Missbrauchsvorwürfe im Turnen DTB-Vorstandsvorsitzender Kalle Zinnkann: "Berichte erschrecken uns sehr!"
Nach schweren Vorwürfen zahlreicher Turnerinnen will sich der Deutsche Turner-Bund (DTB) um Aufklärung und Besserung bemühen. Vorstandsvorsitzender Kalle Zinnkann im exklusiven Interview.
Die Missbrauchsvorwürfe im deutschen Turnen schlagen weiterhin hohe Wellen. Zahlreiche Athletinnen haben sich auch gegenüber SWR Sport zu Wort gemeldet und über ihre Erfahrungen mit Trainerinnen und Trainern sowie anderen Verantwortungsträgern gesprochen: Es geht um Drohungen, Demütigungen, Machtmissbrauch und um eine zentrale Frage: Wieso hat der Deutsche Turner-Bund nicht reagiert? Antworten hierauf gibt der DTB-Vorstandsvorsitzende Kalle Zinnkann im Gespräch mit SWR Sport und dem MDR.
SWR Sport: Kalle Zinnkann, wann haben der Deutsche Turn-Bund und der Schwäbische Turnbund zum ersten Mal von den Vorwürfen gehört?
Kalle Zinnkann: "Zu den Vorwürfen am Bundesstützpunkt Stuttgart haben wir zum ersten Mal über 'Anlauf gegen Gewalt' (Initiative von Athleten Deutschland, der unabhängigen Athletenvertretung der deutschen Kaderathlet*innen, Anm. d. Red.) im Juli 2024 eine Meldung bekommen. Die war komplett anonym. Und im Oktober 2024 ging dann direkt eine Meldung beim Deutschen Turner-Bund ein, so dass ein Interventionsverfahren bei DTB und STB gestartet werden konnte."
Es ging schon vor drei Jahren ein Brief an den DTB und zwar von Tabea Alt. Warum wurde nicht reagiert?
Der Deutsche Turner-Bund hat unmittelbar reagiert und hat mit Tabea Alt Kontakt aufgenommen und den Austausch gesucht. Ihre Meldung über Missstände wurde im Projekt 'Leistung mit Respekt' (Initiative des Deutschen Turner-Bundes, bei der es darum geht, respektvollen und gewaltfreien Leistungssport zu gewährleisten, Anm. d. Red.) verarbeitet. Und daneben hat auch der Schwäbische Turnerbund Maßnahmen am Bundesstützpunkt ergriffen.
Warum gibt es trotz alledem aktive Sportlerinnen, die ähnliche, wenn nicht sogar gleiche, Missstände anprangern. Wurde da nicht kontrolliert, was durchgeführt wird?
Es ist aktuell so, dass wir diesen Vorwürfen nachgehen und die Gespräche, die wir bisher geführt haben, zeigen da ein sehr differenziertes Bild. Aber, ganz klar ist: Wir müssen unsere Maßnahmen überprüfen.
Sind Sie überrascht über die Anzahl der Turnerinnen, die sich jetzt gemeldet haben und ähnliche Vorwürfe in der Öffentlichkeit äußern?
Zu erst einmal ist es richtig und wichtig, dass sich die Athletinnen äußern. Wir haben den Prozess 'Leistung mit Respekt' vor drei Jahren angestoßen, damit wir die Missstände, die uns bekannt wurden, abschaffen können. Aber leider müssen wir sagen: Wir sind da noch nicht so weit und die einzelnen Berichte erschrecken uns sehr. Schnelligkeit ist an dieser Stelle vielleicht erstmal auch das Falsche. Wir wollen einen sauberen Prozess, das muss sauber aufgearbeitet werden.
Was kann der DTB machen, um weiteren Schaden abzuwenden?
Der DTB wird einen Aufarbeitungsprozess starten, um zu schauen, ob die beschlossenen Maßnahmen aus der Vergangenheit ausreichend waren, welche angepasst werden müssen und ob weitere Konsequenzen gezogen werden müssen. Dazu werden wir auch die Athletinnen und Athleten miteinbinden.
Die ehemalige Turnerin Janine Berger fordert eine Überprüfung des gesamten Systems - und zwar von einer unabhängigen externen Kommission. Wäre das für Sie ein Entgegenkommen in Richtung der Athletinnen?
Das ist die einzige Möglichkeit, die wir haben. Wir sind aktuell dabei, uns über das Prozess-Design, die Zusammensetzung einer Aufarbeitungs-Kommission und den genauen Auftrag, den diese Kommission haben wird, zu verständigen. Das Wichtige ist: In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Aufarbeitungs-Kommissionen, die mit rechtlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten. Und das möchten wir an dieser Stelle ausschließen.
Wäre es eine Idee, ehemalige Spitzensportlerinnen in solche Positionen zu benennen - wie zum Beispiel Elisabeth Seitz oder Kim Bui?
Das ist nicht nur eine Option, das ist auch in der Vergangenheit bereits passiert, dass wir Athletinnen und Athleten eingebunden haben. So war unter anderem Kim Bui als damalige Athletensprecherin Teil der Steuerungsgruppe 'Leistung mit Respekt' und wir haben Athletinnen und Athleten auch in den Arbeitsgruppen integriert. Wir haben seit unserem Strukturprozess 2023 auch einen Athletenvertreter, der direkt im Präsidium des Deutschen Turner-Bundes sitzt. Also wir scheuen uns nicht und werden das auch in Zukunft machen, die Athleten hier verstärkt miteinzubinden.
Sendung am So., 12.1.2025 22:05 Uhr, SWR Sport, SWR