Hertha-Spieler Fabian Reese feiert Treffer gegen Hansa Rostock (Quelle: IMAGO / Matthias Koch)

Analyse | Herthas 4:0 gegen Rostock Herthas 4:0-Sieg gegen Rostock in der Analyse: Wie ein Aufsteiger

Stand: 13.04.2024 08:19 Uhr

Hertha BSC gewinnt gegen Hansa Rostock mit 4:0 und zeigt dabei eine der besten Saisonleistungen. Die Handgriffe von Trainer Pal Dardai zeigten Wirkung – vor allem die Hereinnahme eines bestimmten Spielers. Von Marc Schwitzky

"Eigentlich liegt uns Rostock als sehr körperlicher Gegner nicht, da können wir zeigen, dass wir uns weiterentwickeln. Ich denke, wir werden viel Ballbesitz haben", prognostizierte Pal Dardai, Trainer von Hertha BSC, vor Spielbeginn am "Sky"-Mikrofon. Tatsächlich wogen Herthas Defizite in der laufenden Saison – das ruhige Spiel mit Ball – vor allem gegen die tabellarisch unteren Mannschaften am schwersten. Gegen tiefstehende Gegner Lösungen zu finden, war bislang eines der größten Probleme der Berliner.
 
So setzte es gegen Aufsteiger Wehen Wiesbaden gleich zwei Niederlagen. Gegen einen anderen Aufsteiger, den VfL Osnabrück, kam Hertha nicht über ein müdes 0:0 hinaus. Im Rückspiel gegen Eintracht Braunschweig zeigten die Blau-Weißen zu wenig, um über ein 1:1 hinauszukommen. Und auch im Hinspiel gegen Hansa Rostock war Hertha nicht in der Lage, ein Abwehrbollwerk spielerisch zu knacken – 0:0 hieß das maue Endergebnis.

Am Freitagabend kam es zum Wiedersehen des Hertha-Dampfers und der Rostocker "Kogge". Am Ende des Spiels sollte nur noch ein Schiff stabil auf dem Wasser gleiten, während das andere droht, endgültig zu kentern – das lag maßgeblich an den Handgriffen von Hertha-Kapitän Pal Dardai.

Herthas Fabian Reese jubelt (imago images/Matthias Koch)
Spielfreudige Hertha siegt und schielt nach oben

Erst sah man gar nichts, dann ein bärenstarkes Hertha BSC. Beim 4:0-Erfolg am Freitagabend im stimmungsvollen Duell gegen Hansa Rostock überzeugten dabei vor allem zwei junge Spieler.mehr

Das richtige System

Ein beherrschendes Thema im Vorfeld der Begegnung war die Frage nach der richtigen Besetzung im Hertha-Zentrum. Seit Saisonbeginn ist das defensive Mittelfeld der Berliner eine Operation am offenen Herzen, Spieler um Spieler, Pärchen nach Pärchen wird ausprobiert. Bislang hatten gleich sieben Profis die Chance, sich dort festzuspielen – keinem außer Pascal Klemens ist es nachhaltig gelungen. Doch nun fehlte auch noch das Eigengewächs verletzt.
 
Eine neue Lösung musste her – und Trainer Dardai fand sie mit Deyovaisio Zeefuik. Der gelernte Rechtsverteidiger wurde gegen Rostock vom Ungarn als alleiniger Sechser aufgestellt. Hertha agiert nicht, wie zuletzt gewohnt, im 4-2-3-1 mit Doppelsechs, sondern im 4-3-3 mit nur einem klaren defensiven Ankerspieler und zwei Achtern. Es sollte sich zeigen, dass Hertha in jener Formation vermutlich besser aufgehoben ist.

Schlüsselspieler Zeefuik

"Deyo hat uns gerettet" – diese Aussage über Zeefuik hat Trainer Dardai in den zwei vorherigen Partien gleich mehrfach bemühen müssen. Sowohl gegen den 1. FC Nürnberg (3:3) als auch den SC Paderborn (2:3) wurde der Niederländer im Laufe der Begegnung eingewechselt. Und jeweils sollte seine Hereinnahme entscheidenden Einfluss auf den weiteren Spielverlauf haben. Fehlte es Herthas Zentrum zuvor nach an Aggressivität und Tempo gegen den Ball, war da nun plötzlich ein defensiver Instinktfußballer, der seine Gegner im Zweikampf reihenweise auffraß und dem Ball wie ein junger, wilder Welpe hinterherjagte. "Deyo Zeefuik ist unser aggressivster Spieler im Team, ich kann ihn immer reinbringen", so Dardai zuletzt.
 
Und so war Zeefuiks Stunde gegen Hansa Rostock gekommen, er durfte nun erstmals seit dem 11. Spieltag von Beginn an auf der Sechs spielen. Er sollte erneut zu Herthas Retter werden, er war wie das bislang fehlende Puzzlestück dieser Mannschaft. Gegen den Ball brachte der 26-Jährige seine Aggressivität, Dynamik und sein defensives Gespür ein – er eroberte Ball um Ball, erstickte Rostocks Umschaltversuche wieder und wieder im Keim. So wurde ein großes Defizit Herthas – die Rückwärtsbewegung – auf einmal zu einer echten Stärke. So konnten die Hauptstädter viel mehr Druck entwickeln.

Aymen Barkok (l.) und Deyovaisio Zeefuik (r.) gewinnen gemeinsam für Hertha BSC den Ball. (Foto: IMAGO / osnapix)

War gegen Hansa Rostock wieder überall: Herthas Deyovaisio Zeefuik (r.)

Doch auch mit Ball war Zeefuik wichtig, denn durch seine tiefere Position erlaubte er Herthas beiden Achtern, sich freier auf dem Feld zu bewegen. So hatten Palko Dardai und Aymen Barkok die Möglichkeit, immer wieder die Halbräume anzusteuern, sich aus Rostocks Manndeckung zu lösen und so den Berliner Spielaufbau kreativ anzukurbeln. Zeefuik beschränkte sich auf einfache Kurzpässe, und das reichte. Bei den Blau-Weißen ergab sich so eine völlig neue Struktur mit Ball, die in Lehrbuchdreiecken und somit zahlreichen, wunderbar ausgespielten Angriffen mündete. Plötzlich war Herthas Spiel mit Ball nicht mehr zäh, sondern kreativ, dynamisch und für Gegner kaum einzufangen.

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Hertha überrollt Rostock

Mit Zeefuik als defensivem Staubsauger und Möglichmacher für das saubere Ballbesitzspiel schöpfte Hertha erstmals seit Monaten sein volles Potenzial aus. Das flüssige Zusammenspiel ermöglichte, dass die Berliner immer wieder ihre talentierten Unterschiedsspieler auf den Außenbahnen – Fabian Reese und Marten Winkler – freispielten. Doch auch hier hatte sich Coach Dardai etwas einfallen lassen, denn er antizipierte richtig, dass Rostock es wie die letzten Kontrahenten versuchte, Schlüsselspieler Reese aus dem Spiel zu nehmen. Doch wo viele Rostocker Spieler sind, fehlen auf der anderen Seite welche – und so wurde immer wieder Flügelpendant Winkler durch clevere Seitenverlagerungen gesucht.
 
So war es kein Wunder, dass das formstarke Eigengewächs sowohl das 1:0 (18. Minute) als auch das 3:0 (59. Minute) vorbereitete. Jene Angriffe hatten System – etwas, das in der laufenden Saison oftmals noch fehlte. Und so agierte die "alte Dame" in den 90 Minuten gegen Rostock regelrecht wie ein Spitzenteam – wie ein Aufsteiger. Defensiv höchst souverän, was auch an Dardais weiterem Schachzug – Marc-Oliver Kempf spielte überraschend von Beginn und machte seine Sache hervorragend – lag. Offensiv mit vielen sehenswerten Kombinationen, einstudierten Mustern und der ohnehin vorhandenen individuellen Qualität. Und hinten heraus die nötige Ruhe, um den Spielstand noch auszuauen und das Spiel über die Ziellinie zu bringen.
 
Das 4:0-Endergebnis war in der Höhe verdient und Ausdruck eines Klassenunterschieds – Hertha überrollte Rostock. Ein Spiel, das zeigt, was möglich ist.

Dardai sammelt Argumente für sich

Der Heimsieg am Freitagabend war zweifelsohne einer der besten Saisonleistungen der Herthaner. Selten griffen so viele Zahnräder ineinander, selten gingen so viele Ideen von Trainer Dardai gleichzeitig auf. Wehrmutstropfen sind nur, dass der verunsicherte Gegner Rostock zuweilen kein allzu großes Hindernis darstellte und die Berliner es erneut nicht abstellen konnten, zu Beginn der zweiten Halbzeit etwas zu passiv zu agieren und so den Gegner beinahe wieder in die Partie zurückholten. "Es war einfach ein geiler Abend mit der vollen Hütte, der Spaß gemacht hat. Wir haben es gut im Ballbesitz gespielt und sind ruhig geblieben", fasste es Doppeltorschütze Palko Dardai zusammen.

Pal Dardai, Cheftrainer von Hertha BSC (re.) | Quelle: IMAGO / Beautiful Sports
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Schon seit längerem existiert die Debatte, ob Trainer Dardai mehr als "nur" Stabilisieren und ein echtes Offensivkonzept, das einer Aufstiegsmannschaft würdig ist, entwickeln kann. In den vergangenen Tagen ist jene Debatte nahezu eskaliert – die Vokabel "Konzept" wurde im und um den Verein kontrovers diskutiert. Für den Kantersieg gegen Rostock ist festzuhalten, dass Dardai ein klares Konzept hatte und es auch aufgegangen ist. "Man hat die Entwicklung gesehen", bescheinigte Sportdirektor Benjamin Weber.
 
Weber wird die Entscheidung treffen müssen, ob es auch in der kommenden Saison mit Dardai als Cheftrainer weitergehen wird. Dafür wird es bis Saisonende weitere solcher Auftritte brauchen, Rostock darf keine weitere Eintagsfliege gewesen sein – womöglich stellt sich dann gar keine Trainerfrage mehr. Und womöglich ist das letzte Wort bei Zeefuik, dessen Vertrag im Sommer ausläuft und der den Verein verlassen soll, auch noch nicht gesprochen.

Sendung: rbb24 Der Tag, 13.04.2024, 18 Uhr