Segeln, Vendée Globe Boris Herrmann bereit "für die ultimative Herausforderung"
Weltumsegler Boris Herrmann startet am Sonntag zum zweiten Mal in die Vendée Globe und sieht sich "mental und technisch gut vorbereitet". Der NDR überträgt den Start der wichtigsten Einhandregatta um den Globus ab 7.30 Uhr live bei NDR.de und in der ARD Mediathek.
Nur noch drei Tage bis zum Start. "Die Vendée Globe ist die ultimative Herausforderung! Es mag wie eine Phrase klingen, aber ich beginne es jetzt wirklich zu fühlen. Seit September schwitzen meine Hände", sagte Boris Herrmann am Donnerstag.
Mittlerweile kann der Hamburger den Start kaum noch erwarten. In 80 Tagen um die Welt. 45.000 Kilometer (24.300 Seemeilen) ohne Zwischenstopp, ganz allein und ohne Hilfe liegen vor ihm und seinen 39 Konkurrenten - ein Rekord-Teilnehmerfeld. "Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich nicht angespannt bin", unterstrich der 43-Jährige: "Aber ich habe mich mental viel intensiver vorbereitet als vor vier Jahren und fühle auch eine gute Verbindung zum Boot."
"Es gibt zwei Möglichkeiten, mit so einer großen Herausforderung umzugehen. Entweder man meidet sie oder man versucht, daran zu wachsen. Und das möchte ich versuchen."
— Boris Herrmann
Eigentlich hatte der gebürtige Oldenburger seiner Frau und seine engsten Vertrauten nach seinem Debüt bei der fordernden Hatz um den Globus eingebläut, ihn von einer weiteren Teilnahme abzuhalten. Doch dann kam alles anders - weil er Segler ist durch und durch. Und es eben zwei Möglichkeiten gibt, damit umzugehen: "Entweder man meidet sie oder man versucht, daran zu wachsen. Und das möchte ich versuchen."
Herrmann: "Ich bin total im Tunnel"
Anders als die meisten Konkurrentinnen und Konkurrenten ist der fünfmalige Weltumsegler erst vor einer Woche aus Hamburg nach Les Sables d'Olonne an der französischen Atlantikküste gekommen. Dort stechen die Imoca-Yachten am Sonntag im Anschluss an die Parade der Skipperinnen und Skipper um 13.02 Uhr in See.
"Niemand kann drei Wochen hier im Race Village sein. Da wird man verrückt", sagte Herrmann lachend. Dass er erst am Mittwoch erstmals vor Ort und wieder an Bord der Malizia - Seaexplorer war, hatte einen schlichten Grund: "Für mich war einfach nicht mehr viel zu tun auf dem Boot. Wir sind auch technisch sehr gut vorbereitet. Ich konnte mich um andere Dinge kümmern."
An der Elbe lud er bis zuletzt seine Akkus auf. Nach Frankreich ist er ganz bewusst nur mit seinem Hund, nicht aber mit der Familie gereist: "Ich bin mittlerweile total im Tunnel." Da hätten weder er noch Frau und Tochter etwas von der gemeinsamen Zeit so kurz vor dem Start gehabt. Beide werden aber am Sonntag da sein, um ihn zu verabschieden.
Gute Vorbereitung und weniger Druck als beim Debüt
Einen besonnenen, entspannten und fast schon gelösten Eindruck machte Herrmann am Donnerstag. "Ich fühle mich sehr gut. Ich spüre viel weniger Druck." Weil die Zukunft seiner Kampagne anders als vor vier Jahren bei seinem Debüt gesichert ist. Und weil er weiß, was auf ihn zukommt. Etliche Vorkehrungen sind für das Rennen getroffen worden - auch, dass er besser mit der Einsamkeit klarkommt. Die hatte dem gebürtigen Oldenburger seinerzeit stark zugesetzt.
Start "ein großer Moment"
"Ich will mich nicht verrückt machen lassen - auch während des Rennens nicht", erklärte Herrmann. "Auch wenn ich Zehnter oder Zwölfter bin oder wenn ich 1.000 Meilen zurückliege, kann ich immer noch gewinnen. Die Vendée ist das Rennen, das am längsten dauert. Und das ist auch das faszinierende daran."
Der Start sei dabei in den drei Monaten des Rennens "sportlich gesehen fast symbolisch". Und doch "ist es ein großer Moment für uns", so der 43-Jährige. "Wir sind 40 Schiffe, da ist die erste Priorität, Kollisionen zu vermeiden. Aber es kann bis zu 24 Stunden dauern, wenn man sich nach einem langsamen Start nach vorn arbeiten muss. Deshalb versuchen die Top-Teams, gleich vorneweg zu starten."
Gute Nerven und allerhöchste Konzentration sind gefordert. Und um gleich voll da zu sein, setzt Herrmann auf Entspannung. Co-Skipper Will Harris hat bis kurz vor dem Start das Kommando und segelt die Malizia. Herrmann kann unterdessen noch ein Nickerchen machen, etwas essen und die Wetterdaten studieren. Erst kurz vor dem Start übernimmt er das Ruder und Harris verlässt nach dem traditionellen "High Five" als letzter des Teams die Yacht.
Hohe Ausfallquote bei der Vendée Globe
Anders als in der Vergangenheit blicken die 34 Männer und sechs Frauen einem Schönwetter-Auftakt entgegen. Herrmann erwartet einen "ruhigen Start. Das typische Szenario wäre ein großes Tiefdruckgebiet mit einer Kaltfront und heftigen Wellen. Wir hatten das beim letzten Mal und einige Boote mussten umkehren. Momentan sieht es nach leichten bis mittleren Winden aus. Das ist auch schön für die Zuschauer."
Statt der möglichen sechs Tage bis zum Äquator könnte der in der Vergangenheit oft ruppige Biskaya-Auftakt fast doppelt so lange dauern. "Es sieht aktuell nicht sehr schnell aus, eher nach zehn, elf Tagen bis zum Äquator", sagte der Hamburger. Damit sind die Chancen auf eine Bestzeit gefallen. Den Rekord hält seit der vorletzten Vendée Globe 2016/2017 der Franzose Armel Le Cléac'h mit 74 Tagen, 3 Stunden, 35 Minuten und 46 Sekunden.
Team Malizia feierte 2024 schon große Erfolge
Nach Platz fünf bei seiner Vendée-Globe-Premiere zählt sich mit der neuen Malizia - Seaexplorer nicht zuletzt Herrmann selbst zum Favoritenkreis. "Wir sind auf dem Papier das am besten vorbereitete Team, darauf können wir erstmal stolz sein. Und uns zeichnet ein neues Schiff aus, das schon durch das Südmeer gesegelt ist", sagte er. Die alte Malizia wurde nach der vergangenen Vendée Globe verkauft, die neue bis in die Details nach Herrmanns Wünschen und den Erfahrungen im Südpolarmeer gebaut.
"Das ist wirklich mein Boot, ich habe es von Beginn an mitkonzipiert. Ich fühle mich sehr verbunden, besonders nach den Erfahrungen im Südpolarmeer und all den vielen Seemeilen, die wir schon gesegelt sind", schilderte Herrmann. Seit ihrem Stapellauf im Juli 2022 ist die Malizia schon über 112.000 Kilometer im Rennmodus gesegelt. Und das sehr erfolgreich: In diesem Jahr belegte die Malizia bei den Transatlantik-Regatten "Transat CIC" sowie der "New York Vendée" jeweils Platz zwei.
Im Einklang mit Wind und Wellen zum Sieg?
Der französische Weltranglisten-Erste Charlie Dalin (Macif Santé Prévoyance) gilt für viele als Top-Favorit auf den Sieg. Nicht aber für Herrmann. "Er hat ein Boot, das im Atlantik sehr schnell sein wird, er dürfte als Erster im Südpolarmeer ankommen." Dann aber schlägt die Stunde der auf die rauen Bedingungen im Südpolarmeer ausgelegten Schiffe. Wie die von Yoann Richomme (Paprec Arkéa ) und Thomas Ruyant (Vulnerable) - und von Herrmanns Malizia.
Auf eine konkrete Platzierung möchte sich Herrmann nicht festlegen. Ankommen ist das oberste Ziel. Mit dem Boot "gut segeln und unser Leistungspotenzial weitgehend ausnutzen". Und sich dabei "gut fühlen, in den Flow kommen, eins werden mit dem Boot und den Elementen". Denn auch wenn die Yacht voller Hightech steckt: "Es gehört nach wie vor auch sehr viel Intuition dazu", um im Einklang mit den Wellen und dem Wind einmal um den Erdball zu segeln.
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Sportclub | 10.11.2024 | 22:50 Uhr