
Vom Zoffen und Zocken Hannover 96 spielt mit seiner Zukunft
Die Zeit für Hannover 96, den Lizenzantrag für die neue Saison einzureichen, schwindet. Doch statt nach Lösungen im Geschäftsführer-Streit suchen Mutterverein und Kapitalseite nur nach der besten Position im Kampf um mehr Einfluss. Ein verheerender Zoff, der den Club und seine Ziele gefährdet. Eine Analyse.
Vordergründig geht es bei Hannover 96 um drei Dinge: erstens, die Besetzung der Geschäftsführung. Damit, zweitens, der für die Profimannschaft existenzielle Lizenzvertrag unterzeichnet werden kann. Und damit drittens: um die Zukunft des Vereins. Im Hintergrund geht es nur um eine Sache: Macht. Und der Kampf darum ging an der Leine auch am Donnerstag weiter.
Er ist damit endgültig zu einem Schwergewichtsfight zweier schon angeknockter Boxer geworden, bei dem dieses Mal wieder der Mutterverein zum Schlag ausholte - und versuchte, die "Attacke" der Kapitalseite um Ex-Boss Martin Kind vom Vortag nicht nur zu parieren, sondern zu kontern.
Das nach außen ersichtliche Muster bleibt das immerselbe. Es ist ein wildes Um-sich-schlagen, Streu-Schläge ohne Rücksicht auf Kollateralschäden. Bevorzugte Technik: die Pressemitteilung. Und dann mal sehen, wie der Gegner reagiert. Die Gegner? Das sind in der komplexen Vereinsstruktur von Hannover 96 in der roten Ecke: der Mutterverein, auch als e.V. bekannt. Und in der blauen Ecke: die Kapitalseite um Kind, "Kampfname": Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG. Genug Punch haben beide.

Kompliziert: Die Vereinsstruktur von Hannover 96.
Mutterverein beklagt "Blockade" der Kapitalseite um Kind
So auch am Donnerstag: Da äußerte in einer neuen Runde der Mutterverein "als 100-prozentiger Gesellschafter", dass er "auf der Bestellung von Henning Bindzus und Marcus Mann" als neue Geschäftsführer bestehe. Dies müsse "unverzüglich erfolgen. Die Sicherung der Lizenz hat oberste Priorität - Verzögerungen oder taktische Manöver dürfen den Spielbetrieb nicht gefährden", hieß es in einer Mitteilung am Nachmittag. Und: "Eine Blockade dieser Lösung entbehrt jeder sachlichen Grundlage."
Als eine solche "Blockade" empfand der e.V. das Vorpreschen der Kapitalseite um Kind vom Mittwochabend. Nachdem sich zuletzt eine Lösung in der für die Unterzeichnung der Lizenzunterlagen wichtigen Geschäftsführerfrage abgezeichnet hatte, verkündete die Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG - ebenfalls per Mitteilung - das vorläufige Scheitern der Gespräche.
Kapitalseite sieht weiteren Klärungsbedarf
Der darin geäußerte Vorwurf an den Mutterverein: Der e.V. habe Unterlagen vorgelegt, "deren Inhalte in wesentlichen Punkten von dem abweichen, was in den vergangenen Wochen als Kompromisslinie für die Bestellung der Geschäftsführung der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA erörtert wurde".
Und weiter: "Da es sich zum Teil um vollständig neue Texte handelte, ist es ausgeschlossen, kurzfristig eine Verständigung herbeizuführen." Die Abweichungen "von den ausgehandelten möglichen Kompromisslinien sind so gravierend, dass die dadurch notwendige juristische Prüfung und Verhandlung der Inhalte innerhalb der verfügbaren Zeit nicht möglich sein wird". Es sei "alles wieder offen", ließ Kind via "Bild" wissen, zudem verlangte die Hannover 96 Sales & Service GmbH & Co. KG ganz konkret eine "zeitlich befristete Interimslösung".
Wer setzt mehr Macht und Zuständigkeiten durch?
Für den e.V. ein Spielen auf Zeit und eine "Lösung", die er nicht als solche sieht und akzeptiert. Er pocht vielmehr auf eine schnellstmögliche Berufung der beiden Kandidaten Mann (Sport) und Bindzus (Finanzen) als Geschäftsführer.
Das "Gegeneinander" ging am Donnerstag aber auch auf gerichtlicher Ebene weiter. Das Landgericht Hannover wies eine Klage des e.V. gegen die Kapitalseite auf Zahlung von Fördergeldern in Höhe von 750.000 Euro als "unbegründet" ab. Die hatte die vereinbarten monatlichen Zahlungen eingestellt, weil sie die Absetzung Kinds als Geschäftsführer als Bruch des Hannover-96-Vertrags auffasst. Der Vertrag war 2019 von beiden Seiten vereinbart worden und beinhaltet ein Fördervolumen von sechs Millionen Euro, von dem bislang knapp 1,2 Millionen Euro an den e.V. überwiesen wurden.
Der Donnerstag markiert in Hannover somit einen weiteren schwarzen Tag im seit Jahren tobenden Kampf um die Vormacht zwischen Mutterverein und Kapitalseite. Im vergangenen Juli hatte der nochmal an Dynamik gewonnen, als der langjährige Investor und millionenschwere Unternehmer Kind vom Bundesgerichtshof als Club-Boss abberufen wurde. Seitdem haben sich der e.V. auf der einen und die Investoren um Kind auf der anderen Seite nicht auf einen Nachfolger einigen können, da im Aufsichtsrat eine Pattsituation herrscht.
Nur noch vier Tage für die Lizenz
Und dieses Patt ist nun brandgefährlich, da der Lizenzantrag bei der Deutschen Fußball Liga (DFL) bis zum kommenden Montag (17. März) eingereicht werden muss - und diesen nur ein Geschäftsführer unterschreiben darf. Sportdirektor Mann als Prokurist ist dazu aber nicht befugt. Zwei Gerichte lehnten zuletzt einen Antrag auf Berufung eines Not-Geschäftsführers ab.
Doch statt einer gemeinsamen Lösungssuche bleibt es beim Raufen und bei Rechthaberei. Beim Streiten um Stellenbeschreibungen. Beim Zerfasern der Zuständigkeiten. Beim Pressemitteilungs-Ping-Pong in der Positionierung im Kampf um die Vormacht: Wer boxt über die Kandidaten und die vertraglichen Anpassungen seine Zuständigkeiten und Einflussmöglichkeiten im Gesamkonstrukt Hannover 96 durch?
Kampf um den Aufstieg gerät in den Hintergrund
Das Fatale aus Sicht all derer, die es mit dem Verein halten, aber auch all derer, die für ihn arbeiten: Die Zeit bis zur fristgerechten Einreichung der für den Profi-Spielbetrieb notwendigen Lizenzunterlagen schwindet. Das Zoffen wird so auch zum Zocken um die Zukunft des Vereins.
Zumal die abermalige Beschleunigung der Unruhe-Phasen - nicht zuletzt sportlich gesehen - neun Spieltage vor dem Saisonende zur absoluten Unzeit kommt. Hannover liegt zwar nicht optimal, aber - zumindest mit Blick auf Relegationsrang drei - noch durchaus aussichtsreich im Zweitliga-Aufstiegsrennen. Und die Fußball-Bundesliga ist am Ende des selbst ausgerufenen Drei-Jahres-Plans das erklärte Ziel. Ein guter Schlussspurt könnte den Verein diesem Ziel näher bringen - und sei es über den "Umweg" Relegation.
Das Verhalten ist betriebsgefährdend
Dafür aber bedürfte es der Geschlossenheit, wie man so schön sagt: vom Präsidenten bis zur Putzkraft, vom Buchhalter bis zum Busfahrer, vom Goalgetter bis zu den Geschäftsführern. Es bedürfte vor allem aber einer guten Führung. Doch im Kampf um eben diese zerlegt sich der Verein im Zweikampf von Kapitalseite und Mutterverein von oben herab selbst.
Bundesliga-reif ist daran wenig, erstklassig - im übertragenen Sinne - schon gar nichts. Für ein Buch aber könnte es taugen. Und so bleibt für den Moment der Blick auf einen Live-Thriller-Plot, wie ihn sich auch Bestseller-Autoren wie Sebastian Fitzek kaum besser erdenken könnten. Der Unterschied: Fitzek schreibt Fiktion. Und wird zum Beststeller. Der Machtkampf in Hannover hingegen ist Realität. Und betriebsgefährdend.
Vertreter des Muttervereins haben für Donnerstagabend zu einer Aufsichtsratssitzung der Hannover 96 Management GmbH geladen "und hierbei auch angeboten, dass Martin Kind sowie der Anwalt der Kapitalseite beiwohnen können, um eine direkte Bestellung (der Gechäftsführer, d. Red.) zu ermöglichen." Es könnte eine neue Runde im Schwergewichtskampf werden - im Zocken und Zoffen um Hannover 96, in dem es schon jetzt nur Verlierer gibt.
Dieses Thema im Programm:
Sport aktuell | 13.03.2025 | 18:17 Uhr