Bruno Labbadia, zu Corona-Zeiten Trainer von Hertha BSC (imago images/Poolfoto)
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Geisterspiele und der schöne Bruno Erinnerungen an die Bundesliga zu Corona-Zeiten

Stand: 22.03.2025 08:05 Uhr

Heute vor fünf Jahren kam im Zuge der Corona-Maßnahmen mit dem öffentlichen Leben auch der Fußball zum Erliegen. Und doch hatte diese Zeit auch Vorzüge.

Als Deutschland am 22. März 2020 in seinen ersten Lockdown ging, war der Fußball bereits in der Corona-Pause. Zwei Wochen zuvor hatte Hertha BSC noch gespielt, im heimischen Olympiastadion, vor 58.000 Zuschauern gegen Werder Bremen (2:2). Der Ausgleichstreffer zum Endstand durch Matheus Cunha fiel in der 60. Minute. Ein brasilianischer Nationalspieler in Blau-Weiß. Ein Weltklasse-Fußballer. Auf Vorlage von Maximilan Mittelstädt, der erst deutlich später und fernab seiner Heimat Berlin zum deutschen Nationalspieler werden sollte.
 
Und nun entscheiden Sie bitte selbst, was ihnen aus heutiger Sicht absurder scheint: Hertha BSC im Mittelfeld der Bundesliga-Tabelle, gespickt mit vielen dieser sehr guten Spieler. Oder das grundsätzliche Verbot von Ansammlungen mit mehr als zwei Menschen.

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Als Deutschland am 22. März 2020 in seinen ersten Corona-Lockdown ging, hatte man in Berlin eigentlich damit gerechnet, über ganz andere Dinge reden zu können. Über das zweite Hauptstadtderby der Bundesliga-Geschichte zum Beispiel. Hertha-Union, angesetzt für den Tag zuvor.

Was wäre wenn?

Faktisch könnte man sich daran erinnern, dass der Trainer der Hertha bei diesem Spiel wohl noch Alexander Nouri geheißen hätte. Nouri war eigentlich als Co-Trainer eingeplant gewesen für die Spielzeit 2019/20. Doch nachdem Chef-Trainer Klinsmann im Februar ein fröhliches "Ha Ho He, Euer Jürgen" in ein Facebook-Live geschwäbelt hatte und seiner vermeintlichen Lebensaufgabe Hertha ohne Mehrwert entschwand, durfte sich Nouri versuchen. Ehe er Anfang April entlassen wurde, inmitten der Spielpause.
 
Wer weiß schon, was gewesen wäre wenn? Wenn er an diesem 21. März gegen Union hätte spielen dürfen. Wenn er gewonnen hätte und fortan auch. Wäre die Hertha heute noch immer Bundesligist?
 
Ansonsten sind Erinnerungen ja so eine Sache. Nehmen wir zum Beispiel einen Test des WDR-Wissenschaftsmagazin "Quarks", der aufzeigt, wie leicht sie zu manipulieren sind. Dort heißt es: "Katarina hat noch nie in ihrem Leben auf einem Elefanten gesessen. Wir fälschen ein Kindheitsfoto von ihr – und nach einigen Gesprächen erinnert sie sich sogar an Details des Elefantenritts. Details, die nie passiert sind."

Fußball als Super-Spreader

Erinnerungen sind wie eine fortwährend mitgeschleppte Therapie für unseren Geisteszustand. In ihnen werden schöne Momente verstärkt und die schrecklichen verblassen oder verschwinden ganz, damit sie nicht ewig als Ballast in unserem Seelen-Haushalt herum liegen. Und natürlich hängen Erinnerungen auch daran, wie wir Dinge überhaupt wahrnehmen. Weshalb in diesen Text nun das Ich einzieht. Denn ganz sicher erinnern Sie sich an das alles ganz anders.
 
Für den Fußball zu Corona-Zeiten erinnere ich mich zunächst an mein absolutes Verständnis dafür, die Bundesliga auszusetzen. Gerade auch, weil sie so viele Zuschauer anzieht und die Spiele zu sogenannten Super-Spreader-Events verkamen. So wurde ein Champions-League-Spiel zwischen Bergamo und Valencia am 19. Februar 2020 rückblickend als "Stunde Null" für die dramatische Ausbreitung des Virus in der Stadt betrachtet. Die erst 2021 gespielte Europameisterschaft 2020, bei der Zuschauer wieder zugelassen waren, soll nach Studienlage [tagesschau.de] immer noch etwa 840.000 zusätzliche Infektionen verursacht haben. Der Fußball aber drängte schon zuvor und fortwährend auf Aufrechterhaltung des Spielbetriebs.

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Ganz weit weg und doch so nah wie nie

So sehr ich ihn liebe, so sehr nervt mich seine Sonderstellung. Es nervt mich, dass er andere Sportarten aus der Berichterstattung verbannt und das ihm in seiner Berichterstattung viel zu viel Ernsthaftigkeit zu Teil wird. Ich finde, Ergebnisse sind nur das Vehikel für Geschichten, die der Sport über das Leben erzählt. Auch deshalb sollte er genauso pausieren wie das restliche Leben.
 
Andererseits bin ich auch süchtig nach Fußball. Weshalb es mich dann doch gefreut hat, dass es Mitte Mai schließlich weiterging mit der Bundesliga, wenn auch ohne Zuschauer, was sich für mich erstaunlich schnell erstaunlich normal anfühlte. So wie sich das Maske-Tragen normal anfühlte und wie sich irgendwann alles normal anfühlt, weil der Mensch vieles ist, aber wohl tatsächlich ganz besonders ein Gewohnheitstier.
 
Bei der Hertha jedenfalls hatte inzwischen Bruno Labbadia übernommen, der gern auch "Der schöne Bruno" genannt wird und das völlig zurecht. Pressekonferenzen fanden nun ausschließlich digital statt. Der schöne Bruno sah in jeder einzelnen der digitalen Pressekonferenzen aus wie frisch geduscht und das blühende Leben.
 
Auch Spieler-Interviews gab es nur digital. Herthas Rechtsverteidiger Lukas Klünter sendete aus seiner Wohnung und erzählte, wie er mit Beginn der Corona-Pandemie (wieder) anfing, Bilder zu malen [sueddeutsche.de]. Eines seiner Werke war hinter ihm zu sehen im Videocall und was soll ich sagen? Wäre es nicht zu unprofessionell gewesen und hätte ich mehr als Geld auf dem Konto gehabt, hätte ich gefragt, was er dafür will. Es war kurios: In einer Zeit, in der man auf Abstand gehen musste, war man den Spielern so näher als zuvor.

Was Corona so aus einem macht

An klassisches Mannschaftstraining war damals nicht zu denken. Erst ging überhaupt nur Heimtraining. Dann durfte in Kleinst-Gruppen geübt werden. Ohne Zweikämpfe. Labbadia aber versprühte immer Optimismus, nahm die Berge an Herausforderungen als Stufen und pflegte einen Umgang in diesen Calls, die einen tatsächlich an das richtige Leben im falschen glauben ließen.
 
Ich habe zuvor und danach keinen so angenehmen, höflichen, ja fast kümmernden Umgang zwischen und unter Trainern und Pressevertretern erlebt wie damals. Seither finde ich jede Kritik an Bruno Labbadia generell anmaßend. Was Corona so aus einem macht!
 
Es gibt diesen viel zitierten Satz des viel kritisierten, damaligen Gesundheitsministers Jens Spahn (CDU): "Wir werden einander viel verzeihen müssen", sagte er über die durch Corona entstehenden Schwere. Beim Fußball kann ich mich nur bedanken.

Sendung: rbb|24 Inforadio, 22.03.2025, 09:15 Uhr