Mannschaft
Diese Qualitäten weiß auch Murat Yakin zu schätzen. "Er ist unser wichtigster Spieler", sagte der Trainer der Schweizer Nationalmannschaft. "Er ist Kapitän. Er führt die Mannschaft an. Man sieht bei jedem Training, dass er gewinnen möchte. Diese Fähigkeit und diese Qualität bringt in jeder Mannschaft einen Mehrwert." Schon im Juni 2011, im Alter von 19 Jahren, gab der in Basel geborene Xhaka sein Debüt für die Schweizer Nationalmannschaft. Seit Herbst 2020 ist er Kapitän. Mit 124 Einsätzen ist er der Rekordnationalspieler der Schweiz.
Dabei wäre Xhaka beinahe gar kein Schweizer geworden. Seine Eltern sind Kosovo-Albaner. In den 1980er-Jahren nahmen im heutigen Kosovo die Spannungen zwischen Serben und Albanern dramatisch zu. Weil sein Vater Ragip Xhaka im kommunistischen Jugoslawien gegen die Regierung demonstrierte, wurde er 1987 verhaftet und landete ohne Gerichtsverfahren im Gefängnis. Drei Jahre saß er dort, bis Amnesty International seine Freilassung erwirkte und ihm half, aus dem Kosovo zu fliehen.
Basel für Xhakas Eltern eigentlich nur Zwischenstation
"Meine Eltern wollten nach Schweden", sagte Xhaka, "in Basel machten sie Zwischenstation bei kosovarischen Bekannten meiner Großmutter." Und blieben. 1991 kam ihr erster Sohn Taulant zur Welt, 1992 folgte Granit. "Wenn meine Eltern nicht aus dem Kosovo geflohen wären, wäre ich heute niemals der, der ich bin", sagt Xhaka heute. "Dort wäre ich nie Fußballprofi geworden. Keine Chance. Deshalb bin ich meinen Eltern genauso wie der Schweiz sehr dankbar."
Nachdem er die Jugendmannschaften des FC Basel durchlaufen hatte, wurde Xhaka 2010 zum Profi. Der internationale Durchbruch gelang ihm zwei Jahre später, als er für rund 8,5 Millionen Euro zu Borussia Mönchengladbach wechselte. Vier Jahre lang trug er das Trikot der Borussia und schwang sich schon hier zum unverzichtbaren Taktgeber im Mittelfeld auf. 2016 wechselte er dann für die damalige Gladbacher Rekord-Einnahme von 45 Millionen Euro nach England zu FC Arsenal.
Deutschland für Xhaka ein "zweites Zuhause"
Zwei Mal gewann er mit den Gunners den FA Cup und schrammte in der Saison 2022/23 nur denkbar knapp an der englischen Meisterschaft vorbei. Nach dem Ende seines Vertrages in London schloss er sich dann Bayer Leverkusen an und prägte eine Erfolgsgeschichte. "Deutschland ist für mich wie ein zweites Zuhause. Schon vor meinem Transfer zu Bayer sagte ich zu meiner Frau, dass ich eigentlich unbedingt zurückkehren möchte. Im Moment der Unterschrift wusste ich genau: Hier bin ich zu Hause. Ich habe entscheidende Jahre meiner Karriere in diesem Land verbracht. Deutschland gibt mir etwas Besonderes. Wir fühlen uns hier wohl", sagte Xhaka gegenüber dem Portal "Südostschweiz".
Dass die Europameisterschaft in Deutschland stattfindet, ist für den 31-Jährigen deshalb etwas Besonderes. "Mich macht schon stolz, hier eine EM spielen zu dürfen. Ich kenne jeden Stadionwinkel, ich weiß, wie viele Fans aus der Schweiz anreisen werden. Die Familie ist in der Nähe. Es wird einmalig sein", sagte er.
Xhakas EM-Ziel: Gruppenphase überstehen
Dazu kommt, dass die Schweiz im letzten Gruppenspiel sogar auf die deutsche Mannschaft trifft. Viele Gedanken darüber macht sich Xhaka aber nicht: "So weit will ich gar nicht denken und jetzt etwas Falsches sagen. Deshalb halte ich mich an unser Credo bei Leverkusen - Spiel für Spiel. Aber klar, es wird ein spezieller Moment sein." Auch was mögliche EM-Ziele angeht, hält sich der Schweizer zurück: "Ziel Nummer 1: die Gruppenphase überstehen. Sollten wir das nicht schaffen, wäre es enttäuschend. Kommen wir weiter, nehmen wir Step by Step."
Los geht es für die Schweiz am 15. Juni mit der Partie gegen Ungarn, vier Tage später steht das Spiel gegen Schottland an, ehe am 23. Juni die DFB-Elf wartet.