Pokal-Sieg gegen den HSV Hertha BSC: Ein Abend, der bleibt
Hertha BSC und der Hamburger SV haben sich einen unglaublichen Schlagabtausch im DFB-Pokal geliefert. Dass die Berliner als Sieger vom Platz gingen, lag an Herz, Mentalität und gutem Fußball.
Normalerweise wird die Nachbetrachung der Spiele von Hertha BSC dazu genutzt, sie möglichst minuziös zu analysieren. Dabei geht es stets kritisch zu - zu kritisch, wie in der Kommentarspalte öfter mal zu vernehmen ist. Doch ein Fußballspiel ist manchmal auch einfach nur das, was man daraus nach dem Schlusspfiff macht.
Denn das, was Hertha am Mittwochabend gegen den Hamburger SV gezeigt hat, geht über Zahlen und Fakten hinaus. Es war ein Spiel, wie Fabian Reese nach Schlusspfiff sagte, das zeigt, "warum wir den Fußball lieben." Und wir haben den Fußball nicht anhand von Statistiken lieben gelernt.
Hertha zeigt Herz - und guten Fußball
Platz für kritische Analysen wäre zweifelsohne vorhanden. Dass Hertha am Mittwochabend nicht alles richtig gemacht und es an der miesen Chancenverwertung und mangelhafter Abwehrarbeit gekrankt hat, ist wohl unstrittig. Immer wieder fehlte der defensive Zugriff direkt vor dem Strafraum und Herthas Angriffsspiel im ersten Durchgang kannte bis auf wenige Momente einmal mehr nur den langen Ball auf Senkrechtstarter Reese.
Aber: Herthas Leistung am Mittwochabend verdient positive Erzählungen. Angefangen damit, dass sich Trainer Pal Dardai für eine mutige Startelf entschied und so eine Marschrichtung vorgab, die ihm viele nicht zugetraut hätten. Bereits im ersten Durchgang waren ein paar spielerische Akzente zu erkennen, wirklich erblühen sollte Herthas Offensive aber erst im zweiten, genauer ab der 60. Minute, als Bilal Hussein und Smail Prevljak für die blassen Deyvaisio Zeefuik und Tabakovic eingewechselt wurden und aus Hertha urplötzlich eine gut geölte Ballbesitzmaschine wurde.
Auf einmal zeigten die Berliner ansehnlichen, druckvollen Offensivfußball, der das Stadion anzündete und den HSV, der im Liga-Hinspiel noch mehrere Nummern zu groß war (der HSV gewann mit 3:0), ganz klein wirken ließ. Es war dieser Fußball, der Hertha den Glauben schenkte, trotz mehrmaligen Rückstands am Ende noch zu siegen. Plötzlich spielte die Mannschaft mit Herz und Überzeugung.
Reese und Jindaoui wachsen über sich hinaus
Reese, der bereits seit Wochen überlebensgroß wirkt, wuchs noch einmal über sich hinaus. Zwei Tore, eine Vorlage, mehr gewonnene Duelle als Schach-Genie Magnus Carlsen und die Laufleistung eines Forrest Gump. "Er hat die linke Seite auseinandergenommen", bescheinigte ihm Trainer Dardai nach dem Spiel.
Doch all die guten personellen Entscheidungen, taktischen Weiterentwicklungen und ein Reese zum Verlieben wären beinahe vergebens gewesen. In der 102. Spielminute fiel aus dem Nichts das 3:2 für den Hamburger SV, einmal mehr hatte die Abwehr das eingerissen, was die Mannschaft zuvor aufgebaut hatte. Und Hertha? Machte weiter. "Wir haben uns nicht aufgegeben, sind mutig geblieben und haben nie aufgehört", erklärte Sportdirektor Benjamin Weber nach dem Spiel.
Trotz der extremen Drucksituation und schwindender Kraft spielten die Blau-Weißen mit Verstand weiter. Und ein Spieler konnte gar nicht müde sein: Nader El-Jindaoui - "der Influencer". Was für viele einst als Marketing-Gag Herthas begann, mündete nun in einer Geschichte, die vielleicht nur der Fußball schreibt. Jindaoui wurde in der 80. Minute eingewechselt und feierte damit sein Profi-Debüt - mit 27 Jahren. 40 Minuten später - im letzten Angriff des Spiels - leitetete er mit einer herausragenden Seitenverlagerung auf Reese, der anschließend Jonjoe Kenny bediente, das 3:3 ein. Wenig später verwandelte er seinen Elfmeter und schoss damit das erste Profitor seines Lebens.
Diese "Weißt du noch damals, als …?"-Spiele
"Das ist das Krasseste, was mir in meinem Leben passiert ist. Es war wie im Traum. Das ist mein Kindheitstraum, ich bin Berliner Junge. Es ist eine perfekte Geschichte", sagte Jindaoui nach dem Spiel, der nicht wie ein Social-Media-Star wirkte, sondern wie ein kleiner Junge, der den Fußball liebt. Auch allen anderen Beiwohnenden wird diese Pokalpartie in Erinnerung bleiben.
Es gibt so Spiele, die bleiben einfach im Gedächtnis. Diese "Weißt du noch damals, als …?"-Spiele. Hertha produzierte in den vergangenen Jahren nicht allzu viele von diesen Erinnerungen, zumindest nicht in positiver Hinsicht. Doch Partien wie die am Mittwochabend bleiben. Sie werden zu Geschichten, zu Legenden, zu Gründen, die man aufzählt, warum man Anhänger dieses Vereins ist. Fußball ist Theater, Fußball ist Storytelling - und Hertha hat mit dem 8:6 n.E. gegen den Hamburger SV ein dramaturgisches Meisterwerk auf die Bühne gebracht.
Das soll keine unkritische Schönmalerei sein, Hertha hätte das Spiel auch souveräner hinter sich bringen oder sogar verlieren können, doch ein Fußballspiel ist manchmal eben auch einfach nur das, was man nach dem Schlusspfiff daraus macht. Und in Jahren wird man sich nicht an die zahlreichen liegengelassenen Torchancen oder Defensiv-Patzer erinnern, sondern an das packende Elfmeterschießen, Reeses Energieleistung, den strahlenden Spätblüher Jindaoui, das 3:3 in letzter Sekunde und wie laut das Olympiastadion denn tatsächlich werden kann. "Der Support von den Rängen ist wie Benzin in den Adern. Dafür lebt man", philosophierte Reese nach Schlusspfiff. Diese Erinnerungen bleiben, alles andere verblasst.