
Eisschnelllauf Zum Karriereende von Deutschlands erfolgreichster Eisschnellläuferin: In Ewigkeit, Pechstein
Eisschnellläuferin Claudia Pechstein beendet mit 53 Jahren ihre Karriere. Trotz aller Kontroversen hinterlässt die Berlinerin ein ziemlich eindeutiges Erbe. Von Ilja Behnisch
Wie außergewöhnlich die Karriere der Eisschnellläuferin Claudia Pechstein (53) verlaufen ist, lässt sich leicht erklären. Denn allein mit der Auflistung der 57 Goldmedaillen, die Pechstein in ihrer langen Karriere bei nationalen und internationalen Meisterschaften gewonnen hat, ließe sich ein ganzer Artikel füllen. Und doch wird nicht bei jedem, dem ihr Name etwas sagt, sofort die sportliche Erinnerung überwiegen. Denn Claudia Pechstein war immer wieder auch Gegenstand von Streitigkeiten. Die größte und langwierigste Auseinandersetzung beginnt 2009 und mit auffälligen Werten (zur ausführlichen Chronologie).
Die Kurzform geht so: Gesperrt vom Eislauf-Weltverband (ISU) wegen Blutdopings. Allerdings ohne Nachweis, ohne positive Dopingprobe. Nur anhand von Indizien. Ein erhöhter Anteil an Retikulozyten im Blut wurde ihr zum Verhängnis. In der Folge streiten sich die Experten. Die einen, wie der Heidelberger Professor Werner Franke, erklären, Werte wie bei Pechstein kämen in der Natur nicht vor. Andere, wie der Kölner Dopinganalytiker Wilhelm Schänzer, sind der Auffassung, Doping könne ihr so nicht nachgewiesen werden.

Pechstein "muss als Opfer gelten"
Im März 2010 schließlich kommt eine Expertengruppe der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) nach einer Untersuchung Pechsteins zum Ergebnis, dass eine genetische Blutanomalie für die immer wieder schwankenden und eben auch erhöhten Werte zuständig sei. Eine Anomalie, die auch schon Pechsteins Vater aufgewiesen habe.
Die Richter des Internationalen Sportgerichtshofs aber sehen das im November des Vorjahres noch anders. Sie bestätigen das Urteil des Eislauf-Weltverbandes mit der Begründung, Pechsteins Werte seien im Vergleich zur allgemeinen Bevölkerung in Europa, im Vergleich zu anderen Spitzenläuferinnen und auch im Vergleich zu ihren eigenen Werten abnormal.
Es ist der Beginn einer riesigen Prozess-Lawine, die 16 Jahre dauert und erst im März 2025 zu einem Ende gebracht wird. Auch wenn etwa Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, schon 2015 und nach Einsetzung einer Expertengruppe erklärte, Claudia Pechstein müsse als Opfer gelten, bei dem man "nur um Entschuldigung bitten" könne.
"Eleganz und Konstanz"
Für Pechstein müssen diese 16 Jahre ein enormer Kraftakt und auch Spagat sein. Denn auf der einen Seite ist sie direkt nach Ablauf ihrer Zwei-Jahres-Sperre im Februar 2011 wieder sportlich erfolgreich. Auf der anderen Seite zehren die andauernden Prozesskosten an ihren finanziellen Mitteln und ihrer Psyche. Im Dezember 2011 spricht sie gegenüber der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" von einem Nervenzusammenbruch und davon, sich zeitweilig sogar mit Selbstmordabsichten getragen zu haben.

Man muss das noch einmal ganz deutlich sagen: Claudia Pechstein hat als unschuldig zu gelten. Als eine Sportlerin, die ihre beispiellose Karriere auf Talent und jede Menge Fleiß aufgebaut hat. Und nichts anderem. Eine Sportlerin, die mit fünf Olympiasiegen (1994, 1998, 2002 und 2006) sowie vier weiteren olympischen Medaillen Deutschlands erfolgreichste Olympionikin bei Winterspielen war, ehe Natalie Geisenberger sie mit ihrem sechsten Olympiasieg ablöste.
Eine Sportlerin, die mit "Eleganz und Konstanz" zugleich überzeugte, die ihren bewundernswerten Laufstil bis zur Ziellinie beibehielt, "wenn andere längst mit den Armen rudern", wie der "Berliner Tagesspiegel" einmal notierte. Eine Sportlerin, deren wahre Meisterschaft darin bestand, "alle vier Jahre auf den Punkt topfit zu sein", wie die Zeitung "Die Welt" schrieb. Eine Sportlerin, die bei aller Konstanz auf dem Eis zumindest in ihrer Außenwahrnehmung einen Wandel durchmachte.
Zoff mit Konkurrentinnen
Das "Image einer verkniffenen DDR-Athletin" attestierte ihr das Magazin "Der Spiegel" für den Beginn ihrer Karriere. Und vielleicht steckt darin auch eine Wahrheit darüber, weshalb Pechstein ohne Dopingbefund wegen Dopings gesperrt wurde. Weil sie zwar erst 1991, also nach der Wiedervereinigung, ihr Weltcup-Debüt gab. Aber als 1972 in Berlin-Marzahn geborene Athletin eben doch noch als DDR-Produkt gelten konnte.
Vielleicht lagen die Image-Probleme aber auch an den zahlreichen Auseinandersetzungen, die Pechstein vor allem zu Beginn ihrer Karriere mit der nationalen Konkurrenz zu führen pflegte. Über ihr Verhältnis zur dreifachen Olympia-Siegerin Annie Friesinger etwa sagte sie 2002: "Anni und ich, wir respektieren uns. Aber es ist nicht so, dass ich mit ihr Kaffee trinken gehen möchte."
Eisschnelllauf-Legende Gunda Niemann-Stirnemann ignorierte Pechstein nach mehreren Verbal-Spitzen gar für ein halbes Jahr komplett. Pechstein hatte im Zuge der Olympischen Spiele über Niemann-Stirnemann gesagt, dass diese nicht verlieren können und ihre Zeit vorbei sei. In ihrer Biografie beschrieb Pechstein ihre große Konkurrentin von einst später als "verbissenste Sportlerin", die sie je kennengelernt habe.
Aber auch die "späte" Pechstein war noch für Kontroversen gut. So wie Ende Oktober 2019, als sie sich mit dem neu berufenen Bundestrainer Erik Bouwman überwarf und sich in der Folge der Trainingsgruppe der polnischen Nationalmannschaft anschloss.
Ein eindeutiges Fazit
Man könnte noch viel mehr über diese Claudia Pechstein erzählen. Von ihren Anfängen als Eiskunstläuferin. Von ihrer Ausbildung als Industriekauffrau. Von ihrem gescheiterten Versuch, sich als Bahnradsportlerin für die Olympischen Spiele 2012 zu qualifizieren. Von ihren Erfolgen im Inlineskaten (2014 Europa- und Weltmeisterin ihrer Altersklasse über die Marathondistanz). Von ihrem gescheiterten Versuch, für die CDU im Bundestagswahlkampf 2021 ein Direktmandat im Bezirk Berlin-Treptow-Köpenick zu erlangen. Oder davon, dass sie auch mit 53 wahrscheinlich noch zu den schnellsten ihrer Sportart weltweit zählt.
Vielleicht aber ist es am Ende dieser außergewöhnlichen Karriere am besten, noch einmal zu benennen, als was sie vor allem erinnert werden sollte: Als eine der erfolgreichsten Eisschnellläuferinnen aller Zeiten.
Sendung: rbb24 Inforadio, 10.03.2025, 12:15 Uhr