Werder-Spieler um Torwart Michael Zetterer stehen im Hamburger Millerntor vor dem Fanblock und feiern ausgelassen ihren Sieg.

Interview "Absolut absurd": Wie Torwart Zetterer sein Werder-Jahr erlebt hat

Stand: 29.12.2024 06:00 Uhr

Vor einem Jahr wurde Michael Zetterer über Nacht die Nummer eins bei Werder. Vom Ersatzmann zum Schlüsselspieler – und der Bundestrainer hat ihn nun auch auf dem Zettel.

Von Felix Ilemann und Petra Philippsen

Michael Zetterer hat ein rasantes Jahr hinter sich. Seit er Stammkeeper Jiri Pavlenka ablöste, ist der 29-Jährige aus dem Werder-Tor nicht mehr wegzudenken. Wie er sein turbulentes Jahr erlebt hat, welche Rolle sein Mentaltrainer spielt und warum seine Frau nur äußerst ungern aus Bremen wegziehen würde, erzählt Zetterer im Interview mit buten un binnen.

Sind Sie zufrieden mit der Hinrunde?

Ich glaube, grundsätzlich können wir schon zufrieden sein mit der Punkteausbeute. Wenn man jetzt den Vergleich zum letzten Jahr nimmt, stehen wir ganz ordentlich da. Ich denke trotzdem, dass es in dem einen oder anderen Spiel ein paar zu viele Gegentore gab. Die Ausreißer waren leider da, die hätten wir gerne weglassen können. Dann wäre es eine richtig gute Hinserie, ganz zu Ende ist sie ja noch nicht. Aber das Kalenderjahr war sehr positiv.

Werder-Torwart Michael Zetterer strahlt während eines Interviews in einem Bremer Cafe.

Michael Zetterer kam vor zehn Jahren zu Werder und hoffte darauf die Nummer eins im Bremer Tor zu werden. Vor einem Jahr klappte es.

Warum sind Sie eigentlich Torwart geworden?

Da gab es wohl ein paar Gründe. Für jedes kleine Kind ist Torwart eine Position, die Spaß macht. Ich habe mich dann noch mal ins Feld verirrt, war ganz lange Stürmer in der Jugend – das hat mir fast sogar noch mehr Spaß gemacht. Aber dann hatte ich irgendwann einen Trainer, der meinte, ich wäre im Tor vielleicht besser aufgehoben. Dass ich ein bisschen weniger laufen musste, fand ich gar nicht so schlecht. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht und da bin ich dringeblieben.

Wird man dann im Tor verrückt oder ist man es schon vorher?

Ich glaube, so einen leichten Touch braucht man vorher schon. Und der wurde bei mir in den Jahren dann verstärkt. Diese leichte Verrücktheit, die braucht man einfach.

Warum?

Weil man das ganze Spiel über ziemlich viel alleine und sehr, sehr abgekapselt ist. Man sagt ja nicht umsonst, man ist der Einzelsportler in einem Teamsport. Das ist einfach so. Deswegen braucht man irgendwas Besonderes, um damit klarzukommen und dem mental gewachsen zu sein. Das scheint bei mir ganz gut geklappt zu haben.

Wie viel arbeiten Sie denn mit dem Mentaltrainer?

Mittlerweile sehr viel. Wir haben mit Yasin Seiwasser jemanden im Verein, mit dem viele arbeiten. Er hat mir in den letzten zwei Jahren sehr geholfen. Mit ihm bin ich im regelmäßigen Austausch. Es wird, glaube ich, immer noch ein bisschen unterschätzt, was man da alles machen kann. Dass man eben nicht nur die Muckis im Kraftraum trainiert, sondern auch mental etwas für die Rübe macht.

Wie wirkt sich das im Spiel aus?

Ich habe, wenn es hochkommt, im Spiel 40, 50, vielleicht mal 60 Aktionen. Ein Feldspieler hat teilweise meist über 100. Allein daran ist ja schon zu sehen, dass man als Torwart weniger integriert ist in so einem Spiel. Da ist einfach jede Aktion entscheidend. Jeder Fehler, jede Ballbesitzphase kann entscheidend sein. Deswegen muss man einfach in diesen Aktionen mental bereit sein für alles, was da kommt. Das ist in Spielen besonders wichtig, wie in Bochum oder Darmstadt, wo man lange nichts zu tun hat, und dann kommt trotzdem der eine Ball, der eine Rückpass oder die eine Aktion, wo man da sein muss. Das macht das Torwartspiel aus.

Und auch die Frage: Wann laufe ich aus dem Tor heraus? Gegen Darmstadt lagen Sie einmal falsch.

Meistens ist es eine Entscheidung von Millisekunden. Gegen Darmstadt war es auf jeden Fall die falsche Entscheidung, da raus zu laufen. Da hätte ich nicht hingehen müssen. Aber das ist eben eine Abwägung von Millisekunden, von Metern, Zentimetern. Gehe ich hin, gehe ich nicht hin? Hier war es die falsche Entscheidung, aber ich glaube, im letzten Jahr hat man viele richtige Entscheidungen gesehen.

Werder-Torwart Michael Zetterer wirft sich zur Seite, um den heranfliegenden Ball zu parieren.

Michael Zetterer hat in 15 Spielen 25 Gegentore kassiert. Für den Geschmack des Werder-Keepers waren es ein paar zu viel.

Wie schnell können Sie so etwas abhaken?

Wir analysieren das Positive und das Negative und spätestens dann ist es endgültig abgehakt. Aber im Spiel selbst ist es wirklich eine Sache von Sekunden. Man darf sich mit so etwas einfach nicht aufhalten. Zum Hadern ist keine Zeit, die nächste Aktion folgt ja direkt. Wenn ich mich dann verstecke oder mich noch damit aufhalte und es passiert etwas, bewerte ich das für mich zehn Mal schlimmer als die Situation davor. Aber da ist man wieder bei der mentalen Stärke, dass man so etwas sofort abhaken kann.

Sie hatten aber auch sehr viele sehr gute Momente in diesem Jahr. Können Sie damit auch umgehen?

Es ist natürlich gut fürs Selbstvertrauen, wenn man positive Erlebnisse hat. Aber ich habe mal einen ganz guten Satz gehört, und den nehme ich mir wirklich zu Herzen. Von einer Niederlage sollte man sich nicht zu sehr herunterziehen und im Erfolg auch nicht zu weit hochziehen lassen. Man sollte eine gesunde Mitte halten. Das ist ganz wichtig, dass man das lernt.

Klappt das auch, wenn man plötzlich mit der Nationalmannschaft in Verbindung gebracht wird?

Auf jeden Fall, denn am Ende kann man sich davon nichts kaufen. Fußball ist so schnelllebig. Ich habe es natürlich jetzt als positive Erfahrung erlebt, was alles innerhalb von einem Kalenderjahr im Fußball passieren kann. Was absolut absurd ist. Das hätte ich mir vor einem Jahr wahrscheinlich auch nicht träumen lassen, dass ich mit solchen Dingen in Verbindung gebracht werde. Das ehrt mich total. Aber auch da versuche ich die gesunde Mitte zu finden und mache trotzdem tagtäglich meinen Job, mit sehr viel Ehrfurcht und Demut. Und dann sehen wir, was in der Zukunft passiert.

Sie durften als Nummer eins in die Saison gehen, was hat das mit Ihnen gemacht?

Ich kam jetzt vor knapp zehn Jahren nach Bremen mit dem Ziel und dem Traum, dass das einmal passieren wird. Zwischenzeitlich war ich mal ganz weit weg davon. Dass ich doch noch angekommen bin, ist ein ganz tolles Gefühl und erfüllt mich mit viel Stolz. Auch wenn ich sehr demütig dem Ganzen gegenüberstehe.

Warum?

Ich habe gesehen, wie schnell es im Fußball geht, in die eine wie in die andere Richtung. Ich stand gezwungenermaßen kurz vor dem Karriereende und darf ein paar Jahre später mit der Nummer eins auf dem Rücken im Stadion einlaufen. Was für eine Story. Da muss ich mich manchmal kneifen, dass es wirklich so gekommen ist. Es ist einfach ein total schöner und fußballromantischer Weg.

Apropos Romantik: Sie haben in diesem Sommer geheiratet.

Das war mein persönliches Highlight in diesem Jahr. Man unterschätzt, was es ausmacht, wenn man privat neben dem Fußball jemanden hat, auf den man sich verlassen kann und der einen in jedem Bereich unterstützt. Meine Frau hat einen Riesenanteil daran, dass ich meinen Traum jetzt so leben darf.

Und möchte Ihre Frau vielleicht nochmal woanders hinziehen?

Als gebürtige Bremerin ist das natürlich eine Fangfrage. Sie hängt sehr an Bremen und ich verstehe das, an mir ist inzwischen auch ein halber Bremer verloren gegangen. Wenn ich mir jetzt eine Traumkarriere ausmalen darf für die nächsten acht, neun, zehn Jahre – da muss ich hier nicht weg. Die Traumvorstellung, dass es hier noch lange so weitergeht mit sportlichem Erfolg ist natürlich absolut da. Trotzdem darf man sich im Fußball nie festbeißen an einer Idee, das ist leider so. Aber wir verspüren jetzt keinen Druck hier weg zu müssen. Es darf gerne noch einige Jahre so weitergehen.

(Das Gespräch führte Felix Ilemann für buten un binnen TV, redigiert wurde es von Petra Philippsen.)

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Sportblitz extra, 30. Dezember 2024, 18:06 Uhr